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Modul-Titel | WP1803 Contact Improvisation |
Veranstaltung | Körperinszenierung und Biomechanik |
Autor | Anne Lenhard und Elena Schopphoven |
Bearbeitungsdauer | ca 45 min |
Präsentationstermin | 28.01.2019 |
Status | Finalisiert |
Zuletzt geändert | 21.09.2021 |
Das Video zeigt eine Kontaktimprovisation. Wird dieser Tanzstil ohne Vorkenntnisse betrachtet, kann vermutet werden, dass die Tänzerinnen und Tänzer zuvor eine fließende Choreografie einstudiert hätten. Doch dieser erste Eindruck täuscht, denn Kontaktimprovisationen basieren, wie der Name bereits erahnen lässt, auf Improvisation. Hierzu später mehr.
Contact Improvisation vereint verschiedene Tanzformen und die Verknüpfung freier Bewegungen, die durch Körperkommunikation entstehen. Es gibt keine vorherigen Absprachen oder Choreografien unter den Tanzenden.
Im Rahmen dieses Wikis wird zunächst die Contact Improvisation und ihre Entstehungsgeschichte beschrieben. Anschließend werden die biomechanischen Grundlagen vorgestellt.
Im zweiten Teil werden verschiedene Aspekte der Körperkommunikation im Zusammenhang mit Contact Improvisation thematisiert. Hier stellt sich die Frage inwiefern Contact Improvisation als Bindeglied in der Körperkommunikation verstanden werden kann. Außerdem betrachten wir die Zusammenhänge der körperlichen Berührungen (mit anderen Körpern, dem Raum und dem Boden) der gegenseitigen, kinästhetischen Kommunikation und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Individuen.
verfasst von Elena Schopphoven
Contact Improvisation ist ein Tanzstil bei dem es keine feste Choreographie gibt, sondern alle Bewegungen der Tanzenden spontan, aus der Situation heraus entstehen. Ausserdem unterscheiden sich Kontaktimprovisationen dahingehend, dass Bühnenbild, Kleidung und musikalische Begleitung hierbei nebensächlich sind. Die C.I. ist zwischen mindestens zwei oder mehreren Personen möglich, völlig irrelevant sind hierbei körperliche Merkmale wie Geschlecht, Größe, Alter oder Gewicht. Die Tanzenden spielen gemeinsam mit Elementen wie Schwerkraft, Impulsen und Dynamik, wobei der Blick jedes Einzelnen sowohl nach innen gerichtet ist, als auch auf die anderen Tanzenden. Dadurch können Reaktionen auf Impulse anderer aus der Situation heraus entstehen ohne, dass vorherige Absprachen getroffen wurden.
Die in Kontaktimprovisationen zu sehenden Bewegungen entsprechen denen verschiedener Tanzrichtungen und der Akrobatik. Doch neben der körperlichen Ebene und den damit verbundenen Bewegungen spricht es vor allem auch die seelische Ebene der Tänzerinnen und Tänzer an. Das Individuum kann sich mit seinem Ich, mit seiner Umgebung, aber auch mit den anderen Improvisierenden und dem Raum verbinden. Es kommt zu einem mehrdimensionalen Kontakt (Contact). Die Erfahrung im Kollektiv, bei der sowohl das Wahrnehmen und Erleben des eigenen Körpers, aber auch der Körper anderer entsteht, erfolgt spontan und zwanglos (Improvisation). (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 11.)
verfasst von Elena Schopphoven
Seine Wurzeln hat der Tanzstil Contact Improvisation im 20. Jahrhundert, um die Jahrhundertwende, als sich Tänzerinnen und Tänzer in Europa gegen die Überbetonung technischer Perfektion des klassischen Balletts auflehnten. Es war ihnen ein Bedürfnis ihr Seelisches in Form von ‚natürlichen‘ Bewegung in einem Tanz zum Ausdruck zu bringen. Im Vordergrund sollte dabei die Kommunikation von Ideen und Emotionen sowie das Individuum der Gesellschaft stehen. Es ist ein Tanz, der vom Körper und nicht vom Geiste ausgeht, während die Bewegungen im Einklang mit den anatomischen Gegebenheiten stehen soll (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 13.).
Contact Improvisation entstand als Form des zeitgenössischen Tanzes erstmals im Jahre 1972, als Begründer und Initiator ist an dieser Stelle Steve Paxton zu nennen. Er selbst absolvierte eine Tanzausbildung und ein Studium des modernen Tanzes, entwickelte eigene Solostücke und Gruppenaufführungen, bei denen er sich primär für „Nicht-Tanz-Bewegungen“, wie zum Beispiel das „Gehen“ interessierte, da es eine Bewegung ohne Bewertung für „richtig“ und „falsch“ zulässt. Außerdem sah er darin eine Zusammenführung zwischen Tänzerinnen und Tänzer und Publikum (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 21.). Die erste Improvisationsgruppe entwickelte sich aus dem „Continuous Project Altered Daily“ mit dem Namen „Grand Union“ und existierte von 1970-1976.
Paxton versuchte sich immer mehr an Bewegungen der physikalischen Kräfte wie Schwerkraft, Schwung, Impuls sowie der Kraft die entsteht, wenn zwei Körper aneinander schleudern und dessen Folge. Außerdem brachte er Elemente aus der Akrobatik, des Release und des Tanzes mit ein. Im Vordergrund sollte allerdings eine „nicht-hierarchische-Struktur“ des Tanzes stehen. Contact Improvisation nimmt zur heutigen Zeit eine zentrale Stellung im Bereich des postmodernen Tanzes ein und ist zum einen als eigene Disziplin, aber auch als Ausgangsmaterial für die Richtung des zeitgenössischen Tanzes sowie des Tanztheaters aufzuzeigen. Außerdem findet es Anwendung im Freizeitbereich, der Tanztherapie sowie der integrativen Behindertenarbeit („danceability“) (vgl. W. Kirschner: Musik-, Tanz- und Kunsttherapie (2000), 11, pp. 65-79.).
Hier stellen sich nun die Fragen, wie es zum einen möglich ist auch mit unterschiedlichen Körpervoraussetzungen, krafteffizient in „contact“ zu tanzen und zum anderen, wie es überhaupt zu den verschiedenen Bewegungen kommen kann?
verfasst von Anne Lenhard (Körperinszenierung)
Der menschliche Körper, welcher die Hauptrolle beim Contact Improvisation spielt, ist ein lebendiger und biologischer Körper, der den physikalischen Naturkräften ausgesetzt ist und über seine eigene Biomechanik verfügt. Außerdem ist dieser Körper neben diesen physikalischen und biologischen Aspekten aber auch ein ‚beseelter Leib‘, der das Herzstück des Tanzstils ausmacht (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S 46).
Vor allem spielt das „Gegenwirkungsgesetz“ von Newton eine wichtige Rolle, das besagt: „Jede Kraft erzeugt eine gleich große, entgegengesetzt gerichtete Gegenkraft (actio =reactio)“ (Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S.47). Denn, wenn die eine Partnerin oder der eine Partner ihr/sein Körpergewicht der oder dem anderen zur Unterstützung anbietet und die oder der jeweils andere keinen Widerstand bietet, so gleiten beide zu Boden (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 47).
Entgegen dem „Gewicht geben“ steht das „Gewicht nehmen“. Dabei hält die unterstützende Person eine Kraft dagegen, um auf das wirkende Gewicht der anderen Person einen Widerstand zu geben. Dies geschieht entweder durch Einsatz des eigenen Körpergewichts, durch Beachtung der Körperstatik oder aktiven Muskeleinsatz (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 47). Um die Improvisation lebendig zu halten, sind sowohl gewichtgebende als auch gewichtnehmende Situationen elementar und kommen durchaus gemischt vor. Wichtig ist es den Fokus darauf zu legen, möglichst wenig Kraft auszuüben und unökonomische Aktionen gering zu halten (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 47.).
In Bezug auf die Biomechanik spielt besonders die Schwerkraft, insbesondere der Körperschwerpunkt, beim Contact Improvisation eine entscheidende Rolle. Bei einem Körperschwerpunkt sind sämtliche physikalische Kräfte, welche auf einen Körper wirken, vereint. Die genaue Lage ist sowohl von Körperbau, Körperhaltung sowie der entsprechenden Körperposition in einem Raum abhängig. Der Körperschwerpunkt ist dann gegeben, wenn der Körper perfekt ausbalanciert ist und somit in alle Richtung gedreht werden kann ohne auf eine Seite zu fallen. Im Umkehrschluss wird der Körper bei der Choreographie des Contact Improvisations immer zu der Seite fallen, in der sich der Körperschwerpunkt gerade befindet, sobald dieser nicht über dem Kontaktpunkt liegt (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 47f.). Prinzipiell gibt es in unserem Körper ein ständiges Spiel zwischen Schwerkraft und Bewegung. Wir bewegen uns nämlich zwischen den zwei Polen Schwerkraft und gegen die Schwerkraft (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 49.).
Beim Tanz werden genau diese Schwerpunkte nun absichtlich verändert, damit eine Bewegung entsteht. Eine Bewegungsmöglichkeit ist zum Beispiel das „Rollen“, dabei werden Körperschwerpunkt und Unterstützungspunkt verändert. Durch eine geänderte Körperhaltung kann so eine über die andere Person hinweg rollen und eine Bewegung entsteht allein durch die Veränderung des Körperschwerpunktes, während die Schwerkraft den Impuls für die Bewegung gibt. Ein aktives Schieben oder Abdrücken ist nicht notwendig (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 50.).
Abb. 1: Rollbewegung
Quelle: Screenshot aus dem Video „Contact Improvisation #3 Surfen, Heben, Fliegen, Springen“ von Matthias Früh ( 03:12 min): https://www.youtube.com/watch?v=oecMvZAfI_M ( zuletzt aufgerufen am 20.September 2021).
Weitere Bewegungsmöglichkeiten des Contact Improvisations sind das „Heben“, „Springen“ und die „Spiralen“. Bei den Elementen des „Hebens“ oder auch „Lifting“ kommt das, was jede und jeder aus seinem Alltag kennt, zum Tragen: das Tragen von „schweren“ Gegenständen fällt leichter, wenn der gehobene Gegenstand möglichst nahe am eigenen Körper gehalten wird, was daher rührt, dass die einzelnen Schwerpunktachsen beider Körper zu einer einzigen Schwerpunktachse verschmelzen (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 51.). Insbesondere bieten sich für diese Bewegungen die Oberschenkel, die Kreuzbeingegend und die Schultern an. Ohne viel Muskelkraft, gelingt das Heben, wenn eine Person mit ihrer Lendenwirbelsäule unter die der anderen gleitet und dann anhebt, da hierbei sowohl die Schwerpunkte beider als auch der gemeinsame Schwerpunkt auf einer senkrechten Linie liegen. Je mehr Körperspannung bei der „Getragenen“ dabei vorhanden ist, desto leichter fällt es der tragenden Person die Bewegung auszuführen (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 51.).
Abb. 2: Hebebewegung
Quelle: Screenshot aus dem Video „Contact Improvisation #3 Surfen, Heben, Fliegen, Springen“ von Matthias Früh ( 10:52 min): https://www.youtube.com/watch?v=oecMvZAfI_M ( zuletzt aufgerufen am 20.September 2021).
Beim „Anspringen“ oder auch „jumping“ ist der Kraftaufwand für den „Fänger“ beim Auffangen am geringsten, wenn sich der eigene Körperschwerpunkt während des höchsten Punktes der Flugbahn direkt unterhalb der Springerin oder des Springers befindet. Zu diesem Zeitpunkt ist die Geschwindigkeit am geringsten und die springende Person kann ohne einen Zusammenprall aufgenommen werden. Der mitgebrachte Schwung aus der Sprungbewegung kann dann weiter für eine gemeinsame Bewegung genutzt werden, was das ganze harmonisch ausgleiten lässt (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 51.).
Abb. 3: Bewegung des Jumpings
Quelle: Screenshot aus dem Video „Contact Improvisation #3 Surfen, Heben, Fliegen, Springen“ von Matthias Früh ( 06:08 min): https://www.youtube.com/watch?v=oecMvZAfI_M ( zuletzt aufgerufen am 20.September 2021).
Für die Bewegungsformen der „Spiralen“, dies sind eckig-kantig ausgeführte Bewegungen, bedarf es, im Vergleich zu den anderen Formen, an viel Kraft. Hierbei wird zuerst eine laufende Bewegung gestoppt, die Richtung gewechselt und schließlich wieder beschleunigt. Man unterscheidet zwischen runden, schlaufen- und spiralförmigen Bewegungen, bei denen es zu ständigen kleinen Richtungsveränderungen kommt, die allerdings leichter variierbar sind als die eckigen Bewegungen. Permanente spiralige Bewegungsvorstellungen führen zu einem fließenden und ineinander übergehenden Ablauf mit kontinuierlichem Ausnutzen des Schwungs (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 52.). Somit sind Kräfte der Schwere, der Trägheit und des Schwungs, die beim Contact Improvisation bei jeder Bewegung vorkommen elementar. Sie sind es, die bei dem Tanz zu mehr Freude, Leichtigkeit und Spaß führen. Beim Contact Improvisation handelt es sich um keine abstrakte Form, bei der es um die ‚klassische Physik‘ geht, sondern eher um einen menschlichen Aspekt der physikalischen Kräfte. Es geht um die Kommunikation und den Austausch zweier Individuen in einem Spiel mit den Konsequenzen dieser physikalischen Kräfte (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 53.).
Aber wie gelingt nun eine Kommunikation zwischen den Tänzerinnen und Tänzern und worauf ist beim Kontakt zu achten?
verfasst von Anne Lenhard (Biomechanik)
Im Fokus des Contact Improvisations liegt die Kommunikation, welche nicht wie viele Kommunikationsmittel über die Distanz geschieht, sondern vor allem die Berührung als „Sprache“ verwendet wird. Wer sich dazu entscheidet diesen Tanzstil auszuführen, entscheidet sich demnach auch für eine Kommunikation über Berührung mit seinen Tanzpartnerinnen und Tanzpartnern. Es entsteht ein während der Ausführung ein körperlicher-seelischer Dialog durch Bewegung, allerdings müssen die Tänzerinnen und Tänzer nicht immer in einem körperlichen Kontakt zueinander stehen: „wenig Berührung schafft Isolation – Berührung durchbricht Isolation“ (Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 59), allerdings kann die Kommunikation durchaus auch über eine größere räumliche Entfernung aufrecht erhalten werden. (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 59.) In der Improvisation gilt die Berührung als wichtigstes Kommunikationsmittel, sie sensibilisiert und führt zu Behutsamkeit. Außerdem führt sie dazu sich den eigenen und fremden Körpergrenzen bewusst zu machen, sich gegenseitig zu unterstützen und Vertrauen zueinander aufzubauen (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 59.).
Um ein entsprechendes Vertrauen aufzubauen, geschieht die Kommunikation vorerst über eine positive Hinwendung durch Augenkontakt, Aufmerksamkeit sowie Interesse zur Partnerin bzw. zum Partner. Wichtig, dass eine Kommunikation gelingt, ist dabei die persönliche ‚Comfortzone‘ zu respektieren und ‚nicht mit der Tür ins Haus zu fallen‘. Denn wer respektiert bekommt eher eine Einladung weiter in ‚conatct‘ zu tanzen, was dazu führen kann sich selbst wieder zu finden, zu unterstützen, aber auch körperliche und emotionale Risiken einzugehen. Eben Kontrolle aufzugeben und die Isolation durch Berührung und die damit verbundene Bewegung zu durchbrechen (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 60).
Dadurch, dass es keine vorgeschriebene Choreographie gibt, sondern sich ein Tanz immer neu kreiert, kommunizieren auch die Tänzerinnen und Tänzer immer neu und im „hier-und-jetzt“ auf der Basis, was sich gerade zu diesem Zeitpunkt ereignet. Der Austausch und die Kommunikation durch die gemeinsamen Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer ist das vorherrschende Thema der Contact Improvisation, welche sich sowohl mit der Intuition, der Ästhetik und der Physikalität befasst (vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 62f.).
verfasst von Anne Lenhard (Körperinszenierung)
Blickt man auf die Entstehungsgeschichte der Kontaktimprovisationen stellt man fest, dass Diese ihren Ursprung in den 60er und 70er Jahren haben- eine Zeit in der die gesellschaftliche Ausrichtung auf das Allgemeinwohl, ein friedliches Miteinander und Gleichheit ausgerichtet war. Kontaktimprovisationen schließen thematisch daran an. Das gemeinsame Spiel der Tanzenden mit dem gegenseitigen Verlagern von Gewichten und dem gemeinsamen Lösungssuchen führt bestenfalls zu einem spannenden und vielfältigen Improvisationserlebnis, das auf Körperkommunikation beruht. Sogenannte „Flow“ Momente, in dem es zu einem Bewegungsfluss kommt, können nur entstehen, sofern alle Beteiligten das eigene Ego zurückstellen um sich auf diese Weise auf die Kommunikation mit den anderen Teilnehmenden einlassen. (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001,. S. 33.)
Im Gegensatz zu vielen Sportarten oder Tanzrichtungen stehen bei den Kontaktimprovisationen nicht das perfekte Ausführen von Bewegungen im Vordergrund. Die Tanzenden befinden sich in einem Wertungsfreiem Raum in dem es keine Zuschreibungen von richtig oder falsch gibt. So ist es möglich, dass auch unerfahrene Tänzerinnen und Tänzer mit bereits erfahrenen Teilnehmenden agieren und es gemeinsam zu einem experimentellen, bereichernden Erlebnis kommt. Alle Teilnehmenden entscheiden in jeder Situation der Improvisation inwiefern das eigene Gewicht abgegeben oder fremdes Gewicht angenommen werden soll. Durch diese ständige neu-Verhandlung ist zuvor völlig ungewiss, ob die eigenen Erwartungen und Wünsche in der Improvisation auch umgesetzt werden. Verläuft eine Bewegung unerwartet, nicht so wie erwünscht, bedeutet das in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei einfach nur nicht um den richtigen Zeitpunkt dafür handelte. Contact Improvisation bedeutet hierbei auch, nichts zu erzwingen und das was in einem Moment nicht ‚funktioniert‘ zu akzeptieren. (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 34.)
In der Literatur wird die Kontaktimprovisation als Modell eines sozialen Systems angesehen. Wie in einer Gesellschaft, hat jeder die Freiheit über sich selbst und sein eigenes Handeln zu bestimmen. In der Improvisation zeigt sich dies in Form von Bewegungen und Grenzen. Dennoch besteht auch eine gegenseitige Abhängigkeit, da nur durch die Körperkommunikation mit den Mit-Improvisierenden ein Bewegungsfluss zu stande kommt. (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 34.) Dennoch bricht die Kontaktimprovisation auch gesellschaftliche Normen und Werte. In den meisten heutigen Gesellschaften und Kulturkreisen ist gegenseitiger Körperkontakt, sofern es sich dabei nicht um engste Familienangehörige oder die Partnerin und den Partner handelt tabuisiert und unüblich. Während einer Kontaktimprovisation kommt es zu einem ständigen immer wiederkehrenden Kontakt zu anderen Körpern. Die Berührungen haben hierbei allerdings keine Konsequenzen für die Teilnehmenden, die über die Improvisation hinaus gehen. Berührungen sind nicht unweigerlich mit Bedeutungen konnotiert und so können die Teilnehmenden Erfahrungen außerhalb gesellschaftlich auferlegten Grenzen und Tabus erfahren. Es kann im Bewegungsfluss auch zu Berührungen in sexuellen ‚Tabuzonen‘ kommen, durch den Bewegungsfluss (Flow) werden diese jedoch nicht wie im Alltag als solche wahrgenommen, sondern verlieren dabei ihre sexuelle Aufladung. (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 35.)
Die Kontaktimprovisation kann jedoch nicht nur vermeintliche Grenzen zwischen den Geschlechtern auflösen – auch ‚typisch männlich‘ oder ‚typisch weiblich‘ Bewegungen können hier vom jeweils anderen Geschlecht entdeckt werden: Ein kräftiger, muskulöser Mann kann sich ebenso sanften, fließenden Bewegungen hingeben, wie eine zierliche Frau kraftvolle Gewichte anderer Tanzenden stemmen kann. In dieser Hinsicht spielt es wiederum keine Rolle welche Größe, Statur oder welches Gewicht die beteiligten hierbei mitbringen, da die Stabilität nicht in erster Linie durch Muskelkraft entsteht, sondern durch eine optimale Ausrichtung der Körper. (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 36f.)
Das Publikum von Kontaktimprovisationen unterscheidet sich ebenfalls zu dem der üblichen Tanzaufführungen. Das Ziel ist nicht das Publikum zu beeindrucken, sondern es an der Improvisation teilhaben zu lassen und ein gemeinsames Erlebnis zu erfahren, welches alle Körpersinne anspricht. Die intensive Kommunikation zwischen den Teilnehmenden untereinander aber auch zwischen Teilnehmenden und Publikum, führt oftmals dazu, dass das Publikum spontan in Tanzbewegungen einsteigt. (Vgl. Kaltenbrunner, T.: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001, S. 37f.)
verfasst von Elena Schopphoven
Kontaktimprovisationen stellen ein bereicherndes Erlebnis dar, was auf das praktizierende Individuum selbst, auf die praktizierenden Individuen untereinander und auf die Zuschauenden, positive Auswirkungen zeigt. „Die / Der Andere“ ist essentiell für eine gelungene Improvisation, denn eine Contact Improvisation durchzuführen ist nur als Tandem oder in der Gruppe möglich. Obwohl jeder Teilnehmende auch Momente „für sich “ hat, würde in einer alleinigen Improvisation schließlich der Aspekt des „Contact“ fehlen. Das Wechselseitige Abgeben und Anehmen von Gewicht stärkt einerseits das Selbstvertrauen, aber auch das Vertrauen zur Anderen / Zum Anderen / Zu den Anderen. Der Vertrauenszuwachs erleichtert es, sich auf neue Wahrnehmungsweisen einzulassen, denn in einer unangenehmen, oder skurrilen Situation würde sich das Individuum eher zurückziehen. Kontaktimprovisationen wirken sich somit positiv auf die Körper- und Seelenebenen der Teilnehmenden aus und haben auf Grund dessen auch in Körpertherapien Berechtigung. An dieser Stelle ist nochmals zu betonen, dass keinerlei körperlichen Voraussetzungen für eine Kontaktimprovisation notwendig sind und die körperlichen Merkmale der Teilnehmenden irrelevant sind.
Der Balletttrainer Martin Puttke, der eine unserer Seminarsitzungen leitete, merkte an, dass Körperkontakt mit Fremden, sogar aber der Körperkontakt bei Korrekturen seiner Balletschülerinnen und Balletschüler in unserer heutigen Gesellschaft ein Problem darstellt. Die „Berührungsangst“ unserer Gesellschaft, rühmt sicherlich auf einer häufigen Sexualisierung von Körpern- vor allem der Körper des anderen Geschlechts. Wir konnten die Kontaktimprovisationen als Möglichkeit kennenlernen, diese Denkweisen zu lösen und sich neu zu öffnen.
Hinsichtlich unserer Eingangsfrage möchten wir die Kontaktimprovisation jedoch anders positionieren als wir es eingangs taten. So sehen wir die Kontaktimprovisation nicht als direktes Bindeglied in der Körperkommunikation, sondern vielmehr als körperliche Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen durch kreative und kommunikative Tanzbewegungen. An dieser Stelle möchten wir noch einen Ausblick auf die Kontaktimprovisationen zur Körpertherapie bei Menschen mit Behinderungen geben, die wir in diesem Wiki aufgrund des Umfangs nicht behandeln konnten. Hierzu möchten wir auf das folgende Video verweisen.
verfasst von Elena Schopphoven
Kaltenbrunner, Thomas: Contact Improvisation: bewegen, tanzen und sich begegnen; mit einer Einführung in New Dance, Meyer & Meyer, Aachen, 2001
Kirschner, Werner: Musik-, Tanz- und Kunsttherapie, Band 11, Heft 2, Hogrefe Verlag, 2000