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WP2221 [Anthropometrie]

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Modul-Titel WP2221
Veranstaltung PS Biomechanik
Autor R. Pelletier, T. Schönnagel, S. Straßburger
Bearbeitungsdauer 25min
Präsentationstermin 29.06.22
Status Fertig
Zuletzt geändert 21.07.2022

Einleitung

Betrachtet man sich ein Finale im 100m Freistil der Männer, so fällt schnell auf, dass die meisten Athleten einen sehr ähnlichen Körperbau haben. Das ist soweit auch nicht verwunderlich, da beim Schwimmen bestimmte Anforderungen an den Körper gestellt werden, die von einem bestimmten Körpertypen am besten ausgeführt werden kann. Dieser Effekt zieht sich durch viel Sportarten. In diesem Wiki soll der Begriff der Anthropometrie geklärt werden, es soll gezeigt werden, welche Messverfahren - insbesondere in der Talentförderung - verwendet werden und wie sich die Anthropometrie auf verschiedene Sportarten auswirkt.

S. Straßburger

Definition

In den folgenden Kapiteln werden die Wortbedeutung, die Herkunft der Methodik, die Geschichte und die Anwendungsbereiche der Anthropometrie behandelt.

Wortbedeutung

Unter dem Wort „Anthropometrie“ versteht man die Lehre von den Maßen und Maßverhältnissen des menschlichen Körpers. Sie umfasst alle Verfahren, die zur Bestimmung des Körperbaus und der Skelettmerkmale angewendet werden. [1] Somit umfasst die Anthropometrie jeden vergleichbaren und unterschiedlichen Körper eines Individuums, in unserem Fall jedes Sportlers und kann anhand messbarer Daten, Vergleiche und Schlüsse ziehen, wie es zum Erfolg oder Misserfolg im Sport führen kann. Die Ergebnisse einer anthropometrischen Messung werden meistens nicht direkt miteinander verglichen, sondern in Datentabellen abgelegt, um zum Beispiel als Klassifikation von Bewegungen oder auch ganzer Sportarten zu dienen.

Methodik

Die Methoden der Anthropometrie wurden schon sehr früh definiert, so auch im Sport. Es galten für jede Sportart Ideale, welche mit früheren Mitteln (z.B. Größe, Gewicht, Arm - und Beinlänge) definiert wurden. So mussten Sportler beim Basketball groß sein, beim Schwimmen große Hände und Füße haben oder beim Kugelstoßen viel Masse mitbringen. Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte man in der DDR neue anthropometrische Methoden zu finden, die sich in der Talentauswahl von den klassischen Körpermerkmalen lösen und sich auf die genetische Vererbung, von aerober und anaerober Fähigkeiten konzentrieren. Mit Hilfe der stetig steigenden technischen Fortschritte, wurden von den einfachen Messungen mit zum Beispiel Waage oder Maßband, sehr hochwertige Messmethoden entwickelt, um die inneren Fähigkeiten, anthropometrisch messen zu können. [2]

Anwendungsbereich

Ein Anwendungsbereich der Anthropometrie ist die Talentauswahl im Jugendalter. Die Talentauswahl ist ein wichtiger Faktor auf dem Weg zum Profi, es wird früh geschaut und berechnet, wie sich ein Kind entwickelt. Es wird seit 1928 bereits empfohlen, die Nutzung von Wachstumskriterien zu der Beurteilung des Entwicklungsalters zu nutzen. Mit der Körperhöhe und des Körpergewichts in Relation mit dem chronologischen Alter, ist es schon frühzeitig möglich, das Entwicklungsalter zur Beurteilung der sportlichen Leistung zu nutzen. Ein weiterer Bereich ist der wissenschaftliche Vergleich zwischen verschiedenen Sportarten, als auch Sportlern. Durch die anthropometrischen Messungen werden die erfassten Daten in Tabellen zusammengetragen, was zu einer guten Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Athleten führt. Ebenso kann man durch die Messungen den Erfolg des jeweiligen Sportlers messen, das heißt der Erfolg wird im Verhältnis mit der Statur des Athleten gesetzt, so kann man für Sportarten oder vereinzelnde Positionen „Idealathleten“ finden. So kommt es zu Leistungsvoraussetzungen, die für Sportler aufgestellt werden. Ein weiterer Bereich findet sich in der Sportmedizin. Die ermittelten Daten setzen sich nicht nur mit dem Körperbau der Sportler auseinander, sondern es lässt sich ermitteln, in welchen Sportarten die Verletzungsgefahr am geringsten ist, oder die Langlebigkeit eines Sportlers am längsten. Es können somit Gesundheitssporte ermittelt werden. Im Falle des Gesundheitssports ist es in der Regel einfacher, gesund zu bleiben, wenn man Kontaktsportarten vermeidet und sich mit den Disziplinen der Leichtathletik oder in Fitnessstudios körperlich fit hält. In Sachen Teamsport hat sich ergeben, dass Basketball der Kontaktsport ist, bei dem die Verletzungsgefahr am niedrigsten ist. Als Beispiel hierfür ist der Vergleich zum Fußball, bei dem die Verletzungsgefahr bei 80% in einer Saison liegt; beim Basketball liegt sie bei einem Drittel.[3] Die Anthropometrie findet sich auch in der Trainingsplanung und Trainingsgestaltung wieder. In vielen Sportarten ist es der Fall, dass unterschiedlich trainiert werden muss und das Training an die Sportler angepasst werden muss.[4]

T. Schönnagel

Verfahrenstechnik

Die nachfolgenden Absätze drehen sich um die Messgrößen, sowie die dazugehörigen Messverfahren. Darüber hinaus geht es um die Frage, wie genau diese Techniken sind.

Messgrößen

Die sportspezifische Anthropometrie hat, wie wir feststellen konnten ein breit gefächertes Anwendungsfeld, welches in den verschiedensten Bereichen zum Einsatz kommt. Hierfür ist es also von besonderer Bedeutung, dass die Messungen verschiedener anthropometrischer Verfahren genormt sind und ein valides Ergebnis erzeugen können. Jedoch gilt es zuallererst festzuhalten, welche Messungen für welche Sportart relevant sein können und wie sich diese unterscheiden. So gibt es aus medizinischen Anwendungsfeldern einige bereits bekannte Messgrößen, welche in der Anthropometrie Relevanz aufweisen. Dazu gehören unter anderem Längen-, Breiten-, Umfangs- und Gewichtsmerkmale aber auch beispielsweise Massenträgheitscharakteristiken wie Masse, Ort des Schwerpunktes, bzw. Massenträgheitsmomente von Körperteilen oder des gesamten Körpers. Nach Henning Haases „Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung“, werden die mechanischen Eigenschaften des menschlichen Körpers und die dazugehörigen Messungen in drei Eigenschaftsfelder kategorisiert: Geometrische Eigenschaften, Massengeometrische Eigenschaften und Festigkeitseigenschaften Als Geometrischen Eigenschaften werden in der Anthropometrie (Nach Haase) Längen-, Flächen- und Volumenmaße des Körpers, von Teilkörpern (Gliedmaßen) und Einzelstrukturen (Knochen, Muskeln, usw.) verstanden. Dazu gehören unter anderem auch Hebelarme, Längen und Zugrichtungen von Muskeln, Sehnen und Bändern und in Bezug darauf auch Gelenkwinkelstellungen sowie die Freiheitsgrade der Gelenke. Ein Beispiel einer Sportart in welcher die geometrischen Eigenschaften eine sehr hohe Relevanz vorweisen, ist das Gerätturnen. Das Gerätturnen gilt als Höchstmaß des Zusammenspiels aus Muskeln, Beweglichkeit und Körperschwerpunkt und hat im Sinne der Anthropometrie eine klare Vorstellung des Athleten. Unter Massengeometrischen Eigenschaften wiederum versteht man die Masse an sich und auch die Verteilung des Körpers, sowie den Massenmittelpunkt des Körpers und der Teilkörper (Massenträgheitsmoment, Drehmasse). Als dritte Kategorie haben die Festigkeitseigenschaften eine hohe Relevanz. Sie beschreiben unter Anderem Elastizität und Viskosität von unterschiedlichem Gewebe und Beanspruchungsgrenzen in Form von maximalen Spannungen und Verformungen. Die Festigkeitseigenschaften sind also vor allem für Verletzungsprophylaxen von Bedeutung aber Beispielsweise auch zur Bestimmung zur Eignung eines Kampfsportlers. [5]

Anthropometrische Messmethoden und -modelle

Es gibt einige unterschiedliche Messverfahren, die im Rahmen von anthropometrischen Messungen Anwendung finden. Die ganz Grundlegenden sind unter anderem auch in unserem Alltag bekannt. Dazu zählen beispielsweise bereits die Messung der Körpergröße mithilfe eines Maßbandes oder das Erfassen des Körpergewichts, mithilfe einer Waage. Einigen wird auch noch der BMI (Body Mass Index) geläufig sein, welcher einen groben Richtwert für das Körpergrößen und Gewichtsverhältnis darstellt. Die genannten Messverfahren haben für die sportspezifische Anthropometrie allerdings meist nur geringe Aussagekraft, da sie sehr allgemeingültig sind und nur wenig über den Sportler und seine anthropometrischen Fähigkeiten in einem spezifischen Sport aussagen. Messverfahren, welche für die sportspezifische Anthropometrie etwas mehr Bedeutung für die Eignung eines Athleten haben, wären wie zuvor schon erwähnt die Abmessungen von Körperteilen. Also die Länge-, Breiten-, Tiefen-, und Umfänge von Gliedmaßen. Hierfür können ebenfalls Maßbänder und Waagen genutzt werden, jedoch werden bei fortschrittlicheren Messzentren mittlerweile sogar Lasermessgeräte genutzt, welche eine nochmals höhere Genauigkeit vorweisen können. Auch zur Erfassung der Massenträgheits-Charakteristik eines Körpers kann eine Waage genutzt werden. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine Waage im klassischen Sinne, sondern um eine Körperschwerpunkts-Waage, welche Auskunft über die Verteilung der Masse am Körper geben kann. [5] Die Verfahren der Massenträgheits-Charakteristik liefern jedoch nur Werte für den Gesamtkörper des Sportlers. Für die sportspezifische Anthropometrie sind die Masse und das Massenträgheitsmoment einzelner Körperteile allerdings von wichtiger Bedeutung. Um das praktische Messverfahren also zu ermöglichen und zu vereinfachen, nutzt man hierfür ein Körpermodell. In einem Körpermodell werden die Teile des Körpers in Segmente unterteilt, um dann mithilfe einfacher Regressionsgleichung Informationen über die Masse und Trägheit der einzelnen Körperteile zu erhalten. Aktuell gibt es 3 Modelle die in Anthropometrie ihre Anwendung finden: Hanavan (1964); Zaciorskij (1984); Hatze (1986). Demnach eignet sich das Modell von Hatze besonders gut für Laborerhebungen mit hohem Genauigkeitsanspruch. Zaciorskij’s Modell würde sich besonders gut für Bewegungen in denen Rotationen eine besonders große Rolle spielen eignen. Und nicht zuletzt das etwas einfachere Modell nach Hanavan, welches die üblichen Anwendungsfelder abdecken würde. [5]

Genauigkeit/ Gültigkeit der anthropometrischen Messverfahren

Nicht zuletzt ist ein Messverfahren oder ein Modell natürlich nur so gut wie seine Genauigkeit und seine Gültigkeit in der praktischen Anwendung aber vor allem auch in dessen Auswertung. Die anthropometrischen Messverfahren sind in der Realität, vor allem durch den Menschen als Bioorganismus, sehr Messfehler anfällig. Das beginnt bei den einfachen Dingen wie Körpergröße und -gewicht, welches je nach Tageszeitpunkt, Ernährung und Trainingszustand des Individuums stark variieren kann. Es gibt jedoch auch Messverfahren welche allgemein keine Aussagekraft für bestimmte Sportler haben. So würde ein großgewachsener Langstreckenläufer, welcher durch sein geringes Maß an Muskelmasse und seiner „dürren“ Figur deutlich weniger als der durchschnittliche Mensch auf eine identische Körpergröße wiegen würde, laut BMI unterernährt sein. Gemeingültige Messverfahren sind also meist nur für die breite Masse von Relevanz und schließen oftmals die Spezialisten aus. Bei den etwas aufwändigeren sportspezifischen Messverfahren lassen sich die Messfehler jedoch meist auf ein Minimum reduzieren. Dabei helfen Experten mit langjähriger Erfahrung und qualitativen Messmethoden, welche meist nur für Spitzenathleten zugänglich sind.

R. Pelletier

Anthropometrie in ausgewählten Sportarten

Basketball

Seit den Anfängen des Sports Basketball es kein Geheimnis, dass ein Vorteil darin liegt groß gewachsen zu sein. Dies liegt in der Natur des Spiels da der Korb, auf welchem Punkte erzielt werden können, in einer Höhe von 3,05 Metern angebracht wird. Ganz banal könnte man also behaupten, dass Derjenige der besonders groß gewachsen und sich somit näher am Korb befindet, es einfacher hat Punkte zu erzielen. In gewisser Weise mag das auch zutreffen, denn die durchschnittliche Körpergröße in der National Basketball Assosiation (NBA), welche als die elitärste Basketballliga gilt, beträgt 1,98.6m (stand Saison 2021-2022). [6] Und dennoch reichen die Körpergrößen von Spielern, die über einen längeren Zeitraum in der amerikanischen Spitzenliga partizipierten von Spielern wie Muggsy Bogues mit 1,60m, bis hin zu Spielern wie Gheorghe Muresan mit 2,31m. [6] Wenn Größe also nicht allein entscheidend für den Erfolg im Basketballsport zu sein scheint, gilt es herauszufiltern, welche anthropometrischen Elemente ebenfalls eine Rolle spielen. Zuvor muss jedoch festgehalten werden, dass es auch im Basketball wie in vielen anderen Teamsportarten verschiedene Spielerpositionen gibt. In einem 5-Mann Team gibt es verschiedenste Rollen zu erfüllen und während sich manche überschneiden, sind es doch fünf verschieden Positionen mit verschiedenen Aufgaben, welche es zu besetzen gilt.

Im klassischen Sinne werden die Positionen und die dazugehörigen anthropometrischen Attribute typischerweise wie folgt besetzt: Point Guard ⇒ für den Aufbau des Spiels zuständig (taktisch und physisch); oftmals der kleinste und leichteste Spieler auf dem Feld Shooting Guard ⇒ meist besonders gute Wurfschützen; ähneln vom Körperbau oftmals Aufbauspielern, manchmal etwas größer Small Forward ⇒ oftmals besonders guten Zug zum Korb, vor allem durch außerordentliche Athletik; Meist physisch stark, besonders athletisch und durchaus größer gewachsen Power Forward ⇒ ebenfalls guten Zug zum Korb; meist physisch sehr dominant und athletisch und häufig sehr groß Center ⇒ meist unter dem Korb positioniert, um einfache Punkte durch überlegene Größe zu erzielen oder um verworfene Bälle zu erkämpfen; meistens der größte und schwerste Spieler auf dem Feld [7]

Die verschiedenen Positionen lassen also bereits erahnen, wie solch eine hohe Varianz an Körpergrößen zustande kommt. Wenn man die zwei anthropometrisch „extremsten“ Positionen vergleicht (Point Guard und Center) hat man auf der Center Position eine Durchschnittsgröße von 2,13m und einem Durchschnittsgewicht von 115kg. Auf der Point Guard Position liegt die Durchschnittsgröße bei etwa 1,87m und das Durchschnittsgewicht bei etwa 85kg. [6] Abgesehen von Spielverständnis und basketballerischen Fähigkeiten, spielen also im Sinne der Anthropometrie vor allem Größe, Gewicht, athletische Veranlagung, Muskelkraft, Agilität und Schnelligkeit eine große Rolle. Wirft man beispielsweise einen Blick auf eine Studie, in welcher professionelle Basketballer auf ihre physischen Attribute getestet/untersucht werden, ergibt sich, dass die Center und Power Forward Spieler deutlich die schwersten und größten im Vergleich zu den anderen Positionen sind. Des Weiteren konnten sie beim Bankdrücken die stärksten Ergebnisse vorweisen. Im Ausdauer- und Schnelligkeitstest konnten hingegen die Point Guards die besten Ergebnisse erzielen.

Es lässt sich abschließend also festhalten, dass beim Basketball Größer nicht automatisch besser bedeutet, da es neben der reinen Körpergröße noch viele weitere Attribute gibt, die einen erfolgreichen Spieler ausmachen. Zudem variieren die anthropometrischen Eigenschaften stark von Position zu Position. Die Historie der erfolgreichsten Spieler aller Zeiten zeigt allerdings auch klar eine Schnittstelle aus Athletischen/Schnellen Spielern, welche dennoch größer gewachsen und physisch stärker sind. Zudem wandert der Trend mit dem heutigen Wissen was wir über Training und Gesundheit haben, immer mehr zu sogenannten „Hybriden“. So bezeichnet man großgewachsene Spieler, die die athletischen Fähigkeiten der „kleinen“ Spieler mitbringen und so beinah einen vollkommenen Spieler ergeben. Jedoch gilt Basketball als sehr komplexe und facettenreiche Sportart, zu der noch einiges mehr gehört als die reinen anthropometrischen Fähigkeiten eines Spielers. Während diese zwar einen großen Vorteil bieten können, sind vor allem Spielintelligenz und basketballerische Fähigkeiten gefragt. Glänzt ein Spieler also besonders in den anderen Elementen des Spiels kann er die „Hürde“ der Anthropometrie überwinden. Diese Hürde der Anthropometrie, spielt in der Nachwuchsförderung bzw. in der Talentdiagnostik des Basketballs eine sehr entscheidende Rolle. Folgende Erhebung aus dem Jahr 2011 zeigt einen klaren Trend bei der Auswahl der Jugendspieler. [8] Das Ziel der Erhebung war die Optimierung der Trainings- und Wettkampfgestaltung im Spitzen- und Nachwuchssport (Basketball). Getestet wurden ca. 1600 Kaderspieler:innen zwischen 13 und 16 Jahren. Sie wurden zuerst auf Körperhöhe, - gewicht und Armspannweite gemessen und anschließend auch auf ihre konditionellen und psychischen Fähigkeiten getestet. Des Weiteren wurden die Testergebnisse mit ihrer Spielerklasse (Kaderspieler:innen) und ihrem Alter verglichen.[8] Es fiel auf, dass 65% der männlichen und 58% der weiblichen Kaderspieler:innen im ersten Kalenderhalbjahr geboren sind. Das Geburtshalbjahr ist in jungem Alter besonders Signifikant, da so ein Vorteil bei der Größe, Gewicht, Armspannweite und der Kraft erzielt wird. Die Spieler, die also später im Jahr geboren werden, haben dementsprechend einen körperlichen Nachteil und so geringere Chancen in einen Kader selektiert zu werden. Ein Stichprobenvergleich belegt, dass Größe, Gewicht und andere altersbedingt Einflussfaktoren einen deutlich höheren Einfluss auf die Selektionswahrscheinlichkeit haben, als motorische Leistungsfähigkeiten. [8] Zusammengefasst stehen also die physischen und anthropometrischen Eigenschaften im Fokus der Kaderauswahl und somit der Talentförderung, obwohl diese Eigenschaften in großem Zusammenhang mit dem Alter der Spieler stehen. Der Problemaufriss, welcher sich durch die Erhebung ergibt, besteht also darin, ob nicht mehr Wert auf technische, taktische und motorische Fähigkeiten der Nachwuchsspieler:innen gelegt werden sollte. Denn durch ein indirektes Altersbedingtes selektieren geht unter Umständen viel unentdecktes Talent und Potential verloren. Die Talentdiagnostik ist also vor allem im Basketball ein umstrittenes und längst nicht erforschtes Feld, da es sehr viele Einflussfaktoren für die Entwicklung eines Sportlers gibt und auch weiterhin geben wird. Dennoch wird die Anthropometrie stets ein wichtiger Teil der Talentdiagnostik bleiben, da sich durch die bestehenden körperlichen Eigenschaften eines jungen Sportlers, Aussagen über seine spätere Anthropometrie treffen lassen.

R. Pelletier

American Football

Betrachtet man American Football aus anthropometrischer Sicht als Ganzes, dann könnte man meinen, das anthropometrische Faktoren keine Große Rolle spielen. In der National Football League (kurz „NFL“) gibt sehr kleine Spieler wie Darren Sproles (1,68m), sehr große Spieler wie Alejandro Villanueve (2,05m), leichte Spieler wie Jake Elliott (76kg) und schwere Spieler wie Trent Brown (172kg). [9]

Betrachtet man nun den Sport etwas genauer wird einem schnell klar, weswegen diese Größenunterschiede zu Stande kommen. Jeder Spieler hat auf dem Platz unterschiedliche Aufgaben und so auch unterschiedliche körperliche Anforderungen. So helfen Brown und Villanueve ihr Gewicht und ihre Größe beim Beschützen des Quarterbacks und Sproles kann als Runningback auch durch Lücken laufen, durch die größere Spieler nicht passen würden. Um die anthropometrische Besonderheit des Footballs durchschauen zu können, muss verstanden werden, dass während einem Spiel viele verschiedene Spiele gespielt werden. Die O-Line (OL) kämpft gegen die D-Line (DL) und die Wide Receiver (WR) gegen die Defensive Backs (DB). In der Abbildung kann man gut sehen, dass der Größenunterschied dieser Spieler nicht so groß ist. Gleiches gilt für den Gewichtsunterschied. [10]

Dennoch lassen sich anthropometrische Tendenzen ableiten, die speziell für die Talentdiagnostik spannend sind. Kann man also prognostizieren, dass ein Kind nur 1,8m groß wird, so sollte es eher als Runningback trainiert werden, anstatt einen zu kleinen D-Line Spieler zu machen. Das bedeutet allerdings nicht, dass besondere Bewegungstalente nicht auch ohne die perfekten anthropometrischen Voraussetzungen auf ihrer Position Weltklasse sein können. Ein Beispiel dafür ist Tyreek Hill, welcher mit seiner Größe von 1,78m deutlich unter dem WR Schnitt liegt. Dennoch ist Hill einer der besten Receiver der NFL. Seine große Geschwindigkeit, gleicht seine körperlichen Nachteile aus. [9] Auch Aaron Donald ist ein weiteres Beispiel für „undersized players“. Er ist einer der kleinsten D-Line Spieler mit 1,85m und 130kg, dennoch gilt er seit Jahren als bester Verteidiger der NFL. [11]

S. Straßburger

Boxen

Bei der Sportart Boxen, handelt es sich um eine Kampfsportart. Ziel bei einem Wettkampf ist es den Gegner so oft an Kopf und Oberkörper zu treffen, dass dieser KO geht oder die Punktrichter, den Kampf für den Sportler werten. Da es beim Boxen mehrere Gewichtsklassen gibt, wird die anthropometrische Messgröße, das Gewicht, für einen Boxkampf/Wettbewerb vorgeschrieben. Im Boxen, als auch in nahezu allen Kampfsportarten gibt es Gewichtsklassen, um den Wettbewerb fair zu halten. Die Struktur eines austrainierten großen Boxers, bringt in der Regel auch mehr Masse mit. Somit würde sowohl die Schlagkraft als auch die Reichweite der Schläge, für einen deutlichen Vorteil im Gegensatz zu einem kleinen, leichteren Boxer führen. Deshalb wurden für den Boxsport 8 Hauptgewichtsklassen zugeteilt, welche im Laufe der Jahre auf 17 Gewichtsklassen aufgestockt wurden, um mit Zwischenklassen, das System noch anschaulicher zu machen. Der Profibereich trennt sich hiermit vom Amateurbereich, da es hier nur 10 Gewichtsklassen gibt. Wichtig ist, dass ein Athlet nicht dauerhaft in einer Gewichtsklasse kämpft, sondern durch angepasstes Training, sein Gewicht reduziert, um Vorteile in einer anderen Gewichtsklasse zu haben. Der anthropometrische Unterschied muss also in einer Gewichtsklasse vorliegen, da die Unterschiede zwischen Masse und Größe zu enorm seien können. In einer Studie (Guidetti et al. 2002) werden die ausschlaggebenden anthropometrischen Größen verdeutlicht, die bei Elite Amateur-Boxern zu einer besseren boxing Performance führen. Es wurden 8 Elite Amateur-Boxer des Mittelgewichtes in zwei Testverfahren getestet. Diese Daten wurden anschließend mit den Werten der Boxwettkampf Performance der Sportler verglichen. Die erste Testreihe befasste sich mit den anthropometrischen Messgrößen sowie dem Aufbau des menschlichen Körpers. In der zweiten Testreihe wurden sowohl Griffkraft als auch physikalische Fitnesswerte gemessen. Aus der ersten Messung ist zu entnehmen, dass bei den anthropometrischen Maßen, nicht Alter oder Größe eine Rolle spielen, sondern der Handgelenksumfang bei der Box Performance eine wichtige Rolle spielt. Ebenso wird gezeigt das die Muskelquerschnittsfläche des Unterarms als auch des Oberarms, keinen signifikanten Vorteil bringen. Die ausschlaggebenden Daten der physikalischen Fitness Testreihe ergaben, dass eine hohe anaerobe Schwelle den Boxer besser macht. Des Weiteren muss der Athlet über eine gute Sauerstoffaufnahme verfügen, um den Muskeln genügend Sauerstoff zu liefern. Es hat sich ebenso ergeben, dass nicht die Oberarm- oder Unterarm Muskeln von Bedeutung sind, sondern die Handgriffstärke. Die Handgriffstärke bezieht sich aus den Muskeln der Arme als auch der Schultern, somit ist dies sehr effektiv und führt zu einer besseren Box Performance. [12]

Da es Im Boxen mehrere Gewichtsklassen gibt, ist es so gut wie nicht möglich, einen idealen Athlet vorzuweisen. In der Regel sagt man, je größer und schwerer ein Sportler ist, desto besser wird er boxen können. Die Größe bringt den Vorteil der Schlagreichweite, um den Gegner auf Distanz zu halten. Das Gewicht bringt die Schlagkraft, die in dem Sport sehr wichtig ist. Doch nicht nur der reine Körperbau ist beim Boxen wichtig, sondern auch Technik, Taktik und ein peripheres Sehen/Antizipieren der Handlungen des Gegners. Die Talentdiagnostik findet im Boxen bereits sehr früh statt. Ähnlich wie beim American Football muss die Größe des Sportlers prognostiziert werden, um den möglichen Karriereweg einzuleiten. Mit der ermittelten Größe lässt sich somit abschätzen, in welcher Gewichtsklasse geboxt wird. Wird ein Boxer 1,60 Meter groß, so sollte er für die leichteren Gewichtsklassen ausgebildet werden. Da in der Regel Größe die entsprechende Masse bedingt, werden Sportler mit einer Größe von 1,90 Meter anders trainiert, um in den schweren Gewichtsklassen erfolgreich zu werden.

Ein Ausnahmesportler im Boxen ist Manny Pacquiao. Der philippinische Boxer war gerade einmal 1,66 groß und schaffte es mit dieser Größe, 12 große Weltmeistertitel zu gewinnen und das in 8 verschiedenen Gewichtsklassen. Dazu kommen noch 5 geradlinige Meisterschaften in 5 verschiedenen Gewichtsklassen, als auch 4 Weltmeisterschaften in vier der acht originalen Gewichtsklassen „Glamour Division“.

T. Schönnagel

Fazit

Anthropometrie spielt in der Welt des Leistungssports eine große Rolle. Es ist klar, dass wenn man um jedes Prozent Leistung kämpft auch die körperlichen Voraussetzungen ideal sein müssen. Dennoch finden viele Sportarten Wege um einer breiten Masse den Sport auf hohem Niveau zu ermöglichen. So gibt es beim Boxen Gewichtsklassen und beim Football verschiedene Positionen mit unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen. Demnach kann sportlicher Erfolg durch anthropometrische Begebenheiten begünstigt werden, jedoch zeigen einige Beispiele, dass man auch mit Talent und harter Arbeit sportlich erfolgreich sein kann, auch wenn ein paar Zentimeter fehlen.

S. Straßburger

Literaturverzeichnis

[1] Antwerpes, F. & Stud.med.dent. Sascha Alexander Bröse. (2015, 29. Oktober). Anthropometrie. DocCheck Flexikon. Abgerufen am 20. Juli 2022, von https://flexikon.doccheck.com/de/Anthropometrie

[2] Wikipedia-Autoren. (2004, 10. Juli). Anthropometrie. Wikipedia. Abgerufen am 20. Juli 2022, von https://de.wikipedia.org/wiki/Anthropometrie#Modelle

[3] VBG - Die Sportarten im Vergleich. (2019). Nachwuchskicker-VGB. Abgerufen am 20. Juli 2022, von https://www.vbg.de/nachwuchskicker/6_Sportreport/Sportartenvergleich/Sportartenvergleich_node.html

[4]Fröhner, G. (1996). Anwendungsorientierungen der Anthropometrie in der Betreuung von Sportlern. Sportmedizin. Abgerufen am 20. Juli 2022, von https://www.iat.uni-leipzig.de/datenbanken/iks/open_archive/ls/lsp96_02_12_16.pdf?

[5] Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung: in Erinnerung an Rainer Ballreich; Sportverlag Strauß, 2012 (Entwicklung der Anthropometrischen Biomechanik, Rüdiger Preis S.80-89)

[6] www.basketball-reference.com, letzter Zugriff: 19.07.2022

[7] Journal of Strength and Conditioning Research: May 2010; Positional Role and Competitive-Level Differences in Elite-Level Men's Basketball Players

[8] Tobias Stadtmann/ Hubert Remmert/ Theresa Holst/ Alexander Ferrauti: Optimierung der Nachwuchsförderung im Deutschen Basketball Bund; 2011

[9] Forman, S., https://www.pro-football-reference.com/ (letzter Zugriff: 17.07.22)

[10] Cole R. Blender, Average NFL Height and Weight by Position, https://webpages.uidaho.edu/~renaes/251/HON/Student%20PPTs/Avg%20NFL%20ht%20wt.pdf (letzter Zugriff: 17.07.22)

[11] Renner M., 19.7.2017, Teaching Tape: Aaron Donald is the exception to the rule, https://www.pff.com/news/pro-teaching-tape-aaron-donald-is-the-exception-to-the-rule (letzter Zugriff: 17.07.22)

[12] Guidetti, L., et al. (2002). Physiological factors in middleweight boxing perfo. . . SPONET. Abgerufen am 20. Juli 2022, von https://www.sponet.de/Record/3035263

Abbildungsverzeichnis

Bild Rechte Verwendet von Quelle
Icon A allen https://pixabay.com/de/illustrations/vitruvian-mann-da-vinci-3d-mensch-1013976/
Bild 1 A S. Straßburger https://pixabay.com/de/photos/american-football-football-583406/
Bild 2 B S. Straßburger nach [10]

A= freie Nutzung, B= eigene Darstellung

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