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WP2004 Return-to-Play

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Modul-Titel WP2004
Veranstaltung PS Biomechanik
Autor Nils Brendel; Dennis Eckstein; Lisa Schulte; Leander Sielaff
Bearbeitungsdauer 60 Minuten
Präsentationstermin ..
Status fertig
Zuletzt geändert 25. Juli 2020

1. Einleitung

Nach Verletzungen im Sport stellen sich die Athleten häufig die Frage, wann sie wieder in ihre Sportart einsteigen können und ihre vorherige Leistungsfähigkeit wiedererlangen. In diesem sogenannten Return-to-Play Prozess spielen auch Biomechanische Parameter eine wichtige Rolle. Durch sie lassen sich Aussage darüber treffen, wann der Spieler wieder in der Lage ist seiner Sportart nachzugehen.

Eine der häufigstens Verletzungsarten im Mannschaftssport ist der vordere Kreuzbandriss (VKB-Riss). In Sportarten, wie z.B. Fußball oder Basketball, ereignen sich ⅔ der VKB-Verletzungen bei Richtungswechseln, Beschleunigungen, Abbremsen oder Landen nach einem Sprung. Im Profisport kehren ca. 83 % der Athleten nach einem VKB-Riss bzw. VKB-Rekonstruktion wieder in den Sport zurück. Die Rezidivrate nach Einsetzen einer VKB-Plastik liegt bei ca. 5,2% (Lai et al. 2018).

In diesem Wiki wollen wir der Frage nachgehen, wie uns die Biomechanik im Hinblick auf den Return-To-Play Prozess nach VKB-Ruptur unterstützen kann und Athleten erst dann wieder ins Mannschaftstraining und Spiel zurückkehren, wenn das Risiko einer erneuten VKB-Ruptur so minimal wie möglich ist.

(verfasst von Lisa Schulte)

1.1 Anatomische Grundlagen des Knies

Das Kniegelenk (articulatio genu) ist eines der wichtigsten Gelenke zur Fortbewegung des Menschens. Es wird als sogenanntes „Dreh-Scharnier“ Gelenk bezeichnet und besteht aus dem Zusammenspiel von drei Knochenelementen:

  • Oberschenkelknochen (Femur)
  • Unterschenkelknochen (Tibia)
  • Sesambein (Patella)

Wenn man sich das Gelenk genauer anschaut lässt sich der gesamte Komplex in zwei funktionelle Einheiten differenzieren (zwei Gelenke):

  • dem Femorpattelargelenk (Articulatio femoropatellaris) zwischen dem Oberschenkelknochen und der Kniescheibe
  • dem Femortibialgelenk (Articulatio femortibialis) zwischen dem Oberschenkelknochen und dem Unterschenkelknochen

Durch diesen anatomischen Aufbau ist eine Beugung und Streckung des Gelenks gewährleistet. Dabei gleitet die Kniescheibe in einer speziellen schmalen Rinne über den Oberschenkelknochen.

Das gesamte Kniegelenk als reines Gelenk weist wenig Stabilität auf. Erst durch diverse Sehnen und Bänder (Ligamenti) wird sowohl die notwendige Stabilität als auch die erforderliche Flexibilität gewährleistet. Die wichtigste Funktion übernehmen hier die sogenannten Kreuzbänder, welche sich in der Kapsel des Kniegelenks befinden. Hierbei differenzieren wir zwischen dem:

  • vorderen Kreuzband (Ligamentum cruciatum anterius) und
  • dem hinteren Kreuzband (Ligamentum cruciatum posterius)

Die Kreuzbänder verlaufen gegenläufig zwischen dem Oberschenkel- und dem Unterschenkelknochen und sorgen durch permanente Spannung gegen das Vor- oder Zurückgleiten der beiden Knochenstrukturen zueinander.

Um dem Gelenk in seitliche Richtung (sowohl lateral als auch medial) Stabilität zu gewährleisten verlaufen sowohl außen als auch innen am Knie die sogenannten Seitenbänder. Diese unterteilen sich in:

  • Das Innenband (Ligamentum collaterale mediale) verläuft an der Innenseite des Knies vom Oberschenkelknochen zum Schienbeinschaft
  • Das Außenband (Ligamentum collaterale laterale) verläuft an der Außenseite des Knies vom Oberschenkelknochen zum Wadenbeinköpfchen

Die Seitenbänder sind entgegen der Kreuzbänder nur gespannt, wenn das Bein gestreckt (Extension) wird. Neben diesen beiden prägnanten Strukturen lässt sich eine weitere Bandstruktur erkennen, welche dem Gelenk Stabilität verleihen. Über die Kniescheibe zieht die Sehne des großen Oberschenkelmuskels (quadriceps femoris), welche Streckungen des Gelenks gewährleisten. Um zu verhindern, dass die beiden Knochenenden des femurs und der Tibia aufeinandertreffen besitzt unser Kniegelenk sogenannte Pufferstrukturen, welche eine Dämpfung und Pufferung der Kräfte verspricht. Diese Strukturen nennen sich Menisken bzw. Zwischengelenksscheiben oder Knorpelschichten, welche alle Kontaktstellen der Knochenenden überziehen. Die Meniski bestehen aus Bindegewebe und elastischen Knorpel. Die halbmondförmigen Menisken befinden sich zwischen den abgerundeten Enden des Oberschenkelknochens und den eher flachen Kopf des Unterschenkels und gleichen folglich die Formunterschiede aus. Hierbei differenziert man zwischen dem:

  • Innenmeniskus (Meniscus medialis) und dem
  • Außenmeniskus (Meniscus lateralis)

Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass der Innenmeniskus mit der Gelenkskapsel und dem oben genannten Innenband verwachsen und folglich eingeschränkter in der Bewegung ist. Die Menisken vergrößern die Gelenkflächen und sind druckelastisch, was zu einer höheren Kräfteverteilung führt.

(verfasst von Nils Brendel)

2. Biomechanische Überleitung

Kräfte machen sich durch ihre Wirkung auf ruhende oder bewegte Körper bemerkbar. Sie können Körper verformen oder den Bewegungszustand eines Körpers ändern. Newtons Gesetze beschreiben die Verhältnisse zwischen den Kräften, welche auf den Körper wirken und die Auswirkungen dieser Kräfte auf die menschliche Bewegung.

1. Newton’sches Gesetz (Trägheitsprinzip): Jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder gleichförmig geradliniger Bewegung, solange keine Kraft auf ihn wirkt.

2. Newton’sches Gesetz (Aktionsprinzip): Wirkt auf einen Körper eine Kraft, so wird er in Richtung der Kraft beschleunigt. Die Beschleunigung ist der Kraft direkt, der Masse des Körpers umgekehrt proportional. ( F = ma )

3. Newton’sches Gesetz (Reaktionsprinzip): Besteht zwischen zwei Körpern A und B eine Kraftwirkung, so ist die Kraft, welche von A auf B ausgeübt wird, der Kraft , die B auf A ausübt entgegengesetzt gleich. („Actio = Reactio“)

Zusätzlich zu den Kräften sind Drehbewegungen - Rotationen - biomechanisch gesehen essentiell für den Menschen: nahezu alle Bewegungen des menschlichen Körpers sind Rotationen von Gliedmaßen um Drehachsen, die meistens durch die Gelenke vorgegeben sind. Für die Angabe der „Drehkraft“ ist es wichtig, neben der Kraft F selbst noch den Abstand r der Kraft von der Drehachse anzugeben. Somit ergibt sich die Formel für das Drehmoment: M = r * F . Die Einheit des Drehmoments ist Nm (Newtonmeter).

Um die auf das Kniegelenk wirkenden Kräfte und Drehmomente vereinfacht darzustellen, wird oft ein sogenanntes free body diagram (dt.: Freikörper-Diagramm) benutzt. Hat man die Bodenreaktionskräfte und die kinematischen Daten des Körpersegments gegeben, kann man nun die Gelenkmomente sowie die Gelenkkräfte berechnen. Um Berechnungen zu vereinfachen und veranschaulichen, bietet das free body diagram eine gute Lösung, da so alle relevanten Kräfte, Winkel und Längen (Anthropometrischen Daten) den jeweiligen Segmenten zugewiesen werden können .

Das RTP beinhaltet diverse Screenings der Athleten, um sowohl qualitativ als auch quantitativ die relevanten Parameter für die Evaluation des Sportlers zu erheben. Statik-Analysen evaluieren die externalen Effekte von Kräften auf einen starren Körper im Stillstand oder bei einer gleichförmigen geradlinigen Bewegung. Dies bedeutet, dass analysiert wird, welche Kräfte zum Beispiel aufgebracht werden müssen, um eine statische Position einzuhalten. Hier kommen vor allem Kraft- und Druckmessplatten zum Einsatz. Dynamik-Analysen evaluieren Körper in Bewegung und können in zwei Untergruppen unterteilt werden: Kinematik (Geometrie einer Bewegung mit den Größen Ort, Zeit, Geschwindigkeit und Beschleunigung) und Kinetik (physikalische Bewegung mit Berücksichtigung von Kräften und Momenten). Hierzu werden sowohl Kraft- und Druckmessplatten verwendet als auch kinematische Analysen (Motion Capturing) in 2D und 3D.

2.1 Mechanik von Materialien

Die Mechanik von Materialien kann genutzt werden, um biologische Materialien (weiches und hartes Gewebe) zu evaluieren und deren Charakteristika unter verschiedenen „loads“ zu beurteilen. Dabei wird unterschieden zwischen Strukturkomplexen (Knochen-Band-Knochen) und mechanische Eigenschaften von einzelnen Strukturen (z.B Bänder). Strukturelle Eigenschaften von Strukturkomplexen zeigen die Mechanik auf, die beim applizieren von „loads“ (z.B Zug-, Druck- und Scherkräften) auf die jeweiligen Strukturen herrschen. Mechanische Eigenschaften von Geweben werden durch das „stress-strain-Verhältnis“ aufgezeigt und können dazu benutzt werden, um die Qualität im Vergleich von gesundem zu verletztem Gewebe zu evaluieren und deren Heilungsstatus zu bestimmen.

Interessant sind die strukturellen Eigenschaften von vorderen Kreuzbändern verglichen zu den aktuell verwendeten Implantaten zur VKB Rekonstruktion. Sowohl die Stiffness (dt.: Steifheit) als auch die Load-to-failure (dt.: Kraft bis zum Versagen der Struktur) sind den Sehnen, welche zu VKB Plastiken verwendet werden unterlegen.

Das Verstehen der biomechanischen Eigenschaften des Gewebes ist wichtig, um die Verletzungsdiagnose, die Therapie bei und nach Operationen (Rekonstruktionen) und die funktionellen Rehabilitationsstrategien zu verbessern.

2.2 Biomechanische Aspekte der VKB Ruptur

Verletzungen des Kreuzbandes treten auf, wenn die auf das Ligament ausgeübten Kräfte größer sind als die Belastungen, denen es standhalten kann. Es wurde beobachtet, dass VKB-Verletzungen mit einem kräftigen Valguskollaps und einer Tibiarotation bei relativ gestrecktem Knie auftreten. Experimentelle Studien unterstützen diese Beobachtungen, wobei sich gezeigt hat, dass Knievalgus und interne Rotationsmomente, reduzierte Kniebeugung und große anteriore Scherkräfte auf die Tibia die VKB-Belastung erhöhen. Erhöhungen der VKB-Dehnung wurden auch bei internen tibialen Rotationsbewegungen und Belastungen berichtet. Die kritischste Aktion, die viele dieser ungünstigen Stellungen und Kräfte auf das Kniegelenk bedingen ist der explosive Richtungswechsel.

Richtungsänderungsmanöver im Sport werden oft durchgeführt, um einem Gegner im Angriffsspiel auszuweichen. Die Bodenkontaktzeit während des Schritts, mit dem ein Richtungsänderungsmanöver durchgeführt wird, ist ein weiterer Leistungsindikator, der in der gesamten biomechanischen Literatur verwendet wird. Eine reduzierte Bodenkontaktzeit bedeutet, einen schnelleren Richtungswechsel. Als biomechanische Strategien, die sowohl das VKB-Verletzungsrisiko verringern als auch die Leistung steigern, wurden ein Vorfuß-Muster sowie die Rumpfrotation und die laterale Beugung in die vorgesehene Schnittrichtung identifiziert. Die Minimierung der Knievalgus- und Knieabduktionsmomente bei Richtungswechselmanövern kann ebenfalls das VKB-Verletzungsrisiko reduzieren, ohne die Leistung zu beeinträchtigen.

(verfasst von Dennis Eckstein)

3. Return-to-Play

Unter dem Begriff des Return-to-Play versteht man den Prozess der Wiederaufnahme der sportlichen Aktivität in den gewohnten Trainings- bzw. Spielbetrieb nach einer erlittenen Verletzung oder schwerwiegenden Erkrankung. Das American College of Sports Medicine definiert den Begriff folgendermaßen:

„Return to Play is the process of deciding when an injured or ill athlete may safely return to practice or competition.” (Vgl. [1])

Somit beschreibt Return-to-Play (oder der häufig synonym verwendete Begriff „Return-to-Competition“) den gesamten Rehabilitationsverlauf, von der Verletzung bis hin zur vollständigen Genesung. Das übergeordnete Ziel dieses Prozesses ist die erfolgreiche Eingliederung des betroffenen Sportlers ohne Risiken für ihn oder andere (z.B. bei ansteckenden Krankheiten) zu gewährleisten.

Um dies sicherzustellen verläuft der verletzte Athlet in der Regel verschiedene Phasen, welche sich sowohl zeitlich als auch inhaltlich voneinander abgrenzen. Für jede dieser Phasen bestehen Guidelines und Richtlinien, die zur besseren Genesung des Sportlers beitragen und die Belastung so regulieren sollen, dass es zu einem schnellen und dennoch unproblematischen Heilungsverlauf kommt. Zu diesen Richtlinien existiert jedoch kein einheitlicher Konsens, wodurch ein festes und sportart- bzw. verletzungsübergreifendes Ablaufschema fehlt. Grund dafür ist unter anderem auch der multifaktorielle Charakter von Sportverletzung und die damit einhergehende und nötige individuelle Therapie bis hin zur vollständigen Genesung und Wiederherstellung des Gesundheits- und Fitnesszustandes. Denn nicht jeder Kreuzbandriss ist identisch. Es kann beispielsweise zu unterschiedlichen Begleitverletzungen kommen, die den RTP-Verlauf beeinflussen. Natürlich spielen auch Faktoren, wie das Alter, das Geschlecht, die Körperzusammensetzung oder der Fitnesszustand des Betroffenen eine wichtige Rolle. Weiterhin können auch psychologische Faktoren sowie der Verletzungshergang und viele weitere Kriterien die Return-to-Play-Entscheidung maßgeblich verzögern, oder unter optimalen Bedingungen sogar beschleunigen. All das sind Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt und die diesen Prozess so individuell machen. Logischerweise spielt auch die Verletzung an sich eine zentrale Rolle. Für dieses WiKi haben wir uns jedoch – wie oben schon erwähnt – auf die Ruptur des vorderen Kreuzbandes beschränkt.

Für ein besseres Verständnis des gesamten Prozesses werden in den folgenden Absätzen die einzelnen Phasen kurz vorgestellt und die wichtigsten Punkte erläutert (Vgl. [16]):

Return-to-Activity

Dies ist die erste Phase und beschreibt den Übergang von klinischer Versorgung zum allgemeinen Rehabilitationstraining. Nach der erfolgreichen Operation und der darauffolgenden akuten Entzündungsphase sollte die Mobilisation so schnell wie möglich beginnen. Primär wird diese Phase von Physiotherapie, medizinscher Trainingstherapie und weiterer allgemeiner Rehabilitationstherapie geleitet. Im Bezug auf das vordere Kreuzband sollten die Therapie folgendes beinhalten:

  • Regelmäßige Lymphdrainage des Beins
  • Aktive Bewegungsübungen des Sprunggelenks (Unterstützung der Abschwellung)
  • Patella-Mobilisation
  • Elektrostimulation des M. vastus medialis
  • Training der neuromuskulären Ansteuerung mit motorisierten Bewegungsschienen

Weiterhin kommt der Wiederaufnahme der Alltagstauglichkeit eine entscheidende Rolle zu. Hier geht es in erster Linie darum, dem Sportler den Umgang mit Krücken, einer Schiene, o.ä. beizubringen und ihn auch mental wieder in einen geregelten Alltag zu integrieren und Selbstständigkeit zu fördern. Gerade bei einer gravierenden Verletzung, wie der Ruptur des vorderen Kreuzbandes, haben Sportler häufig Probleme bei der mentalen Bewältigung, wodurch teilweise auch psychologische Hilfe sinnvoll ist. Das allgemeine Ziel für Return-to-Activity ist vor allem die Wundheilung, die Wiederherstellung der Beweglichkeit durch passive und aktive Mobilisation sowie eine Stabilisierung der geschwächten Strukturen.

Return-to-Sport

Diese Phase stellt den Übergang vom allgemeinen Rehabilitationstraining zum sportartspezifischen Training dar. Somit darf der Verletzte das erste Mal wieder die Zielsportart ausüben, tut dies allerdings eingeschränkt. So können beispielsweise Individualtraining oder auch kontaktlose Drills problemlos durchgeführt werden, Mannschaftstraining mit Kontakt ist allerdings noch untersagt. Unterstützend wird dieses Training weiterhin von Physiotherapie und allgemeinem Rehabilitationstraining begleitet. Wie beim Return-to-Activity ist auch innerhalb dieser Phase ein kontinuierlicher Anstieg der Belastung möglich und zu erwarten. Der Einstieg sollte daher bedacht und mit geringer Intensität ausgeführt werden. Hier sind vor allem Techniktraining und leichte Laufeinheiten, o.ä. früh wieder möglich. Sprünge, Antritte oder Richtungswechsel sollten nach und nach wieder eingeführt werden, um das Risiko für eine Re-Ruptur zu minimieren. Dennoch sind die frühe Anbindung und der Kontakt zur Mannschaft wichtig, um einen flüssigen Übergang in späteren Phasen zu ermöglichen. Das Ziel ist es dann, den Athleten bestmöglich auf den Wiedereinstieg vorzubereiten. Am Ende dieser Phase sollte uneingeschränktes Fitnesstraining sowie Vollkontakt möglich sein. Je besser das Training in dieser Phase strukturiert ist, desto besser sind die Aussichten auf einen erfolgreichen Return-to-Play-Prozess.

Return-to-Play

Das Return-to-Play ist der kritischste und entscheidendste Schritt des gesamten Prozesses. Hier ist der Übergang vom sportartspezifischen zum uneingeschränkten Mannschaftstraining im Fokus. Wird dieser Schritt zu früh genommen, kann dies das Risiko für eine erneute Verletzung deutlich steigern. Genau an dieser Stelle setzen mögliche Testverfahren an, um die richtige Entscheidung treffen zu können – diese werden hier zu einem späteren Zeitpunkt vorgestellt. In dieser Phase gibt es keine Beschränkungen mehr, wodurch der Sportler wieder gewohnt am Trainingsbetrieb teilnehmen darf. Er ist sogar dazu aufgefordert, da der Vollkontakt im Training einen Härtetest für bevorstehende Wettkampfsituationen darstellt. Ist der Vollkontakt noch nicht möglich, muss das Training wieder zurückgestuft werden.

Return-to-Competition

Diese Phase wird in der Literatur nicht immer zwangsläufig aufgeführt und stattdessen häufig mit Return-to-Play gleichgesetzt und beschreibt hier den Prozess als Ganzes. Somit kann eine weitere Unterscheidung zum Return-to-Play getroffen werden, welche sich auf die Phase des uneingeschränkten Mannschaftstrainings bis hin zum ersten Wettkampf bezieht.



Wie man sehen kann, ist dies eine sehr allgemeine Einteilung in die vier unterschiedlichen Phasen, welche keine weitere Differenzierung innerhalb einer Phase aufweist. Für die Inhalte und Schwerpunkte des Trainings gibt es nur grobe Richtlinien, da hier jeder Sportler individuell betrachtet werden muss und unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt. Trotz der scheinbar fließenden Übergänge, ist jede Phase klar definiert. Für jeden Übergang in die nächste Phase wird die Freigabe durch den behandelnden Arzt benötigt und speziell die Entscheidung zum Return-to-Play ist durch eine große Bandbreite an Testverfahren gekennzeichnet, um sicherzustellen, dass der Athlet bereit ist um zurückzukehren. Dennoch werden von verschiedenen Institutionen immer wieder Versuche unternommen, um den gesamten Prozess transparenter und einheitlicher zu gestalten. Das OS Institut hat beispielsweise einen Algorithmus entwickelt, der über verschiedene Tests und Parameter den Ist-Zustand ermittelt und zu jeder Phase eingesetzt werden kann. Die Ergebnisse helfen dann sowohl dabei, die Trainingssteuerung zu verbessern, als auch fundierte Entscheidungen zu treffen für den weiteren Verlauf zu treffen. Bemühungen wie diese sollen in Zukunft nicht nur den Return-to-Play-Prozess beschleunigen und optimieren, sondern vor allem auch helfen die Kommunikation zwischen allen Beteiligten zu erleichtern.

Abschließend lässt sich sagen, dass jedes Return-to-Play einem individuellen und unter Umständen langwierigen Verlauf zugrunde liegt. Die abschließende Entscheidung, ob ein Sportler wieder in den Spielbetrieb einsteigen darf, sollte mit Bedacht getroffen werden und ist von vielen Faktoren abhängig. Auch der Entscheidungsprozess kann somit länger andauern und wird neben dem Sportler selbst und dem behandelnden Arzt, auch von weiteren Akteuren wie dem Headcoach, Physiotherapeuten und Athletiktrainern beeinflusst.

(verfasst von Leander Sielaff)

3.1 Biomechanische Messungen in Bezug auf das Return-to-Play

Wie für den generellen Ablauf des Return-to-Play-Prozesses, gibt es auch für die Auswahl der Testbatterien keine strikten Vorschriften bzw. keine einheitliche Vorgehensweise. Welche Messungen und Tests letztendlich angewendet werden ist von vielen Faktoren abhängig und kann sich von Sportart zu Sportart, aber auch intradisziplinär von Verein zu Verein deutlich unterschieden.

Ein elementarer Faktor ist dabei, welche Mittel und Testverfahren überhaupt zur Verfügung stehen und in der Praxis umsetzbar sind. Häufig sind es unzureichende finanzielle Mittel, die bereits in der Anschaffung von kostenintensiven Gerätschaften und Messinstrumenten Probleme bereiten können. Viele der heute gängigen Ansätze versuchen hinsichtlich dieser Tatsache vor allem auf besonders praktikable und kostengünstige Testverfahren (z.B. Sprungtests, etc.) zurückzugreifen, welche eine hohe Ähnlichkeit zum Verletzungsmechanismus aufweisen. Trotz ihrer Simplizität geben solche Verfahren gute Aufschlüsse auf den Zustand des betroffenen Sportlers. Diese Ansätze geben dadurch vor allem auch kleineren Vereinen, dem Breitensport oder der privaten Rehabilitation von Sportverletzungen die Möglichkeit, Return-to-Play-Entscheidungen auf Basis von fundierten Tests zu treffen.

Stehen jedoch umfangreichere Mittel zur Verfügung, sollte sich definitiv auf diese gestützt werden. Gerade im Profisport wird das Repertoire an leistungsdiagnostischen Verfahren immer größer und ermöglicht somit eine genauere Ermittlung von wichtigen Kennwerten. Besonders hier sind präzise Messungen von immenser Bedeutung, da eine falsche Entscheidung nicht nur viel Geld kosten kann, sondern auch den weiteren Karriereverlauf des betroffenen Sportlers maßgeblich beeinflusst.

Prinzipiell ist bei allen Messverfahren darauf zu achten, dass neben primären Gütekriterien auch die richtigen Anforderungen an den Sportler und die Sportart gestellt werden. Die Tests sollten daher Bewegungsmuster und Belastungen testen, die während einer echten Spielsituation auftreten. Weiterhin stehen auch Kraft- und Ausdauerwerte der betroffenen Strukturen im Fokus, um einen sicheren und problemlosen Wiedereinstieg zu ermöglichen.

Als zentraler Referenzwert für die meisten Messungen sollte – zusätzlich zu einigen bestehenden Standardwerten – daher immer die Ausgangsleistung vor der Verletzung herangezogen werden. Da auf nahezu allen Leistungsebenen zum Teil große interindividuelle Unterschiede zwischen den Spielern bestehen, ist der Vergleich mit der eigenen Leistung hier am aufschlussreichsten. Das Prinzip des Pre-Screenings und Re-Testings hat somit gerade nach Verletzungen und im Hinblick auf das Return-to-Play eine entscheidende Rolle. Gerade auf professioneller Ebene ist eine regelmäßige Leistungsdiagnostik heutzutage Standard. In solch einer Diagnostik sollten neben Leistungsparametern optimalerweise auch Return-to-Play-Parameter ermittelt werden. Diese Werte geben dann zum einen Aufschluss über den aktuellen Zustand und können zum anderen auch für Verletzungen berücksichtigt werden, um einen Vergleich für das Return-to-Play aufzustellen.

Sind keine Referenzwerte vorhanden, spielt der Seitenvergleich zwischen verletzter und unverletzter Seite eine primäre Rolle. Auch bei einer einseitigen Verletzung, sollte die gesunde Seite daher immer mit getestet werden. Ein Seitenvergleich gibt auch bei nicht-betroffenen Sportlern Informationen über eventuelle Dysbalancen und Asymmetrien. Schafft der Betroffene es für die durchgeführten Tests weder seinen Referenzwert bzw. den ermittelten Cut-Off-Wert, noch einen Seitenunterschied von weniger als 10% zu erreichen, kann der sicherer Wiedereinstieg in den vollständigen Trainings- und Spielbetrieb nicht gewährleistet werden. In einem solchen Fall sollte der Rehabilitationsprozess verlängert und weiterhin ein eingeschränktes Training durchgeführt werden, bis eine neue Evaluation stattfindet.

Aufgrund der Charaktereigenschaften von Bewegungen und Verletzungen am Bewegungsapparat, spielt die Biomechanik bei den meisten dieser Tests eine entscheidende Rolle. Während der Messung von Sprüngen, Antritten und Richtungswechseln sind Größen der Kinematik und Kinetik somit ständige Begleiter. Je nachdem, welche Verletzung vorliegt, welche Mittel zu Verfügung stehen und welche Testverfahren letztendlich ausgewählt werden, können verschiedene Messinstrumente zum Einsatz kommen:


Isokinet

Das isokinetische Testverfahren dient zur Testung der Muskelkraft und ist speziell nach Verletzungen ein geeignetes Mess- sowie Trainingsinstrument. Genauere Informationen dazu finden sich im Wiki-Modul MMB4 Isokinet.


Kraftmessplatte

Die Kraftmessplatte ist ein, in der sportwissenschaftlichen Forschung, häufig eingesetztes Instrument. Dabei sind unter einer Messplattform piezoelektronische Sensoren oder Dehnungsmessstreifen befestigt. Durch mechanischen Druck auf diese Sensoren entsteht ein elektrisches Feld, dessen Veränderung messbar sind.

Die Kraftmessplatte kann daher für alle Bewegungen zum Einsatz kommen, welche sich über unterschiedliche Druckphasen am Boden auszeichnen (z.B. Laufen, Sprinten, Springen oder Landen). Berechnen lassen sich dann jede Menge Parameter, wie beispielsweise die Kraft zu unterschiedlichen Phasen einer Bewegung, die Sprunghöhe sowie die Bodenkontaktzeit oder aber auch die Kraftvektoren (interessant v.a. bei Landungen und Richtungswechseln).

In der Leistungsdiagnostik und im Return-to-Play-Prozess ist das häufigste Einsatzgebiet die Sprungdiagnostik. Hierbei kann ermittelt werden, ob der verletzte Sportler wieder bei seinem Ausgangswert von vor der Verletzung angekommen ist oder nicht.

Eine detaillierte Übersicht des Aufbaus und der Funktionsweise von Kraftmessplatten findet sich im Wiki-Modul MMB2 Kraftmessung.

Das folgende Video zeigt eine mögliche Sprungdiagnostik und die Daten, die daraus abgeleitet werden können. Weiterhin wird klar, welche biomechanischen Faktoren bei der Betrachtung von Sprüngen eine entscheidende Rolle spielen.



Lichtschranken

Lichtschranken sind ein sehr simples und dennoch probates Mittel, um Geschwindigkeiten zu messen. Läuft man durch die beiden Messschranken, unterbricht man dabei den punktförmig ausgesendeten Lichtstrahl, was somit den Schaltvorgang auslöst. Daraus lassen sich dann die Geschwindigkeiten einer vorher definierten Strecke errechnen. Stehen mehrere Lichtschranken zur Verfügung kann zusätzlich die Beschleunigung von Teilstrecken ermittelt werden, was weitere Aufschlüsse über mögliche Leistungsdefizite geben kann.

Besonders zur Ermittlung von Sprint- oder Agilitätsleistungen sind sie daher sehr geeignet und können auch im Return-to-Play-Prozess eingesetzt werden.


3D-Bewegungsanalyse

Dieses Verfahren bietet die Möglichkeit sehr vielfältig eingesetzt werden zu können und kann eine große Menge an Daten ausgeben. Das Motion Capturing kann dabei mit unterschiedlichen Messmethoden erfolgen. Häufig wird in einem Raum, der von vielen Infrarot-Kameras erfasst wird, gemessen. Dabei müssen kleine Punkte – sogenannte Marker – am Körper befestigt werden, welche von den Kameras lokalisiert werden. Über die Erfassung dieser Marker im 3-dimensionalen Raum können dann eine Vielzahl von Daten ermittelt werden. Neben den Bodenkontaktzeiten, der Sprunghöhe und der Flugzeit können auch Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und Drehmomente errechnet werden.

Je nach Zielsetzung der Messung, können die Marker an unterschiedlichen Punkten angebracht werden. Für die quantitative und qualitative Beurteilung von Sprüngen werden meist knöcherne Punkte der unteren Extremitäten (z.B. Calcaneus, Metatarsale, lateraler und medialer Kniespalt, etc.) gemarkert.

Aufgrund der großen Bandbreite an Möglichkeiten und der Genauigkeit der Messungen wird die 3D-Motion-Capture-Analyse mittlerweile als Goldstandard für viele Messungen angesehen. Das Wiki-Modul WP1612 Motion Capturing geht auf die Hintergründe und Einsatzgebiete dieses Verfahrens näher ein.


Kamera

Eine geeignete Kamera ist ein gutes Instrument zur Dokumentation und qualitativen Beurteilung von Bewegungen. Zwar liefert eine Kamera keine direkten Daten, dennoch können mit ein wenig Nachbereitung auch hier hervorragende Erkenntnisse gewonnen werden.

Die Einzeichnung von verschiedenen Winkeln, Kraftarmen und Abständen zu fixen Punkten in ein angehaltenes Bild aus der Aufzeichnung lässt bspw. Vergleiche zwischen Pre-Injury- und Post-Injury-Screening zu. Weiterhin können aus diesen Werte Kräfte und Drehmomente auf verschiedenste Strukturen des Körpers ermittelt werden (z.B. bei einer pathologischen Knie-Valgus- oder -Varus-Stellung).

Die geringen Anschaffungskosten einer Kamera machen aus ihr ein probates Mittel, welches auch im Breitensport ohne Probleme zum Einsatz kommen kann.



Wie man sieht, sind die Möglichkeiten hier sehr vielfältig und können nach individuellem Bedarf gewählt werden. Da eine ausführlichere Beleuchtung aller Testmethoden allerdings den Rahmen dieses WiKis sprengen würde, werden wir im nächsten Kapitel nur auf einige der gängigsten Testverfahren zur Leistungsbestimmung nach Ruptur des vorderen Kreuzbandes eingehen und deren biomechanische Bedeutung für die Return-to-Play-Entscheidung näher erläutern.

(verfasst von Leander Sielaff)

4. Testbatterie - Ruptur des vorderen Kreuzbandes

In diesem Kapitel werden mögliche Testverfahren für die Return-to-Play-Entscheidung vorgestellt. Wir gehen dabei vor allem auf den Wiedereinstieg nach einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes ein, wobei viele der Messungen – aufgrund ihrer Nähe zu sportartunspezifischen Bewegungen – auch für andere Verletzungen der unteren Extremitäten genutzt werden können. Einige dieser Tests werden dann im Anschluss mit ihrer biomechanischen Bedeutung näher erläutert.

Wie oben beschrieben, ist neben grundsätzlichen und strukturellen Parametern der Rehabilitation, wie z.B. der Wiederherstellung des kompletten Bewegungsumfangs oder der Wiederherstellung funktioneller Bewegungsmuster, vor allem die funktionelle Belastbarkeit in allgemeinen als auch sportartspezifischen Situation von größter Bedeutung. Im Hinblick auf das übergeordnete Ziel jedes Sportlers, mit möglichst wenig Leistungseinbußen zurück auf dem Spielfeld zu stehen, ist es daher enorm wichtig, dass die Testung das funktionelle Leistungsprofil des Sportlers widerspiegelt.

Unter diesem Gesichtspunkt sind folgende Aspekte in den meisten Testbatterien zum Return-to-Play nach Kreuzband-Verletzung anzufinden:

Posturale Kontrolle

Die Testung der posturalen Kontrolle (z.B. durch den Y-Balance-Test) begründet sich dadurch, dass sich die Propriozeption im Zuge eine VKB-Ruptur vermindert. Die posturale Kontrolle verschlechtert sich dabei um ca. 25% (Vgl. [16]) und kann das Risiko einer Re-Ruptur deutlich erhöhen.

Abb. 5: Y-Balance-Test zur Überprüfung der posturalen Kontrolle
Sprungtests

Sprungtests zählen zu den gängigsten Return-to-Play-Tests und haben eine hohe praktische Umsetzbarkeit. Durch ihre Nähe zum Verletzungsmechanismus stellen sie ein sehr geeignetes Messinstrument dar. Durch dieses Testverfahren lassen sich signifikante Seitenunterschiede der Hüft- und Kniewinkel feststellen – besonders auffällig sind diese bei einbeinigen Sprungformen zu beobachten. Defizite in der neuromuskulären Kontrolle lassen sich vor allem bei Landungen feststellen, bei denen die Hüft- und Kniewinkel als Prädikatoren für eine Re-Ruptur-Wahrscheinlichkeit dienen können. Zur Erhöhung der Sensitivität wird eine Kombination von Sprungtests in mehreren Ebenen empfohlen. Die Messung von Sprungtests sollte neben einer Ermittlung der Sprunghöhe bzw. -weite sowie Bodenkontaktzeiten mittels Kraftmessplatte zusätzlich mindestens mit zwei Kameras durchgeführt werden. Die Kameras dienen einer direkten Bewegungsanalyse aus der Frontal- und Sagittalebene. Der Goldstandard für die Messung von Sprüngen sieht eine 3D-Bewegungsanalyse mit Auswertung der Sprunghöhe, Bodenreaktionskräften und EMG-Ableitung.

Folgende Sprungtests können angewendet werden:

  • Counter Movement Jump
  • Drop Jump
  • Single Leg Drop Jump
  • Side Hop
  • Single Leg Hop for Distance
Schnelligkeit

Ein gutes Niveau der komplexen Beanspruchungsform Schnelligkeit ist direkt mit einer erfolgreichen Bewältigung diverser Spielsituationen assoziiert und gilt daher als eine wichtige Komponente sportartspezifischer Leistungsfähigkeit. Im Rahmen des Assessment-Tools gilt es, mögliche Defizite innerhalb der neuromuskulären Ansteuerung zu erkennen.

Zur Testung der Schnelligkeit können beispielsweise der Tapping-Test genutzt werden. Hierbei wird über eine Kraftmessplatte die Frequenzschnelligkeit der unteren Extremitäten ermittelt. Aufgabe ist es dabei innerhalb von 15 Sekunden mit einer höchstmöglichen Frequenz alternierende Schritte auf der Stelle durchzuführen. Ausgewertet werden die Tappingfrequenz (Kontakte pro Sekunde) und die Bodenkontaktzeiten (in ms) für das linke und rechte Bein. Neben der Durchführung eines Seitenvergleichs sollte auf Auffälligkeiten im Frequenzabfall geachtet werden.

Eine weitere Möglichkeit ist der standardisierte Repeated-Sprint-Ability-Test. Dabei wird mittels Lichtschranken die Geschwindigkeit einer vorgegebenen Strecke gemessen, welche 10 Mal in höchstem Tempo gesprintet wird – möglichst ohne Geschwindigkeitsverlust. Im Anschluss wird der Ermüdungs-Index ermittelt, indem aus den 10 Durchgängen die Durchschnittszeit der ersten drei Versuche mit der Durchschnittszeit der letzten drei Versuchen verglichen wird.

Agilität

Die Testmöglichkeiten der Agilität sind sehr vielfältig und sollen hier nicht näher aufgeführt werden. Auch die Messmethoden sind variabel und können sich von Lichtschranken über Fit-Light-Systeme bis hin zu 3D-Motion-Capture-Systeme erstrecken. Als Mindeststandard gilt es zwei der folgenden Tests mit unterschiedlichem Aufgabenfokus (z.B. Richtungswechselschnelligkeit, Kurvenlauf, etc.) durchzuführen:

  • Modified Agility T-Test
  • Lower Extremity Functional Test (LEFT)
  • Handball Agility Specific Test (HAST)
  • Barrow Zigzag Run
  • Illinois-Agility-Test
Bewegungsqualität

Auch die Beurteilung der Bewegungsqualität gibt oftmals wichtige Aufschlüsse über den Rehabilitationszustand des betroffenen Sportlers. Dabei geht es häufig um die Beobachtung und qualitative Beurteilung während spielnahen Situationen. Zusätzlich kann eine solche Beobachtung mit einer Videokamera unterstützt werden, sodass das aufgezeichnete Material auch im Nachhinein verwendet und tiefergehenden Analysen unterzogen werden kann. Auch biomechanisch spielt die Beurteilung der Bewegungsqualität eine große Rolle. Gerade im Bezug auf die Rehabilitation des vorderen Kreuzbandes, kann eine Analyse von funktionellen Bewegungen hilfreich sein. Mithilfe von 3D-Motion-Capture-Systemen können neben Agilitätstests auch Sprungtests überprüft werden. Durch präzise Befestigung der Marker können beispielsweise Hüft-, Knie und Sprunggelenkswinkel erfasst werden. Dies kann Informationen über mögliche Kompensationen oder Dysbalancen geben.



Wie zuvor beschrieben, gibt es keine einheitliche Vorgehensweise, jedoch Richtlinien an denen sich orientiert werden kann. Die hier aufgezeigten Tests stellen nur Auszüge verschiedener Testbatterien dar und können beliebig ergänzt werden. Für eine fundierte und aussagekräftige Entscheidung, die einen Sportler sicher zurück in den Spielbetrieb schickt, sollte der hier vorgestellte Mindeststandard jedoch eingehalten werden – dieser ist für so gut wie jeden Verein umsetzbar. Stehen umfangreichere Mittel zur Verfügung, können diese für eine detaillierte und bessere Aussage genutzt werden.

(von Leander Sielaff)

4.1 Drop Jump

Mit Hilfe des Drop Jumps lassen sich sowohl qualitative (Varus-, Valgusstellung) als auch quantitative (Bodenkontaktzeit, Sprunghöhe) Parameter der Biomechanik bestimmen.

Die Durchführung des Drop Jumps erfolgt von einer ca. 30cm hohen Box. Die Höhe kann auch variiert werden. Man sollte jedoch beachten, dass je höher der Absprung ist, desto mehr Kraft auf den Probanden einwirkt. Der Proband/die Probandin steht mit den Händen in der Hüfte und schulterbreiten Stand auf der Box. Nun wird einbeinig von der Box heruntergesprungen. Das Landeziel entspricht der vor einem liegenden Kraftmessplatte, die mit einem Abstand von 50% der Körperhöhe von der Box entfernt liegt. Es erfolgt ein beidbeiniger initialer Bodenkontakt der Testperson, wobei explosiv und so hoch wie möglich wieder abgesprungen werden soll. Die Bodenkontaktzeit soll so gering wie möglich gehalten werden. Bei der darauf folgenden Landung soll die Beinachse stabil bleiben und eine neutrale Fußposition erreicht werden.

Im Folgenden ist die Kraft-Zeit-Kurve des Drop Jumps zu sehen:

Abb. 7: Kraft-Zeit-Diagramm Drop Jump

Anhand dieser Kurve lässt sich der Kraftverlauf erkennen und beschreiben. Zu Beginn des Sprungs besteht kein Kontakt zur Kraftmessplatte, daher liegt die Kraft bei 0. Beim Aufspringe auf die Kraftmessplatte steigt die Kraft an, bis sie im Punkt der Einleitung des nächsten Absprungs maximal wird. Danach sinkt die Kraft wieder ab, da der Proband sich dann den Bodenkontakt verliert und sich in der Luft befindet.

Eine genaue Analyse des Drop Jumps inklusive Berechnung der Fallgeschwindigkeit, der Sprunghöhe, der Bremsbeschleunigung, der Kraft sowie die Darstellung eines nicht idealen Drop Jumps, findet man in folgendem Wiki-Modul: WP1207 Springen.

Bedeutung des Drop Jump's

Wie kann uns der Drop Jump nun im Hinblick auf das Return to Play helfen?

Mit Hilfe des Drop Jumps können wir Parameter wie die Kontaktzeit, Bodenreaktionskraft, dynamische Maximalkraft (Kraft beim Absprung), Explosivkraft, Flughöhe (Sprunghöhe berechnet aus der Flugzeit), Kontaktzeit-Flugzeit-Verhältnis und die Qualität des Kraft-Zeit-Verlauf bestimmen. Diese Werte bringen uns allerdings nur etwas, wenn wir Werte aus einem pre-test vor der Verletzung haben. Eine weitere Möglichkeit ist es, den Drop Jump einbeinig durchführen zu lassen. So kann man den Vergleich zwischen verletzten und unverletzten Bein ziehen und Differenzen erkennen. Hat das verletzte Bein min. 90% der Werte des unverletzten Beines erreicht, kann der Spieler wieder ins Mannschaftstraining einsteigen.

Des Weiteren kann man sich bei der Nutzung einer 3D- bzw. 2D-Bewegungsanalyse auch den Kniewinkel anschauen. Ist das Knie instabil und knickt während des Landung-Absprung-Komplexes nach innen (Valgusstellung) weg, kann das ein Risikofaktor für einen erneuten VKB-Riss sein. Diese qualitative Analyse des Sprungs sollte nicht vernachlässigt werden. Auch wenn sich die Kraftwerte im Normbereich befinden, können eventuell noch neuromuskuläre Defizite vorliegen, wodurch es dem Athleten schwer fällt das Knie zu kontrollieren.

Hat man nun die Bodenreaktionskraft mit der Kraftmessplatte bestimmt, lassen sich mit einem free body diagram (s.o.) die Gelenkmomente sowie Gelenkskräfte berechnen. Unter Berücksichtigung der 3D- oder 2D-Bewegungsanalyse können die Kräfte, die auf das Gelenk und die Strukturen wirken, in jedem beliebigen Gelenkwinkel bestimmt werden.

(verfasst von Lisa Schulte)

4.2 Counter Movement Jump

Der Counter Movement Jump (CMJ) dient als Test zur Ermittlung der Explosivkraft bei einem Sprung aus dem Stand.

Die Ausgangsposition für den CMJ ist ein aufrechter, hüftbreiter Stand. Die Hände werden seitlich an die Hüfte genommen, um das Schwungholen mit den Armen zu verhindern. Nun wird der Körperschwerpunkt bis zu einer Kniebeugung von maximal 90° abgesenkt. Dabei findet eine Beugung in Hüft-, Knie- und Sprunggelenken statt. Man befindet sich in einer tiefen Hockposition, in welcher die Muskulatur vorgespannt ist. Als nächstes erfolgt der explosive Absprung in die Höhe. Die Bewegungsabfolge sollte dabei flüssig durchgeführt werden. Ziel ist es so hoch wie möglich zu springen. Bei der Landung ist auf eine stabile Beinachse und neutrale Fußposition zu achten.

Die Kraft-Zeit-Kurve sieht wie folgt aus:

Abb. 9: Kraft-Zeit-Diagramm Counter MOvement Jump

Zu Beginn des Counter Movement Jumps ist die Kurve eine grade Linie, da nur das Gewicht des Springers gemessen wird. Beim in die Hocke gehen sinkt die Kurve kurz ab, bevor sie durch den Bremsstoß und den Absprung stark ansteigt. Im Absprung wird die Kurve maximal. Danach fällt sie wieder, da der Springer sich in der Luft befindet. Auch hierzu findet man weitere Infos in einem anderen Wiki-Modul WP1207 Springen.

Bedeutung des Counter Movement Jumps

Durch den CMJ lassen sich ähnlich wie beim Drop Jump biomechanische Parameter bestimmen, wie z.B. die Sprunghöhe, Bodenreaktionskräfte, Sprungkraft und Qualität des Kraft-Zeit-Verlaufs. Qualitativ können wir uns die Gelenkstellungen von Hüfte, Knie und Sprunggelenken anschauen. Sowohl beim Absprung als auch bei der Landung sollte die Beinachse stabil bleiben, d.h. es sollte keine Varus- oder Valgus-Stellung zu erkennen sein.

Auch hier lässt sich durch die ermittelten Kräfte wieder ein free body diagramm erstellen, welches Aufschluss über die wirkenden Kräfte in den Gelenken gibt.

(verfasst von Lisa Schulte)

4.3 Side Hop Test

Funktion

Der Side Hop Test dient der Untersuchung der Sprünge in der Frontalebene. Ziel des Side Hops im „Return to play“ Prozess ist die Vorbereitung auf seitliche konzentrische und exzentrische Sprungbelastungen des Athleten. Weitererhin sind die Sprünge in der Frontalebene Grundvoraussetzungen für die Trainingssteuerung von mehrdimensionalen Übungen. Die Bewertung des Side Hop Tests lassen sich sowohl qualitativ als auch quantitativ evaluieren.

Testdurchführung

In der Literatur des Side Hops ist ein Abstand der Hops von 40 cm angeführt. Der Proband stemmt seine Hände in die Taille und versucht mit einem Bein in der Frontalebene ein aufgeklebtes „Kästchen“ zu überspringen. Er springt nach lateral und anschließend wieder zurück in die Ausgangsposition.

Abb. 10: Durchführung Side Hop Test
Qualitative Bewertungskriterien
Abb. 11: Qualitative Bewertungskriterien

Bei der qualitativen Bewertung besteht die sogenannte Subjektivitätsproblematik, bei der die Bewertung von Untersucher zu Untersucher unterschiedlich ausfällt.

Quantitative Bewertungskriterien

Die quantitativen Bewertungskriterien erfolgen über die Kontaktanzahl und die Fehlerquote beim Berühren des aufgeklebten Kästchens. Sind 25 % der Sprünge fehlerhaft, sollte der Test wiederholt werden, um das erneute Verletzungsrisiko zu vermeiden. Vor der Saison wird eine Basismessung durchgeführt, welche dann im „Return to play“ Prozess als Referenz herangezogen wird, inwieweit der Athlet seine Ausgangswerte nach der Verletzung erreicht.

Durch die Bestimmung sowohl der quantitativen als auch der qualitativen Bewegungsmerkmale kann dieser Test ein valides Gesamtbild in der Entscheidungsfindung abgeben. Zudem ist er einfach durchzuführen und im Mannschaftssetting geeignet.

(verfasst von Nils Brendel)

Wiederholungsfragen

[1] Welche “Return to” Prozesse gibt es und wie charakterisieren sich die verschiedenen Phasen?

Return to Activity:

  • Mobilisation der betroffenen Strukturen
  • Wiederaufnahme der Alltagstauglichkeit
  • schmerzfreie Bewegungsausführung
  • Stärkung der psychologischen Ressource

Return to Sport:

  • Übergang zum sportspezifischen Training
  • kontinuierlicher Anstieg der Belastung
  • kontaktlose Übungen
  • Minimierung der Re-Rupturanfälligkeit
  • Am Ende dieser Phase sollte uneingeschränktes Fitnesstraining sowie Vollkontakt möglich sein

Return to Play:

  • uneingeschränkte Teilnahme am Mannschaftstraining
  • Durchführung von Testverfahren
  • volle Belastung muss möglich sein

Spoiler: Return to Competition:

  • Wiedereinstieg in den Wettkampf

[2] Beschreiben Sie den Begriff “stress-strain Verhältnis”!

Unter dem Begriff “Stress Strain Verhältnis” kann man die mechanischen Eigenschaften der Gewebe beschreiben. Hierzu dienen Parameter wie Elastizität, Druckkompensation und Zugfähigkeit, welche sich von gesundem zu verletztem Gewebe unterscheiden.

[3] Welche biomechanischen Parameter können durch die genannten Testverfahren bestimmt werden?

Quantitative Merkmale

  • Sprunghöhe
  • Bodenreaktionskräfte
  • Kontaktzeit,
  • dynamische Maximalkraft (Kraft beim Absprung)
  • Explosivkraft
  • Flughöhe (Sprunghöhe berechnet aus der Flugzeit)

Qualitative Merkmale

  • Varus-/Valgus-Stellung → Beinachse
  • Stabilität
  • Flexion-Hüftgelenk
  • Ausrichtung des Rumpfes

Quellen

  1. ACMS (Hrsg.), 2002. The Team Physician and Return-To-Play Issues: A Consensus Statement. Official Journal of the American College of Sports Medicine: 1212-1214.
  2. Daniel, H. (2012). Mechanik - Wellen - Wärme. Berlin, Deutschland: De Gruyter.
  3. Duda G.N., Heller M.O., Pfitzner T., Taylor W.R., König C., Bergmann G. (2011) Biomechanik des Kniegelenks. In: Wirtz D. (eds) AE-Manual der Endoprothetik. Springer, Berlin, Heidelberg
  4. Eichhorn, H.-J., Hoffmann, H. , 2008. Nachbehandlungsstrategien nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes. SFA Arthroskopie Aktuell (21).
  5. Engeroff, T., Niederer, D., Banzer, W., 2015. Zur Relevanz individueller funktionsdiagnostischer Erhebungen im Return-to-play-Prozess nach operativer Versorgung der VKB-Ruptur. OUP, 4 (6): 301-307.
  6. Fox, A.S. Change-of-Direction Biomechanics: Is What’s Best for Anterior Cruciate Ligament Injury Prevention Also Best for Performance?. Sports Med 48, 1799–1807 (2018). https://doi.org/10.1007/s40279-018-0931-3
  7. Hoffmann, H., Krutsch, W., 2016. Return to Play nach Kreuzbandverletzungen im Fußball. Sportärztezeitung, 2016 (2): 28-35.
  8. Hüter-Becker, A. & Klein, D. (2011). Biomechanik, Bewegungslehre, Leistungsphysiologie, Trainingslehre. Stuttgart, Deutschland: Georg Thieme Verlag.
  9. Impressum / Anbieterkennzeichnung. (2014, März 20). LP – Die Begriffe Kraft und Drehmoment. Abgerufen von https://lp.uni-goettingen.de/get/text/5566
  10. Jagodzinski, M., Friederich, N.F., Müller, W. (2016) Das Knie: Form, Funktion und ligamentäre Wiederherstellungschirurgie. 2.Auflage. Berlin/Heidelberg: Springer.
  11. Keller et. al. Interdisciplinary Assessment Criteria for Rehabilitation after Injuries of the Lower Extremity: A Function-Based Return to Activity Algorithm. Sportverl Sportschad 2016. 30: 38–49
  12. Lai, C., Ardern, C., Feller, J., Webster, K. Eighty-three per cent of elite athletes return to preinjury sport after anterior cruciate ligament reconstruction: a systematic review with meta-analysis of return to sport rates, graft rupture rates and performance outcomes. Br J Sports Med. 2018 Jan. 52(2):128-138.
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  15. Seyfarth, A., 2019. Inverse Dynamik / Vorwärtsdynamik. (Vorlesungsfolie)
  16. VBG (Hrsg.), 2015. Return-to-Competition – Testmanual zur Beurteilung der Spielfähigkeit nach Ruptur des vorderen Kreuzbands.
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