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WP2003 Richtungswechsel

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Modul-Titel WP2003
Veranstaltung PS Biomechanik
Autor Lukas Reichert, Maximilian Thomasberger, Emre Canova, Jannik Rantzsch
Bearbeitungsdauer 45 Minuten
Präsentationstermin ..
Status Finalisiert
Zuletzt geändert 30.06.2020

Einführung

Richtungswechsel (eng. Change of Direction = COD) haben in vielen Sportarten eine große Bedeutung. Durch abrupte Richtungswechsel kann ein Athlet einen Punkt erzielen oder eine völlig neue Spielsituation kreieren. Das nachfolgende Video zeigt den Fußballer Arjen Robben, wie er sich aufgrund eines Richtungswechsel einen Vorteil verschaft. Für ihn war der Richtungsechsel von der Seitenlinie parallel zur Strafraumkante typisch um in eine gute Torabschlussposition zu kommen.

Wie im Video gesehen haben Richtungswechsel also eine große Bedeutung im Sport. Aus diesem Grund wurde die Fähigkeit für einen Richtungswechsel ausführlich mit verschiedenen Sportlern untersucht (Sheppard & Young, 2006).

Die meisten Untersuchungen, wie z.B. Besier et al. (2001) oder Jeffriess et al. (2005) beschäftigten sich mit Richtungswechseln im Zusammenhang mit Verletzungen. Die Untersuchungen der Verletzungsforschung konzentrierten sich zu meist auf die Bodenreaktionskräfte, Gelenkkinetik und Gelenkkinematik.

Im Gegensatz zur Verletzungsforschung bewertet die Leistungsforschung die Fähigkeit zum Richtungswechsel anhand der Gesamtzeit (Chaouachi et al., 2012; Gabbett et al., 2008).

Neuere Studien haben allerdings begonnen die Richtungswechselfähigkeit mit isolierten Messungen zu bewerten. So wird beispielsweise die Eintritts- und Austrittsgeschwindigkeit vor und nach dem Richtungswechsel bestimmt oder der Massenschwerpunkt während der gesamten Bewegung erfasst.

In der Praxis ist die Gesamtzeit als Bewertungskriterium für die Richtungswechselfähigkeit allerdings als valide Messmethode angesehen. Die Wissenschaft warnt aber davor die Gesamtzeit zu nutzen, da die Gesamtzeit stark von der Sprintfähigkeit abhängt (Nimphius et al., 2013, 2016). Viele Tests zur Messung der Richtungsänderungsfähigkeit beinhalten möglicherweise falsche Messgrößen. Dadurch kommt es zu fehlerhafter Interpretation der Tests. Aus der fehlerhaften Interpretation folgen wenig erfolgversprechende Trainingsprogramme, da die Schwerpunkte des Trainings aufgrund der Tests fehlerhaft verteilt werden.

Das nachfolgende Wiki definiert im ersten Schritt den Begriff „Richtungswechsel“. Anschließend zeigt es die wichtigsten biomechanischen Parameter auf, die Einfluss auf einen Richtungswechsel haben. Als nächstes werden die gängigsten Messmethoden dargestellt und ein praktischer Übertrag zum Training der Richtungswechsel geschaffen. Zum Schluss gibt das Wiki einen kleinen Ausblick und zeigt Forschungslücken zum Thema Richtungswechsel auf.

(Verfasst von: Jannik Rantzsch)

Definition

Ein Richtungswechsel ist eine Ganzkörperbewegung, bei der sich die Geschwindigkeit und Richtung des Körpers verändern (Sheppard & Young, 2006). Richtungswechsel können unter geplanten Bedingungen sowie auch während Agilitätsbedingungen, infolge eines Reizes, auftreten (Nimphius et al., 2018)

(Verfasst von: Jannik Rantzsch)

Biomechanische Parameter

Wie im Eingangsbeispiel (Arjen Robben) dargestellt, spielt die Fähigkeit, möglichst schnell die Richtung wechseln zu können, eine zentrale Rolle für den Erfolg in multidirektionalen Sportarten. Bei der Durchführung von Richtungswechseln wirken jedoch verschiedene biomechanische Kräfte und Parameter auf den Körper ein, welche von dem Winkel des Richtungswechsels sowie der Geschwindigkeit, mit der der Richtungswechsel durchgeführt wird, abhängig sind. Ziel dieses Abschnitts ist es, diese Parameter zu untersuchen und darzustellen, welchen Einfluss die Geschwindigkeit und der Winkel haben. Die Technik zum Durchführen von Richtungswechseln soll hierbei eine untergeordnete Rolle einnehmen. Für weitere Infos, gerne in das Wiki „Return to Sport“ unter dem Reiter „Biomechanische Überleitung“ schauen: WP2004 Return-to-Play

Kniegelenksbelastung

Die Winkel im Knie können beispielsweise durch Motion Capturing bestimmt werden und spielen eine wichtige Rolle in der Beurteilung des Risikos für Kreuzbandverletzungen. Bei der Durchführung von Richtungswechseln weisen Athleten einen größeren Knievalgus, höhere Bodenreaktionskräfte sowie einen geringeren Knieflexionswinkel, bei spitzeren Richtungswechseln (z.B. 180 vs. 45 Grad), auf. Betrachtet man den Einfluss der Geschwindigkeit während des Richtungswechsels, können höhere Geschwindigkeiten ebenfalls zu einer Valgusstellung im Knie führen. Da diese Parameter Risikofaktoren für einen Kreuzbandriss darstellen, lässt sich daraus schlussfolgern, dass scharfe Richtungswechsel sowie hohe Geschwindigkeiten bei diesen, die Kniegelenksbelastung erhöhen und das Verletzungsrisiko bzgl. der Ruptur des vorderen Kreuzbands steigern. Eine Möglichkeit die Kniebelastung zu reduzieren, wäre die Geschwindigkeit bei scharfen Cuts zu reduzieren. Da eine hohe Geschwindigkeit jedoch eine Determinante für eine bessere Leistung ist, steckt der Athlet hierbei in einem „performance-injury conflict“. Vertiefende Informationen über Risikofaktoren bzgl. einer Bandverletzung des Knies finden sie in folgendem Wiki: WP2005 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Bandverletzungen der unteren Extremität

Bodenreaktionskräfte

Die Bodenreaktionskräfte können mit Hilfe einer Kraftmessplatte gemessen werden. Dabei werden vor allem die letzten beiden Schritte untersucht. Spitzere Winkel bei Richtungswechsel führen im Vergleich zu stumpferen Winkeln zu höheren Brems- und Antriebskräften und somit zu höheren Bodenreaktionskräften. Gleiche Befunde wurden bei der Durchführung bei Richtungswechseln mit höheren Geschwindigkeiten festgestellt. Betrachtet man den vorletzten Schritt genauer, lässt sich feststellen, dass bei diesem die Bodenreaktionskräfte bei spitzer werdendem Winkel ebenfalls zunehmen. Diese können sogar größer sein als beim letzten Schritt. Hierbei wird die Wichtigkeit des vorletzten Schritts klar: höhere Bremskräfte bei diesem, können zu einer geringeren Kniebelastung während des letzten Schritts führen. Ein Problem dabei ist jedoch, dass bei ungeplanten Richtungswechseln (z.B. schnelles Reagieren auf eine Spielsituation) der Athlet häufig keine hohen Bremskräfte beim vorletzten Schritt aufbringen kann, wodurch sich die Kniegelenksbelastung beim letzten Schritt erhöht.

Bodenkontaktzeiten

Wie bereits oben aufgeführt, erhöhen sich die Brems- und Antriebskräfte bei spitzen Richtungswechsel-Winkel. Um größere Bodenreaktionskräfte bei spitzeren Winkeln aufbringen zu können, erhöht sich automatisch die Bodenkontaktzeit. Interessanterweise wird die Bodenkontaktzeit bei Richtungswechseln mit hoher Geschwindigkeit geringer, als bei solchen mit niedriger Geschwindigkeit.

Muskelaktivierung

Bei der Durchführung eines Richtungswechsels spielt insbesondere die Beinmuskulatur eine entscheidende Rolle. Um die Bewegung abzubremsen, arbeitet der Quadrizeps vor allem exzentrisch. Die Hamstrings stabilisieren währenddessen das Knie und haben eine schützende Funktion für das vordere Kreuzband. Durch die Co-Kontraktion von Knieflexoren und Knieextensoren ist es möglich, die hohen Belastungen während eines Richtungswechsels zu tolerieren. Diese müssen entsprechend trainiert werden, um hohe Bodenreaktionskräfte aufbringen zu können. Höhere Bremskräfte sind dabei eine Determinante für eine bessere Leistung beim Richtungswechsel.

Einfluss auf die Gesamtleistung

In bisherigen Abschnitten wurde der Einfluss von Geschwindigkeit und Richtungswechsel-winkel auf biomechanische Parameter erörtert. Um eine Überleitung zur Praxis zu schaffen, soll im Folgendem deren Einfluss auf die Leistung bei Richtungswechseln dargestellt werden:

Ein entscheidender Faktor neben der linearen Geschwindigkeit und einer schnellen Eintrittsgeschwindigkeit ist die geringste Geschwindigkeit während eines Richtungswechsels. Dieser Wert kann als Prädiktor dafür gelten, wie gut ein Athlet seine Bewegung abbremsen kann. Ist er also in der Lage eine möglichst hohe Geschwindigkeit vor dem Richtungswechsel möglichst schnell abzubremsen (=hohe Abbremskraft), könnte dies zu einer besseren Leistung bei Richtungswechseln führen. Da, wie oben dargestellt, vor allem exzentrische Beinmuskelarbeit notwendig ist, um hohe Bodenreaktionskräfte zu entwickeln, könnten solche Athleten, mit hoher exzentrischer Beinkraft, in der Lage sein, höhere Eintrittsgeschwindigkeiten zu tolerieren, größere Bodenreaktionskräfte zu entwickeln und somit schnellere Richtungswechsel durchzuführen. Durch unvorteilhafte Kniegelenkswinkel und einer hohen Kniegelenksbelastung bei v.a. scharfen Cuts (z.B. 180 Grad), sind Athleten jedoch einem Verletzungsrisiko bzgl. dem vorderen Kreuzband ausgesetzt. Natürlich spielt die richtige Technik ebenfalls eine Rolle beim Durchführen von Richtungswechseln. Diese soll hier jedoch vorerst unberücksichtigt bleiben.

(Verfasst von: Lukas Reichert) }

Messmethodik

Es gibt eine Vielzahl an Populationen, die zur Beurteilung eines Richtungswechsels verwendet werden. Diese Tests variieren in ihrer Länge, Anzahl der Richtungsänderungen, Richtungswinkel und Bewegungsarten. Daher ist es schwierig die Ergebnisse der unterschiedlichen Tests zu vergleichen, da sie oft unterschiedliche Anforderungen an verschiedene Kombinationen von körperlichen Fähigkeiten stellen können. Bestimmte Tests zum Richtungswechsel können in der Zeit und Entfernung lang genug sein, sodass die anaerobe Kapazität einen kritischen Faktor für die Leistung darstellt und sich daraus nicht erkennen lässt, ob die Änderung der Leistung auf die verbesserte Fähigkeit des Richtungswechsels oder auf der verbesserten anaeroben Kapazität zurückzuführen ist. Darüber hinaus können verschiedene Tests für einen Richtungswechsel unterschiedliche Größenordnungen von körperlichen Anforderungen, beispielsweise exzentrische oder konzentrische Kräfte, sowie technischen Anforderungen, beispielsweise kurvenförmige Laufmuster zur Aufrechterhaltung oder schnellen Verlangsamung der Geschwindigkeit, haben.

Wie bereits in der Einleitung angedeutet, ist die Gesamtzeit ein gern genutztes Bewertungskriterium, um die Fähigkeit des Richtungswechsels zu beurteilen. Eine hohe Anzahl dieser Tests neigen dazu, eine relativ große Menge an linearen Sprints aufzuweisen, welche einen großen Einfluss auf die Gesamtzeit für die Bewertung haben. Im nachfolgenden werden einige Test zum Richtungswechsel näher erläutert:

Der Pro-Agility-Shuttle-Test wird mit linearen Sprints und zwei Richtungswechsel von 180° durchgeführt. Wie in der nachfolgenden Darstellung zu sehen, wird in diesem Test wesentlich mehr Zeit im linearen Sprint verbracht als im Richtungswechsel.

Abb.1 Pro-Agility-Shuttle-Test

Die Athleten starten selbstständig von der markierten Start-/Zielposition. Zunächst sprintet die Person vom Mittelpunkt 5 Meter zum Wendepunkt B, danach 10 Meter zum Wendepunkt C. Anschließend überläuft sie die 5 Meter entfernte Start-/Zielposition in maximalem Tempo. Nach einer kurzen Pause erfolgt der gleiche Ablauf in die entgegengesetzte Richtung.

Der 5-0-5-Test befasst sich auch mit einem Richtungswechsel von 180°, benötigt aber zwei lineare Sprints von 5 m. In dem anschließenden Video wird gezeigt, wie der 5-0-5-Test gemessen wird:

Eine weitere Testmöglichkeit ist der sogenannte „T-Test“. Dieser bildet die Anforderung an eine multidirektionale Schnelligkeit durch verschiedene Bewegungsmuster (Vorwärts-, Seitwärts- und Rückwärtslauf) und mehrere Richtungswechsel:

Abb. 2: Ablaufschema des T-Tests

Die Athleten sprinten vom Startpunkt aus zur Markierung (B) und laufen seitlich weiter zur Markierung (C). Danach läuft der Athlet seitlich zur Markierung (D). Anschließend kehren sie wieder seitlich zur Mitte (B) zurück und laufen schnellstmöglich rückwärts bis zum Startpunkt (A). Der Test wird zweimal durchgeführt, wobei der zweite Test in die entgegengesetzte Richtung erfolgt.

Ein letztes Beispiel für einen Test zum Richtungswechsel ist der Richtungswechsel- und Beschleunigungstest (eng. Change-of-Direction and Acceleration Test = CODAT). Dieser wurde entwickelt, um die Richtungswechselgeschwindigkeit im Sport zu beurteilen und umfasst einen linearen 5 m-Sprint, 45°- und 90°- Kurven, 3 m-Sprints nach links und rechts sowie einen linearen 10 m-Sprint am Ende. Dies wird im nachfolgenden Bild veranschaulicht:

Abb. 3 CODAT

Jeder Test kann die tatsächliche Leistung im Richtungswechsel schmälern, die eine große Menge an linearen Sprints aufweisen, daher kann z. B. ein Athlet einen schlechten/langsamen Richtungswechsel hinlegen, es aber durch seinen linearen Sprint wieder gut machen. Da ein Training mit linearer Geschwindigkeit nicht auf eine Verbesserung der Leistung des Richtungswechsels übertragen werden soll, werden sie als separate physische oder athletische Qualitäten betrachtet. Um dem Sportler bessere Informationen zu liefern, sollte sich ein Test daher mehr auf das konzentrieren, was während des Richtungswechsels passiert, als auf die Gesamtdauer eines Tests, bei dem die lineare Geschwindigkeitskapazität vorwiegend bewertet werden kann.

Die Bewertung der Leistung im Richtungswechsel wird sowohl mit den im Vorgang vorgestellten Tests als auch mit laborgestützten biomechanischen Analysen umfassend untersucht. Die vorgestellten Tests können einfacher und schneller durchgeführt werden, obwohl das Hauptergebnis die Zeit für die Durchführung einer spezifischen Aufgabe ist. Im Gegensatz dazu kann eine laborgestützte Analyse eines Tests für den Richtungswechsel detailliertere Informationen wie Bodenreaktionskraft (eng. Ground-Reaction-Forces = GRF), Kontaktzeit, Gelenkmomente und -winkel, Winkelgeschwindigkeiten und elektromyographische Analyse liefern.

Ein 3D-Bewegungsanalysesystem ermöglicht es, Bewegungen aufzuzeichnen und daraus Positionen, Gelenkwinkel, Geschwindigkeiten und Bewegungsdistanzen zu messen und diese Bewegungen zu verschiedenen Zeiten zu vergleichen. Eine solche Analyse gibt dem Athleten klare Informationen über die Ursachen von Verletzungen, Muskelschwäche und den Grad der Bewegungsverbesserung. Im Allgemeinen wird diese Methodik als „Human Motion Analysis“ (HMA) oder auch als „Motion Capture“ bezeichnet. Die Methode kann zudem zu der Marker-Based-Methoden zusammengefasst werden, die im Labor stattfinden. Diese reflektierenden Markierungen werden auf Personen oder Objekte angebracht und von mehreren Infrarotkameras mit einer Genauigkeit von weniger als 1 mm erfasst. Mit diesen Informationen ist es beispielsweise möglich die Verläufe der Gelenkwinkel beim Laufen oder Springen zu bestimmen (Kinematik). Zusätzlich können zeitsynchron wirkende äußere Kräfte mit Hilfe von Kraftmessplatten bestimmt werden (Kinetik). Diese Kräfte können mit Hilfe anthropometrischer Modelle des Körpers (inverse Dynamik) in die Gelenke umgewandelt werden, um beispielsweise die Belastungen der Gelenke zu bestimmen. Es ist auch möglich die Muskelaktivität zu messen (Elektromyographie), um so Aussagen über die Steuerung des Muskelgelenks zu erhalten. Genau dies zeigt das nachfolgende Video:

Für zusätzlichen Input kann gerne das Wiki zu Motion Capturing angeschaut werden : WP1612 Motion Capturing

(Verfasst von: Maximilian Thomasberger)

Praktischer Übertrag

Die bisherigen Studien über CODs lassen logische Rückschlüsse für das Trainieren von CODs zu. Effiziente CODs unterliegen, wie bereits erwähnt, mehrfaktoriellen Einflüssen wie dem physiologischem Zustand, der linearen Sprintfähigkeit, der situativ-kognitiven Wahrnehmung und der technischen Ausführung des Athleten.

Das Trainieren von CODs unterliegt daher einer komplexen Vorbereitung und folgt dabei zwei Primärzielen: Ein Ziel ist der effizientere Vollzug des Richtungwechsels, um eine beispielsweise vorteilhaftere Spielsituation zu schaffen. Ein weiteres Ziel ist das Vermeiden von Verletzungen (Prävention), da während und durch die Wende die meisten Sportverletzungen ohne Gegnereinwirkung geschehen.

Physiologisch betrachtet ist für eine effiziente Wende, eine Grundmobilität der Gelenkstrukturen (vor allem in der Hüfte und Wirbelsäule) Voraussetzung. Zudem spielt das Kraftpotenzial der Rumpf- und Beinmuskulatur in der Brems- und sowie Beschleunigungsphase eine gewinnbringende Bedeutung. Das Kraftpotenzial für schnelle CODs lässt sich besonders durch Hypertrophie-, Maximal-, Explosiv-, Sprung- und Federkrafttraining entfalten. Die situativ-kognitiven Prozesse haben ebenfalls einen großen Einfluss, da eine effiziente Wende von der Antizipation und der Entscheidungsfähigkeit der Athleten abhängt. Ein weiterer Faktor für eine effiziente und risikofreie Wende, ist eine saubere Technik. Es gibt drei bekannte COD-Techniken, die für verschiedene Wettkampfsituationen als effizient betrachtet werden.

Der Side-Step ist die am häufigsten angewandte und koordinativ simpelste Technik. Hierbei wird der Fuß, der den Richtungswechsel angibt lateral vom Körperschwerpunkt aufgesetzt und in entgegengesetzte Richtung beschleunigt (Abb.4). Die Vorteile beim Side-Step ist die Möglichkeit einem schärferen Winkel die Richtung zu wechseln, die schnellere Umsetzung der Bewegung in die entgegengesetzte Richtung und die kürzere Vorbereitungszeit der Wende. Ein Nachteil ist die hohe lateral-biomechanische Belastung im Sprung- und Kniegelenk (Außen- und Kreuzbänder), die ein Verletzungsrisiko für die genannten Strukturen darstellen.

Abb.4 Side-Step

Beim Crossover-Cut wird der in Bewegungsrichtung liegende Fuß in entgegengesetzter Richtung aufgesetzt, um so die Bewegungsrichtung zu initiieren. Es findet vor dem Richtungswechsel also eine Schwerbewegung der Beine statt. Der Crossover-Cut ist die koordinativ anspruchvollste Technik (Abb.5) und weist den geringsten Geschwindigkeitsverlust von allen drei Techniken nach. Dies ermöglicht eine Wende mit geringerem Kraftaufwand in der Abbrems- und Beschleunigungsphase. Allerdings ist die mediale Belastung des Sprunggelenks durch die hohe Geschwindigkeit sehr hoch.

Abb.5 Crossover-Cut

Der Split-Step ist die Technik mit der höchsten Stabilität in allen Gelenkstrukturen, da hier mit ein Zwischenschritt aus dem beidbeinigem Stand lateral die Wende angesetzt wird (Abb.6). Somit ist diese Wendetechnik, die mit dem geringsten Verletzungsrisiko. Ein weiterer Vorteil ist, dass die neue Bewegungsrichtung in zwei laterale Richtungen möglich ist. Daher ist es beim Split-Step schwierig für den Gegner die neue Bewegungsrichtung zu antizipieren.

Abb. 6 Split-Step

Vorausgesetzt die physiologischen Bedingungen, im Idealfall volles Kraftpotenzial der Rumpf- und Beinmuskulatur, sind gegeben, könnte sich ein COD-Programm beispielsweise progressiv aufbauen. Zum Einstieg würde sich eine reine Technikschulung empfehlen, worin die verschiedenen Techniken detailliert vermittelt und trainiert werden. Im zweiten Schritt kann eine Intensitätssteigerung (bis zur maximalen Leistung) angesteuert werden, um letztendlich unter “Wettkampfbedingungen” die CODs zu simulieren und zu trainieren.

(Verfasst von: Emre Canova)

Diskussion

Ziel unseres Wikis war es, das Thema Richtungswechsel mit Bezug zu Spielsportarten aufzuarbeiten. Wir haben dafür einen eher bewegungs- und trainingswissenschaftlichen Zugang zu diesem Thema ausgewählt, mit genauerem Blick darauf, welche biomechanischen Parameter entscheidend für schnelle Richtungswechsel sind, welche Messmethoden angewandt werden sowie welche praktischen Schlussfolgerungen daraus resultieren. Da ein Großteil der Forschung sich bereits mit dem Thema Richtungswechsel in Bezug auf Verletzungen beschäftigt, haben wir dieses Thema größtenteils nicht weiter ausgeführt. Bei Interesse für dieses Thema können sie in folgendem Wiki mehr erfahren: WP2004 Return-to-Play

Betrachtet man das Thema abschließend, stellt sich die Frage, wie gut die bisherigen Untersuchungsmöglichkeiten wirklich geeignet sind Richtungswechsel valide zu beschreiben und die Anforderungen von Spielsportarten zu untersuchen. Wie oben dargestellt, verwenden die meisten Richtungswechsel-Tests die Gesamtzeit, um die Leistung zu bewerten. Dies macht es jedoch schwierig die eigentliche Richtungswechselfähigkeit zu identifizieren, da die meiste Zeit im linearen Sprint absolviert wird. Eine derzeit erforschte Möglichkeit die Richtungswechselfähigkeit valide zu untersuchen, ist die Untersuchung der Leistung anhand des Richtungswechsels-Defizits. Dabei wird die Gesamtzeit eines Tests mit der Zeit, die zum Abschließen derselben Strecke über eine lineare Strecke benötigt wird, verglichen. Somit wird die eigentliche Zeit ermittelt, die zum Durchführen der Richtungswechsel benötigt wird. Eine weitere Möglichkeit wäre, die einzelnen Zeitabschnitte während verschiedener Richtungswechsel, anstatt der Gesamtzeit, zu erheben. Außerdem spiegelt die Planbarkeit von Richtungswechseln während den meisten Tests, nicht die eigentlichen Anforderungen von Sportspielen dar. Aufgrund der wechselhaften Anforderungen muss immer auf die Aktionen des Gegners reagiert werden. Um diese Art von Richtungswechseln besser zu beschreiben, könnten nicht planbare Richtungswechsel (wie beispielsweise anhand eines Lichtreizes) von Vorteil sein. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um die Richtungswechselfähigkeit, besonders für Spielsportarten, besser abzubilden und genauere Empfehlungen für den Übertrag in die Praxis zu geben.

(Verfasst von: Lukas Reichert)

Fragen

1. Wie hängt die Komponente Kraft, mit der Fähigkeit, schnell die Richtung zu wechseln, zusammen? Spoiler: Ein entscheidender Faktor, einen schnellen Richtungswechsel durchzuführen, ist die Fähigkeit, eine hohe Geschwindigkeit möglichst schnell abzubremsen. Dafür ist eine hohe Bremskraft notwendig. Die Oberschenkelmuskulatur arbeitet dabei vor allem exzentrisch. Je besser also die exzentrische Beinmuskelkraft ausgeprägt ist, desto besser ist der Athlet in der Lage, eine hohe Geschwindigkeit möglichst schnell abzubremsen und die Richtung zu wechseln.

2. Wie gut eignen sich derzeitige Messmethoden, um Richtungswechsel zu untersuchen? Spoiler: Derzeitige Messmethoden nutzen häufig die Gesamtzeit zur Beurteilung der Leistung von Richtungswechsel. Die meiste Zeit absolvieren Athleten dabei jedoch im linearen Sprint, wodurch die gemessene Gesamtzeit nicht optimal sein könnte, die Richtungswechselfähigkeit zu beschreiben. Neuere Ansätze verwenden das Richtungswechsel-Defizit (s.o.) oder betrachten die Zeitabschnitte zwischen mehreren Richtungswechsel genauer, wodurch der Fokus mehr auf den eigentlichen Richtungswechsel gelegt wird.

3. Wie verhält sich die Bodenreaktionskraft, bei der Durchführung eines Richtungswechsels mit spitzem Winkel im Vergleich zu einem Richtungswechsel mit einem stumpfen Winkel? Spoiler: Spitzere Winkel bei Richtungswechsel führen im Vergleich zu stumpferen Winkeln zu höheren Brems- und Antriebskräften und somit zu höheren Bodenreaktionskräften.

4. Bei welcher COD-Technik ist die biomechanische Belastung am geringsten? Spoiler: Der Split-Step stellt die Technik mit der geringsten biomechanischen Belastung dar. Denn der Split-Step wird mit einem Zwischenschritt aus einem beidbeinigen Stand initiiert. Die einwirkenden Abbrems- und Beschleunigungskräfte auf die Gelenkstrukturen verteilen sich somit auf beide Beine.

Literatur

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Abbildungsverzeichnis:

https://www.youtube.com/watch?v=AneURANYSuM&feature=emb_logo: 19.06.20

https://www.youtube.com/watch?v=uPn26JbRN4g: 19.06.20

https://www.youtube.com/watch?v=wIdssXTH1I8: 19.06.20

http://www.vbg.de/DE/3_Praevention_und_Arbeitshilfen/1_Branchen/11_Sport/02_HANDBALL/2_Diagnostik_Versorgung/01_Funktionelle_Tests/03_Schwerpunkt_Agilität/Schwerpunkt_Agility_node.html 19.06.20

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