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biomechanik:projekte:ws2122:wp2123

WP2123 Wirbelsäule

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Modul-Titel WP2123
Veranstaltung PS Biomechanik
Autor Yannick Muth, Maximilian Muth, Fabio Amico
Bearbeitungsdauer 45 Min
Präsentationstermin 10.2.22
Status in bearbeitung
Zuletzt geändert 02.03.2022

Einleitung


https://www.youtube.com/watch?v=CqND2s1PVpQ


Rückenbeschwerden zählen zu den Top-Fünf-Volksleiden in Deutschland. Basierend auf einer Studie der Techniker Krankenkasse über die bei ihr versicherten rund 3,9 Millionen Erwerbspersonen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren waren Rückenschmerzen, zu der auch die diversen Wirbelsäulenverletzungen gehören, gemäß einer statistischen Auswertung aus dem Jahre 2020 für rund 5,1 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage verantwortlich. Im Durchschnitt dauerte eine durch Rückenbeschwerden bedingte Arbeitsunfähigkeit 13,5 Tage (Statista, 2021). Im Heft 53 der Gesundheitsberichtserstattung des Bundes aus dem Jahre 2012 werden „Rückenschmerzen und Krankheiten der Wirbelsäule (sogenannte Dorsopathien; synonym: Rückenleiden) in Deutschland und vergleichbaren Ländern eine Gesundheitsstörung von herausragender epidemiologischer, medizinischer und gesundheitsökonomischer Bedeutung“ zugeordnet (Raspe, 2012, S. 7)

Für uns Grund und Motivation genug, uns auf Spurensuche zu begeben. Als Student aus dem Bereich der Sportwissenschaften gilt es natürlich der Frage nachzugehen, welchen Einfluss der Sport bei der Entstehung von Wirbelsäulenverletzungen hat. Auch wenn es hierzu keine zentralen, bundesweiten bzw. landesspezifischen Studien zu Ursachen von Wirbelsäulenverletzungen gibt, so vermitteln diverse Langzeitstudien von Unfallkliniken ein einheitliches Bild. An erster Stelle verantwortlich für Wirbelsäulenverletzungen sind Verkehrsunfälle, gefolgt von Osteoporose und Sportverletzungen (Gonschorek, Merkel, Maier, Hauck & Bühren, 2008, S. 158).
Der Fokus des Wikis liegt auf den unterschiedlichen biomechanischen Belastungen, die zu Verletzungen der Wirbelsäule in Verbindung mit Verkehrsunfällen und Sportverletzungen führen können und deren medizinischer Indikation.
In zwei weiteren Kapiteln, wird es ein Überblick über Behandlungsmöglichkeiten und Präventionsmaßnahmen geben. Abschließend wird mit einer biomechanischen Veranschaulichung, auf Basis einer 3D-Darstellung, gezeigt, dass Biomechanik nicht nur ein Teil der Medizin ist, sondern das Biomechanik auch einen wesentlichen Beitrag zu weitergehenden Behandlungsmöglichkeiten leisten kann.

Amico, F.

Wirbelsäulenverletzungen im Straßenverkehr


Einleitend sei darauf hingewiesen, dass sich durch eine Vielzahl an Fortschritten in der Fahrzeug- und Verkehrssicherheit basierend auf einer Auswertung aus dem Jahre 2014 die Zahl der Verkehrstoten in der EU um 40 % und im Falle von Insassen von PKWs sogar über 50 % trotz steigenden Verkehrsaufkommens verringern konnte. Dazu beigetragen haben eine Vielzahl von Maßnahmen, wie die Gurtanlegepflicht, die Verbesserung der Fahrzeugkonstruktionen und der Rückhaltesysteme, eine optimierte Verkehrserziehung in Verbindung mit erweiterten Überwachungssystemen und -kontrollen, Fahrwerksregelsysteme wie ABS und ESP, die mittlerweile zur Serienausstattung gehören, bessere Straßen u.v.a. (Schmitt, Niederer, Cronin, Muser & Walz, 2014, S. VII-X).
Da aber jeder Tote im Straßenverkehr ein Toter zu viel ist, besteht noch großer Handlungsbedarf zu weiteren Verbesserungen, insbesondere in der Passiven Fahrzeugsicherheit durch weitere Optimierungen in den Rückhaltesystemen auf Basis eines besseren Verständnisses der Biomechanik des Menschen und den damit verbundenen biomechanischen Bedingungen für das Auftreten von Verletzungen unter Berücksichtigung der Vielfalt an unterschiedlichen Unfallsituationen und individuellen Insassen. (Schmitt et al., 2014, S. VII-X).

Als Bewertungsskala für verschiedene Verletzungen hinsichtlich der Lebensbedrohlichkeit, wurde Ende der 60er Jahre die ‚Abbreviated Injury Scale‘ (AIS) eingeführt. (Schmitt et al., 2014, S. 96).
Nachfolgende Tabelle nennt Beispiele zur Anwendung für Wirbelsäulen-Verletzungen gemäß AIS:

Haut, Muskeln: Schürfungen, Hämatome, kleine Lazeration
vertebrale Arterien: kleine Lazeration. Hals-/Brustwirbelsäule:Dislokation ohne Fraktur, Brust und Lendenwirbelsäule: Diskushernie
vertebrale Arterien: erhebliche Lazeration. Hals-/Brustwirbelsäule: multiple Lazerationen der Nervenwurzel
Hals-/Brustwirbelsäule: unvollständige Kontusion des Rückenmarks
Hals-/Brustwirbelsäule: Lazeration des Rückenmarks ohne Fraktur
Enthauptung Halswirbelsäule: Lazeration des Rückenmarks in Höhe C3 oder höher mit Fraktur

(Schmitt et al., 2014, S.96)

Im Straßenverkehr trifft man am häufigsten Verletzungen der Halswirbelsäule (HWS) an. Hier reicht die Spannweite von schweren HWS-verletzungen, insbesondere bei nicht angegurteten Fahrzeuginsassen und Motorradunfällen, bis hin zu leichten Weichteilverletzungen, die gemäß obiger Tabelle in die Kategorie AIS1 einzuordnen sind und die überwiegende Anzahl an HWS-Verletzungen darstellen.
Die im Straßenverkehr am häufigsten auftretende HWS-Beschwerde bzw. -Verletzung, die Fachwelt streitet hier ob der Differenzierung zwischen einer Beschwerde und einer tatsächlichen Verletzung, ist das im Volksmund bekannte Schleudertrauma. Alleine die Kosten hierfür werden in Europa pro Jahr auf 5 bis 10 Mrd. € pro Jahr geschätzt (Schmitt et al., 2014, S. 91-92).

Zum besseren Verständnis bzgl. HWS-Verletzungen bedarf es Grundkenntnisse zum Aufbau der HWS C1 – C7, insbesondere zum Aufbau der beiden oberen Halswirbel C1 (Atlas) und C2 (Axis), die sich in der Form von den anderen fünf Halswirbeln unterscheiden. Gemeinsam bilden sie das atlanto-axiale Gelenk, das umgangssprachlich als Genick bezeichnet wird und zusammen mit der übrigen HWS für die hohe Beweglichkeit dieses Wirbelsäulenabschnitts verantwortlich ist (Schmitt et al., 2014, S. 94).


Im Grundsatz sind HWS-Verletzungen auf Basis der vier grundlegenden, physiologischen Grundbewegungen des Halses

  • Flexion (Vorwärtsneigung)
  • Extension (Rückwärtsneigung)
  • (laterale) Biegung (Seitneigung)
  • (axiale) Rotation



(Schmitt et al., 2014, S. 95):

und möglicher Belastungen in Kombinationen rekonstruierbar:

Potentielle Verletzungsmöglichkeiten werden in der Abbildung 4 veranschaulicht. Wenn beispielsweise ein nicht angegurteter Fahrzeuginsasse bei einem Bremsmanöver zunächst mit dem Kopf an die Frontscheibe oder aber mit dem Kinn an das Armaturenbrett prallt. In beiden Fällen wird der Kopf nach hinten gestreckt und der Hals so einer Zugbelastung und einem Extensionsmoment ausgesetzt.
Häufige Verletzungen in diesem Kontext sind ein Schleudertrauma oder die Fraktur des C2-Wirbels (Schmitt et al., 2014, S. 98).

Bezüglich HWS-Verletzungen ist zusammenfassend festzuhalten, dass es verschiedenste Ansatzpunkte zur Erklärung für die Verletzung von Weichteilen der Halswirbelsäule gibt, der vollständige Mechanismus aber letztlich noch nicht vollständig geklärt, geschweige denn wissenschaftlich bewiesen ist (Schmitt et al., 2014, S. 102).
Der Vollständigkeit halber seien Verletzungen im thorakolumbalen erwähnt, die in Verbindung mit Autounfällen im Gegensatz zu HWS-Verletzungen aber eher selten auftreten (Schmitt et al., 2014, S. 102).
Als thorakolumbaler Übergang werden hier aus funktioneller Sicht die mittlere und untere Thoraxregion und die obere abdominale Region zwischen dem 5. Brustwirbel (Mediastinum inferius) und dem 3. Lendenwirbel definiert. (Christopoulos, o.J.).

Beispiele für Verletzungen im thorakolumbalen Übergang als Folge von Autounfällen sind schwere Frontalkollisionen, bei denen der obere Teil des Sicherheitsgurtes, der über die Schulter führt, große Kräfte auf den Torso ausübt, wodurch die gekrümmte Brustwirbelsäule gestreckt und so eine axiale Kompression bei gleichzeitiger Flexion erzeugt wird (Schmitt et al., 2014, S. 102).
Verletzungen des thorakolumbalen Übergangs und in der Lendenwirbelsäule treten vermehrt im Sport auf und werden im nachfolgenden Kapitel ausführlicher behandelt.

Auf Basis zahlreicher Versuche zum biomechanischen Verhalten der menschlichen Wirbelsäule mit Freiwilligen, Leichen, Tieren und Dummys unter Anwendung diverser Testverfahren:

  • statische und dynamische Experimente (mit und auch ohne Kopfanprall)
  • funktionellen Einheiten (Bewegungsmoment, bestehend aus mehreren Wirbeln)
  • Crashtests u.a.



Unter Beachtung der jeweiligen Restriktionen in den Versuchsaufbauten, wie zum Beispiel die fehlende Muskelaktivität durch Einsatz von Leichen in den Experimenten, wurden neben biomechanischen Kenngrößen auch Möglichkeiten der Prävention entwickelt:

  • Festlegung von Belastungstoleranzen durch die Definition von Grenzwerten für Flexion, Extension, Druck, Zug und Scherung für die Halswirbelsäule
  • Definition von Verletzungskriterien (NIC,Nij, Nkm, LNL u.a.) für die Halswirbelsäule

(Schmitt et al., 2014, S. 103-117).

Muth, M.

Wirbelsäulenverletzungen im Sport


Wie bereits eingangs erwähnt gibt es noch nicht ausreichend Studien zu in Verbindung mit Sport entstehenden Wirbelsäulenverletzungen. Aus diesem Grunde gestaltet sich auch eine weitergehende Differenzierung nach Sportarten als schwierig. Die nachfolgend beschriebenen Kennzahlen basieren im Wesentlichen auf Fallstudien und Langzeituntersuchungen von Unfallkliniken.
Demzufolge finden Wirbelsäulenverletzungen, die einer konservativen Behandlung ohne operativen Eingriff unterzogen werden, nur in einem geringen Prozentsatz Berücksichtigung (Fehske, Heintel & Meffert, (o. J.).

Aus allen vorliegenden Studien ist jedoch eindeutig erkennbar, dass alle Wintersportaktivitäten und die zunehmende Beliebtheit von Hochrisikosportarten wesentlich zum Anstieg der Wirbelsäulenverletzungen beitragen: Ski Alpin zu etwa 15 - 30 %, Rodeln bzw. Schlittenfahren zu etwa 15 – 25 % und Snowboarden zu etwa 10 – 20 %. In Summe verursacht der Wintersport alleine etwa 40 - 75% der Wirbelsäulenverletzungen, bei denen ein operativer Eingriff notwendig wurde (Gonschorek et al., 2008, S. 161).

Gefolgt von Sportarten wie Gleitschirmfliegen, (Downhill-) Mountainbiken und Reiten (jeweils etwa 10 – 15 %) sowie Klettern, Bergsteigen und Wasserspringen (jeweils etwa 5 %). Bei den klassischen Teamsportarten wie Fußball und Handball sind Wirbelsäulenverletzungen eher selten (etwa 2 %) (Fehske, Heintel & Meffert, (o. J.)).

Zusätzlich kommen Erkenntnisse aus Fallstudien zu speziellen Sportarten: Beispielsweise werden im American Football jährlich 7,2 Querschnittslähmungen ausgewiesen (Fehske, Heintel & Meffert, (o. J.)).
Im Folgenden werden einzelnen Wirbelsäulensegmenten Verletzungen durch spezielle Sportarten zugeordnet. Auch für den Bereich der Wirbelsäulenverletzungen im Sport gelten die in Kapitel 3 beschriebenen Grundsätze zu Wirbelsäulenverletzungen.

Muth, Y.

Halswirbelsäule (HWS)


Hier erstreckt sich die Bandbreite von Zerrungen von Muskeln und Bändern bis hin zu Luxationen und Frakturen.

Die möglichen Verletzungsszenarien bei einer gleichzeitigen Kompression und Flexion der Halswirbelsäule sind:

  • a. Keilfrakturen
  • b. Berstungsfrakturen
  • c. bilaterale Dislokation der Facettengelenke



Diese Form der Wirbelsäulenbelastung entsteht primär bei Sportarten mit Kopf-Voran-Ausführungen wie zum Beispiel beim American Football, beim Bandencheck im Eishockey oder bei Kopfsprüngen ins Wasser und bedeutet eine Verletzung durch axiale Kompression auf Höhe C5 und C7.

Muth, Y.

Brustwirbelsäule (BWS)


Für die Brustwirbelsäule gelten ähnliche Verletzungsmuster wie für die HWS. Zusätzlich wird das Verletzungsrisiko der BWS erhöht durch den im oberen und mittleren Abschnitt der BWS sehr engen Spinalkanal (Gonschorek et al., 2008, S. 159).

Für spezielle Risiko-Sportarten, wie zum Beispiel das Kunstturnen durch die vorgegebene Zwangshaltung des Kopfes oder Oberkörpers in eine endgradige Position, kann es daher empfehlenswert sein, das Verhältnis zwischen Spinalkanal und Wirbelkörper bzgl. der Größe zu messen. Dadurch kann im Vorfeld evaluiert werden, ob der der Sportler einem höheren Risiko einer Rückenmarkskompression ausgesetzt ist (Schmitt et al., 2014, S. 119).

Generell zählen zu den Risikosportarten im Kontext BWS: Reiten, Kampfsportarten, Turmspringen, Bungee-Springen, Kraftsport, Gymnastik, Skifahren, Kunstturnen, Rudern, Leichtathletik gemäß der European Societies of Neuropsychology (ESN).

Muth, Y.

Thorakolumbaler Übergang/Lendenwirbelsäule (LWS)


Auch hier finden sich ähnliche Verletzungsmuster wie bei der HWS.

In diesem Segment haben wir die Besonderheit, dass im Laufe ihres Lebens nahezu alle Erwachsenen im Laufe ihres Lebens über lumbale Rückenschmerzen klagen.
Lumbale Rückenschmerzen stellen kein eigenes Krankheitsbild dar, sondern sind oftmals ein Symptom unterschiedlichster Ursachen. Zusammengefasst als lumbaler Rückenschmerz ist er lokalisiert im unteren Lenden- und Kreuzbeinbereich, ohne dass die Beschwerden immer als vertebral anzusehen sind (Ärzteblatt).
„Die optimale Behandlung von Verletzungen der thorakolumbalen Wirbelsäule sollte auf einer gründlichen Untersuchung der Instabilität beruhen, die durch die Frakturmorphologie und durch klinische Faktoren wie den neurologischen Status angezeigt wird.

Bestehende Klassifikationssysteme, wie die Magerl- oder TLICS-Klassifikation, sind zu komplex für eine Anwendung im Alltag, übergehen den neurologischen Status oder vereinfachen den Einfluss der Frakturmorphologie auf den Instabilitätsgrad zu stark. Um diese Schwächen zu überwinden, hat die internationale Wirbelsäulengesellschaft AOSpine ein neues System entwickelt, das hauptsächlich auf der Magerl- und der TLICS-Klassifikation basiert. In der neuen AOSpine-Klassifikation werden drei Verletzungshaupttypen unterschieden“ (Kandziora, Scholz, Schleicher & Pingel, 2017, Abstract).

  • Typ C Verletzungen: Translationsverletzungen instabile Translationsverletzungen sowohl der anterioren als auch der posterioren Wirbelsäule


  • Typ-B-Verletzungen (Subtypen B1-B3): Distraktionsverletzungen der anterioren oder posterirren Wirbelsäule


  • Typ-A-Verletzungen (Subtypen A0-A4): Kompressionsverletzungen der anterioren Wirbelsäule



Die neurologische Verletzung wird in fünf Stufen klassifiziert, von einem vorübergehenden neurologischen Defizit bis hin zu einer kompletten Querschnittsläsion (Kandziora, Scholz, Schleicher & Pingel, 2017, Abstract).

Ein Praxisbeispiel aus einer Unfallklinik: In einem 2-Jahres-Zeitraum wurden 364 Patienten mit Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule erfasst, 96 Patienten erlitten ihre Verletzung beim Sport (etwa 25 %). Davon entfielen auf den Wintersport etwa 48 % (Skifahren: 23 %, Rodeln: 14 %, Snowboard: 11 %) (Gonschorek et al., 2008, S. 160f.).

Nach der AO-Klassifikation lagen vor: 60 % A-, 18 % B- und 22 % C-Verletzung. Die häufigste Subklassifikation betraf den inkompletten Kompressionsbruch (A3.1). 67 % der Verletzungen betrafen den thorakolumbalen Übergansbereich. 78 der 96 Patienten wurden operiert. Insgesamt konnten 91% der verletzten Sportler weiter Sport betreiben (Gonschorek et al., 2008, S. 161). Diese in der Unfallklinik erhobenen Kennzahlen, hier am Beispiel von 364 Patienten in einem 2-Jahres-Zeitraum, zeigen in ihrer Höhe die übliche Verteilung, wie sie aus der Literatur bekannt sind.

Muth, Y.

Behandlungsmöglichkeiten


Die in unserem Wiki dargestellten möglichen Wirbelsäulenverletzungen aus dem Straßenverkehr und im Sport reichen von einfachen Verstauchungen bis hin zu notwendigen operativen Eingriffen, so dass es die eine Behandlungsmöglichkeit natürlich nicht geben kann.
Abhängig von der Art der Verletzung gibt es deutliche Hinweise für Wirbelsäulenverletzungen in Form von plötzlichen Rückenbeschwerden, Sensibilitätsstörungen und Lähmungserscheinungen, die einen Arztbesuch zwingend erforderlich machen (Clemens Hospital, o. J.).

In der Regel erfolgt eine Diagnose auf Basis einer Röntgenaufnahme der gesamten Wirbelsäule in zwei Ebenen und, sofern erforderlich, ergänzt durch eine Computertomographie der betroffenen Stelle und eine Magnetresonanztomographie (MRT) sowie weitergehende neurologischen Untersuchungen (Clemens Hospital, o.J.).
Laut Ass.-Prof. Dr. Gholam Pajenda Universitätsklinik für Unfallchirurgie Medizinische Universität in Wien, können die Behandlungsmöglichkeiten in vier Phasen unterteilt werden:
1. Die frühe postoperative Phase: Anleitung zum wirbelsäulenstabilisierenden Verhalten und zur Stabilisierung des Rumpfes. Die Mobilisierung aus dem Bett und die Anleitung zur Bewältigung des täglichen Lebens stehen im Vordergrund.
2. Phase der Reaktivierung: Der Übergang zu normalen Bewegungsmustern, dem Training der Basisfähigkeiten, wie Gehen und Treppensteigen und der Selbstständigkeit im alltäglichen Leben.
3. Phase der Stabilisierung und Trainingstherapie: Dabei werden axiale Belastung und Koordinationstraining auf instabiler Unterlage trainiert sowie Unterwassertherapie und Rückenschulung durchgeführt.
4. Physiotherapie und Rehabilitation: Die Vorbereitung für den Sport beginnt bereits mit dem Einleiten der konservativen Behandlung, bei operativer Behandlung beginnt die Vorbereitung nach der chirurgischen Versorgung.

Bei der Rückkehr zum Sport ist es laut Ass.-Prof. Dr. Gholam Pajenda, wichtig zu wissen, dass die komplexe Anatomie und Biomechanik der Wirbelsäule und das breite Spektrum der Verletzungen, die Erstellung eines generellen Standardprotokolls für die Rückkehr zum Leistungssport erschweren. Die Sportarten können in Bezug auf die Wirbelsäulenbelastung generell in vier Kategorien unterteilt werden:

  • fördernde Sportarten (Laufen, Gehen, Skilanglaufen)
  • indifferente Sportarten (Tanzen, Turnen, alpiner Skilauf);
  • nicht fördernde Sportarten (Klettern, Golf, Tennis, Gymnastik);
  • belastende Sportarten (Kampf-, Kontakt- und Kollisionssportarten).


Für bestimmte Verletzungen liegen Erfahrungswerte vor, die in der Literatur als Guideline empfohlen werden. Dabei werden die Verletzungen in Anbetracht der Wahrscheinlichkeit einer Verschlechterung oder neuerlichen Verletzung bei Rückkehr zum Sport in drei Kategorien unterteilt:

  1. keine Kontraindikation und kein erhöhtes Risiko einer schweren Verletzung;
  2. absolute Kontraindikation und klar erhöhtes Risiko einer schweren Verletzung;
  3. relative Kontraindikation ohne klare Evidenz für schwere Verletzung

(Ass.-Prof. Dr. Gholam Pajenda, Universitätsklinik für Unfallchirurgie Wien)

Die Therapie hängt im Wesentlichen von der vorliegenden Verletzungsart ab und reicht von Wärme- oder Kälteanwendungen bei leichteren Weichteilverletzungen oder bei der Stauchung eines Wirbelkörpers bis hin zu konservativen Behandlung von stabilen Brüchen. Eine Operation ist bei einer Wirbelsäulenverletzung insbesondere dann zur Behandlung nötig, wenn neurologische Störungen auftreten (Clemens Hospital, o.J.).
Darüber hinaus hängt die Behandlung auch davon ab, ob es sich beispielsweise um einen (Leistungs-) Sportler handelt. Die konservativen und operativen Therapieoptionen sind beim Sportler prinzipiell die gleichen wie bei der übrigen Bevölkerung, allerdings steht die möglichste rasche und vollständige Wiederherstellung bei den meist jungen Patienten noch mehr im Vordergrund, so dass die Tendenz zu etwas mehr zum operativen Eingriff hin geht (Gonschorek et al., 2008, S. 158).


Amico, F.

Prävention


Analog zum vorherigen Kapitel Behandlungsmöglichkeiten gilt auch für die Präventionsmaßnahmen, dass das Spektrum der in unserem Wiki dargestellten möglichen Wirbelsäulenverletzungen aus dem Straßenverkehr und dem Sport so groß ist, dass die Formulierung einer allgemeinen Präventionsstrategie nicht möglich ist (Schmitt et al., 2014, S. 120).
Das Spektrum im Sport reicht von einem gesunden Lebenswandel in Form von gesunder Ernährung, ausreichend Bewegung und Vermeidung von Risikosportarten über die wirbelsäulengerechte Durchführung des Sports bzgl. Haltung, Kontrakturen und Muskulatur (GORTS) bis hin zum Tragen von Schutzkleidung für spezielle Sportarten, wie zum Beispiel den Helm beim Rad- und Skifahren und den Spezial-Ausrüstungen im American Football und Eishockey.
Die Präventionsmaßnahmen im Straßenverkehr fokussieren sich mehr auf die Vermeidung von Wirbelsäulenverletzungen durch die ingenieursmäßige Weiterentwicklung des genutzten Equipments. So werden Karosserien, Fahrzeugsitze und Kopfstützen sowohl in ihrer Geometrie und dem verwendeten Material weiter entwickelt, was bereits zum vereinzelten Einsatz von re-aktiven Kopfstützensystemen (z.B. SAHR) und Systemen mit kontrollierter Bewegung des Sitzes (z.B. WHIPS Sitz) geführt hat. Die Abbremsfunktion des Gurtes und die Abfangung des Aufpralls durch den Airbag nach vorne wird also ergänzt durch reaktive Systeme für den anschließenden Aufprall des Körpers nach hinten (Schmitt et al., 2014, S. 120 - 124).


Amico, F.

Fazit


Abschließen wollen wir unseren Wiki mit einer biomechanischen Veranschaulichung auf Basis einer 3D-Darstellung einer funktionellen Einheit, aus der exemplarisch ersichtlich wird, dass Biomechanik ein Teil der Medizin ist und wie Biomechanik einen wesentlichen Beitrag zu weitergehenden Ausgestaltung von Behandlungsmöglichkeiten in der manuellen Praxis bis hin zur Weiterentwicklung von Operationstechniken leisten kann. Wirbelsäulenverletzungen führen immer zu Instabilitäten und zum Verlust von Flexibilität.
Im ersten Behandlungsschritt steht die Wiederherstellung der Stabilität im Fokus, d.h. die anatomisch gegebene Struktur der Wirbelsäule sollte wieder hergestellt werden um ihre Flexibilität zu gewährleisten.
Rein anatomisch verfügt die Wirbelsäule über drei Freiheitsgrade im Hinblick auf ihre Beweglichkeit:

  • Flexion/Extension
  • Rotation
  • Lateralflexion


In der Biomechanik werden diese drei achsenorientierten Freiheitsgrade um die Freiheitsgrade der drei Körperebenen ergänzt (Klein, Sommerfeld, 2007, S. 144).

Dadurch findet die translatorischen Bewegung im dreidimensionalen Raum Berücksichtigung für den Therapieansatz:

  • anteriore/posteriore Translation
  • laterale Translation links/rechts
  • kraniale/kaudale Translation


Die Translation besagt, dass bei einer geradlinigen Bewegung der Wirbelsäule in eine Richtung sich alle Punkte des Körpers auf dieser Geraden in die gleiche Richtung mit der gleichen Entfernung verschieben. Diese Erkenntnis wird bei der manuellen Therapie in die Behandlungsvorgehensweise einbezogen. Es bedeutet, dass die Behandlung nicht unbedingt am tatsächlichen Verletzungsort ansetzen muss, sondern über die Einbeziehung der gesamten Bewegungsstrecke ausgedehnt werden kann.
So erhält der Therapeut eine Vielzahl von Ansatzmöglichkeiten zur Behandlung, ohne am eigentlichen Krisenherd einzugreifen. Der für die Behandlung notwendige Kraftaufwand durch den Therapeuten kann deutlich reduziert werden. Darüber hinaus reduziert sich das Verletzungsrisiko für den Patienten ebenfalls deutlich (Klein, Sommerfeld, 2007, S. 144).

Muth, Y.

Literaturverzeichnis



Bildnachweise


Abbildung Rechte Name Student:innen
Modul-Icon C F. Amico
Abbildung 1 A nach Vorlage Seilnacht F. Amico
Abbildung 2 A nach Vorlage (Schmitt et. al. 2014) F. Amico
Abbildung 3 A nach Vorlage (Klein,P. & Sommerfeld,P. 2007) F. Amico



A = Eigenes Bild; B = Recht, die Abbildung im Wiki öffentlich nutzen zu dürfen; C = Freie Nutzung

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