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biomechanik:aktuelle_themen:projekte_ss20:atsb2001

Inhaltsverzeichnis

ATSB2001 Aufmerksamkeit im Sport

Modul-Icon -
Veranstaltung Aktuelle Themen der Sportbiomechanik
Autor(en) Ascherl K., Gromes V.
Bearbeitungsdauer -
Status in Bearbeitung
Zuletzt geändert am 19.07.2020

Einleitung

Bei der Ausführung motorischer Bewegungen können verschiedene Aufmerksamkeitsfokusse gesetzt werden. In diesem Wiki-Eintrag soll untersucht werden, ob der Aufmerksamkeitsfokus die sportliche Leistung beeinflusst und wenn ja, wie man diesen Einfluss sinnvoll nutzen kann.

Es gilt folgende Fragen zu klären:

Gerade in der aktuellen Corona-Zeit ergibt sich eine neue Relevanz der Thematik, da der Sportbetrieb gar nicht oder nur eingeschränkt fortgeführt werden kann und sich eine Ergänzung durch mentales Training daher anbietet.

Arten von Aufmerksamkeitsfokussierung

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten der Fokussierung von Aufmerksamkeit.

Der externe Aufmerksamkeitsfokus, bezieht sich auf den Bewegungseffekt, d.h. die Aufmerksamkeit wird auf die durch die Bewegung erzielten Effekte außerhalb des eigenen Körpers gelenkt.

Der interne Aufmerksamkeitsfokus bezieht sich auf die Körperbewegungen, d.h. die Aufmerksamkeit wird auf die Bewegungsausführung am oder im eigenen Körper gelenkt (vgl. Wulf, 2009).

Beispiele

Verdeutlicht werden die beiden Aufmerksamkeitsfokusse anhand zwei verschiedener Instruktionen, eine Powerhalse im Windsurfen zu fahren. Ein genaues Verständnis der Bewegung ist nicht nötig, um verstehen zu können, worin sich die Fokusse unterscheiden.

Sagt man „Der Windsurfer drückt die Frontside-Brettkante in das Wasser, um eine Powerhalse zu fahren.“, so handelt es sich hierbei um den externen Aufmerksamkeitsfokus. Der Bewegungseffekt ist hierbei, dass die Kante des Bretts ins Wasser gedrückt wird. Es wird nicht beschrieben, wie der Surfer diese Bewegung auszuführen hat oder wie er dieses Ziel erreicht, sondern nur, dass mit dem Effekt das gewünschte Bewegungsziel erreicht werden kann. Der Fokus wird mit dem Brett also extern gelegt.

Die Formulierung „Der Windsurfer belastet seine Zehenspitzen, um eine Powerhalse zu fahren.“, spricht den internen Aufmerksamkeitsfokus an. Es wird explizit genannt, was der Surfer machen muss, um den gewünschten Bewegungseffekt zu erzielen. Der Fokus wird auf den Körper des Surfers gelegt und vorgeschrieben, wie die Bewegung ausgeführt werden muss.

Weitere Unterteilungsmöglichkeiten

Neben der Dimension des externen und internen Aufermerksamkeitsfokusses unterscheiden Alfermann & Stoll (2017, S. 44) die beiden weiteren Dimensionen eng und weit. Daraus ergeben sich folgende 4 Formen der Aufmerksamkeitsfokussierung:

Da es nahezu unmöglich ist, alle vier Aufmerksamkeitsregulationsprozesse gleichzeitig zu nutzen, muss die Fähigkeit des schnellen Wechselns trainiert werden, um die Vorteile aller Fokusse nutzen zu können (Alfermann & Stoll, 2017, S. 45).

Wir möchten uns in diesem Wiki vor allem auf die horizontale Achse, also der Wirkung der internalen und externalen Fokussierung, konzentrieren. Der Einfluss der Konzentration auf einen engen bzw. weiten Fokus wird, auf den externen Fokus beschränkt, mit dem Phänomen des Distanzeffekts im weiteren Verlauf ebenfalls kurz angesprochen.

Aufmerksamkeitsfokus und sportliche Leistung

Nachdem die beiden unterschiedlichen Möglichkeiten der Aufmerksamkeitssetzung vorgestellt wurden, gilt es nun den empirischer Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeitslenkung und der sportlichen Leistung zu betrachten und daraus resultierend Kriterien für die Wahl eines vorteilhaften Aufmerksamkeitsfokus aufzustellen.

Gabriele Wulf hat sich mit Fragestellungen dieser Art ausführlich beschäftigt und kommt nach der Sichtung des bisherigen Forschungsstandes sowie der Durchführung eigener Experimente zu folgendem Ergebnis: Ausschlagend ist der relative Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung bzw. der Grad des Könnens (vgl. Wulf, 2009, S. 125). Je höher der subjektiv empfundene Schwierigkeitsgrad, desto stärker sind nachweisbare positive Effekte bei externer Aufmerksamkeitsfokussierung.

Aufgrund dieser Tatsache werden wir im folgenden zwischen der Aufmerksamkeitsfokussierung im Lernprozess (Anfänger, Schwierigkeitsgrad eher hoch) und bei Profisportlern (Experten, Schwierigkeitsgrad eher niedrig) unterscheiden.

Fokussetzung beim Bewegungslernen

Die Befunde zum Bewegungslernen sind einheitlich: Die Konzentration auf die Effekte der Bewegung (externaler Aufmerksamkeitsfokus) wirken sich vorteilhaft auf den Lernprozess aus.

Diese Effekte konnten Sportarten unspezifisch festgestellt werden (Gleichgewicht, Basketball, Laufen, Volleyball, Golfen, Fußball, Sprungkraft) und sind, wie Studien mit Kindern, Studierenden, Älteren und Parkinson-Patienten zeigen, auf verschiedene Personengruppen generalisierbar (Wulf, 2011, S. 18-23).

Vorteile bei Bewegungslernen mit externen Fokus

Wulf hat diese Befunde weiter versucht zu kategorisieren und zu erklären. Ihrer Theorie zufolge gestaltet sich der Lernprozess unter der Nutzung eines externalen Aufmerksamkeitsfokus

Effektiv Bei einem Test im Balancieren auf einer beweglichen Plattform zeigten zuvor external instruierten Probanden schnellere Leistungsfortschritte als die internal instruierte Kontrollgruppe. Nach mehreren 90 sekündigen Durchgängen war die durchschnittliche Abweichung von der Horizontalen signifikant geringer, wenn die Probanden versuchten „die auf der Plattform angebrachten Markierungspunkte auf gleicher Höhe [zu halten]“ statt sich zu konzentrieren, „[ihre] Füße auf gleicher Höhe [zu halten]“ (vgl. Wulf, 2011, S.19).

Effizient David Marchant und sein Team stellten 2006 eine geringere Muskelaktivität bei gleicher Arbeit fest, wenn der Aufmerksamkeitsfokus extern gesetzt wurde. In ihrem Experiment ließen sie dieselben Teilnehmer in drei Durchgängen Bizep-Curls ausführen, wobei der Aufmerksamkeitsfokus durch vorher gegebene Instruktionen variiert wurde. Dabei wurde die muskuläre Aktivität des M. biceps und M. triceps über ein Elektromyogramm gemessen. Die niedrigsten Werte konnten verzeichnet werden, wenn sich die Probanden auf die Hantel konzentrierten (Aufmerksamkeitsfokus extern). Diese waren sowohl verglichen mit den Ergebnissen des Durchgangs ohne Aufmerksamkeitslenkung, als auch bei Konzentration auf die Arme (internaler Aufmerksamkeitsfokus) geringer (Wulf, 2011, S.21).

Daraus lässt sich schließen, dass Bewegungen bei externer Aufmerksamkeitsfokussierug ökonomischer gestaltet werden, beispielsweise durch eine verringerte Kokontraktion von Agonisten und Antagonisten oder weil nur die notwendigen motorischen Einheiten aktiviert werden.

Langanhaltend Die festgestellten Leistungsunterschiede konnte Wulf auch in Rententionstest weiter nachweisen. Um den Aufmerksamkeitsfokus, den die Studienteilnehmer ursprünglich verwendet hatten, bewusst auszuschließen, wurden bei der Wiederholung des Experiments Zweitaufgaben, wie das Rückwärtszählen in Dreierschritten, gestellt. „Die Versuchsgruppen, die zuvor einen externen Fokus verwendet hatten, waren auch unter diesen Bedingungen jenen mit einem internen Fokus überlegen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um Lerneffekte handelt und dass die motorische Leistung relativ überdauernd durch den Aufmerksamkeitsfokus beeinflusst wird.“ (Wulf, 2011, S. 20).

Constrained-Action-Hypothese

Zur Erklärung der vorteilhaften Wirkung des externen Aufmerksamkeitsfokus stellt Wulf die sogenannte „Constrained-Action-Hypothese“ auf, welche besagt: „Wenn Individuen sich auf ihre Bewegung konzentrieren (d.h. einen internen Aufmerksamkeitsfokus wählen), greifen sie in die Kontrollvorgänge ein, mit denen die Koordination ihrer Bewegungen geregelt wird. Indem sie versuchen, ihre Bewegungen bewusst zu kontrollieren, unterbrechen sie unweigerlich automatisierte Prozesse, in denen die Kontrolle effektiv und effizient abläuft. Wenn dagegen die Aufmerksamkeit auf den Bewegungseffekt gerichtet wird, begünstigt der externe Aufmerksamkeitsfokus diese automatisierte Kontrolle.“ (Wulf, 2009, S. 96)

Choking under pressure

Ähnlich kann der Leistungsabfall von Spitzensportlern in Drucksituationen erklärt werden: Die überhöhte auf sich selbst gelenkte Aufmerksamkeit unterbricht sonst automatisierte Prozesse der Bewegungskontrolle. Der Athlet retardiert sozusagen in frühere Lernstadien und bleibt hinter seinen Erwartungen zurück (vgl. Wulf, 2009, S. 15).

Die Drucksituationen werden individuell wahrgenommen und bewertet. Die Höhe des empfundenen Drucks ist dabei abhängig von der Bedeutung bzw. den Folgen des Ergebnisses für den Athleten und dessen daraus resultierender Angst, in dieser Situation zu Versagen (Maurer, 2007, S. 12).

Fokussetzung bei perfektionierten Bewegungen

Wie bereits anfangs erwähnt, ist das Lernstadium bei der Wahl des optimalen Aufmerksamkeitsfokus entscheidend.

In der Literatur finden sich auch bei SportlerInnen in fortgeschrittenen Lernstadien positive Ergebnisse bei der Verwendung eines externen Fokus (Volleyballaufschlag, Wulf et al., 2002, Experiment 1; Vollspannstoß im Fußball, Wulf et al., 2002, Experiment 2; Pitch-Schläge im Golf, Wulf & Su, 2007, Experiment 1& 2). Es stellt sich daher die Frage, ob auch SpitzensportlerInnen, die die Bewegungen bereits auf höchstem Niveau ausführen, von der Aufmerksamkeitslenkung profitieren.

Experiment-Aufbau

Um den Einfluss des Leistungsniveaus zu untersuchen, stellte Wulf drei verschiede Personengruppen zusammen, die sich in ihren Gleichgewichtsfähigkeiten unterschieden.

Die Aufgabe bestand darin, so ruhig wie möglich auf einem Gummidiskus zu stehen. Alle Teilnehmer absolvierten diese Aufgabe drei Mal hintereinander, wobei nach jedem Durchgang der Aufmerksamkeitsfokus per Instruktion gewechselt wurde. Die variierenden Anweisungen lauteten

Die erste Personengruppe bestand aus AkrobatInnen der Cirque du Soleil-Show „Mystère“ aus Las Vegas. In ihrer Vorstellung liefen sie auf Bällen oder zeigten eine Landung auf einer Pyramide aus drei Menschen nach mehreren Salti. Die Gleichgewichtsfähigkeiten dieser Menschen war demnach für den einfachen Balanceakt auf einem Gummidiskus auf Expertenniveau anzusehen.

Die zweite Personengruppe, bestehend aus Studierenden, sollte durchschnittliche Gleichgewichtsfähigkeiten verkörpern.

Die dritte Gruppe repräsentierte Menschen mit Gleichgewichtsproblemen und wurde aus PatientInnen mit Morbus Parkinson zusammengesetzt.

Ergebnisse

Die AkrobatInnen zeigten erwartungsgemäß die besten Gleichgewichtsfähigkeiten, erkennbar an den wenigsten Körperschwerpunktschwankungen und der höchsten Frequenz an Korrekturbewegungen. Letztere sind als reflexähnliche Mechanismen anzusehen, die Schwankungen ausgleichen. Die besten Leistungen wurden erzielt, wenn die AkrobatInnen keine weitere Instruktion erhielten und sich darauf konzentrieren konnten, worauf sie sich üblicherweise konzentrierten.

Bei den Studierenden waren keinerlei Unterschiede durch den Wechsel der Aufmerksamkeitsbedingungen festzustellen.

Die Morbus Parkinson PatientInnen zeigten signifikant weniger Schwankungen, wenn sie sich bei dem Balance Akt auf den Diskus konzentrierten.

Auswertung

Die vorteilhafte Wirkung eines externen Aufmerksamkeitsfokus war also nur bei der dritten Gruppe zu beobachten. Wulf kommt zu dem Schluss, dass die Aufgabe für die anderen beiden Versuchsgruppen zu einfach war. Sie scheinen über ausreichende Vorerfahrungen und Steuerungsmechanismen zu verfügen, sodass der externe Fokus keine zusätzlichen Vorteile bringt. Das Expertenniveau der AkrobatInnen wird durch die Fokussierung neuer Aspekte sogar gestört, da der Informationsfluss inklusive Steuerungsmechanismen nicht wie automatisiert ablaufen kann.

Trotz der vorteilhaften Wirkung des externen Fokusses müssen daher Gewöhnung und persönliche Präferenzen der Athleten berücksichtigt werden.

Hinzu kommt ein Distanzeffekt: Je größer die Entfernung zum Effekt, desto positiver die Auswirkung auf die Leistung. Allerdings müssen für die fokussierten Effekte bereits motorische Programme mit automatischen Handlungsmustern nutzbar sein, damit ein gewinnbringender Effekt zum Tragen kommt (vgl. Wulf, 2009, S. 128). Für Anfänger ist es daher sinnvoller, sich auf Effekte zu konzentrieren, die direkt mit ihrer Bewegung in Verbindung stehen und für sie kontrollierbar sind, statt den Distanzeffekt zu nutzen.

Fazit und Ausblick

Die vorteilhafte Wirkung des externen Aufmerksamkeitsfokus konnte sowohl sportartenübergreifend, als auch personenübergreifend nachgewiesen werden.

Entgegen dieser Erkenntnisse wird in der Vermittlung immer noch vielfach mit dem internaler Fokus gearbeitet und von den meisten SportlerInnen intuitv verwendet. Der Beitrag soll Lehrkräfte, TrainerInnen und ÜbungsleiterInnen dazu motivieren, den externalen Fokus mehr in den Lernprozess einzubauen. Auch in Sportarten ohne Gerätenutzung ist dies durch Analogien und Metaphern möglich.

Fest steht, dass die Fokussetzung mit dem Leistungsniveau zusammenhängt. In anfänglichen Lernstadien ist eine Fokussierung auf die Bewegungseffekte empfehlenswert, SportlerInnen auf hohem Niveau zeigen ihre beste Leistung, wenn sie die Bewegung routinegemäß ausführen.

Auch die Forschungsergebnisse von Maurer und Munzert reihen sich in dieses Fazit ein. Die beiden konnten in ihrer Studie mit geübten Baskettspielerinnen eine Präferenz und damit einhergehend besser Leistungen bei Korbwürfen beobachten, wenn die Spielerinnen einen für sie gewohnten internalen Fokus verwenden durften (Maurer & Munzert, 2005).

Bisher ungeklärt bleibt die Frage, ob die überdurchschnittlich häufig auftretenden Präferenz eines internalen Fokus im Profisport sportwissenschaftlich erklärt werden kann oder ob lediglich eine externe Fokussierung im Lernprozess vernachlässigt wurde. Hierzu wären weitere Untersuchungen, beispielsweise in Form einer Abschlussarbeit, wünschenswert.

Weiter lässt sich ergründen, wie dem beschriebenen „choking under pressure“ begegnet werden kann. Möglicherweise kann der Effekt der externaler Aufmerksamkeitsfokussierung auch hier die SportlerInnen unterstützen.

Literatur

Alfermann, D. & Stoll, O. (2017): Sportpsychologie: ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Meyer & Meyer. Aachen

Maurer, H. (2007): Psychischer Druck, Aufmerksamkeitslenkung und sportliche Leistung. Gießen

Maurer, H. & Munzert, J. (2005): Auswirkungen psychischer Drucksituationen auf die Ausführung automatisierter Bewegungen. In Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Hrsg.), BISp Jahrbuch 2004 (S. 315-319). Bonn.

Wulf, G. (2009): Aufmerksamkeit und motorisches Lernen. Urban & Fischer. München

Wulf, G. (2011): Bewegungen erlernen und automatisieren. neuroreha (1). S.18–23