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ATSB1702 Parkour Landungen

parkour_icon.jpg ATSB1701 Parkour Landungen
Veranstaltung Aktuelle Themen der Sportbiomechanik
Autoren Ilka Lauterbach, Johannes Huber
Bearbeitungsdauer 30 min
Präsentationstermin 05.07.2017
Zuletzt geändert 19.06.2017

1 Die Sportart "le Parkour"

Jeder hat es schon einmal gesehen, ob in einem Video, Film, Musikclip oder im Freien: Sportler die über Hindernisse, von Dach zu Dach oder von großer Höhe springen. Was gefährlich und waghalsig aussieht läuft unter dem Namen „le Parkour“, einer Trendsportart. In diesem Wiki soll es speziell um einen Vergleich der Landetechniken der Sportart mit anderen Landetechniken gehen. Denn wie eine Tabelle im American Journal of Emergency Medicine zeigt, können vor allem die Landungen in dieser Sportart schwerwiegende Folgen haben (Rossheim & Stephenson, 2017, S. 2):

Tabelle 1.1: Fallstudien Parkour-bezogenener Verletzungen (mod. nach Rossheim & Stephenson, 2017, S. 2)

Patient Ursache Diagnose Verletztes Körperteil Land Quelle
18 jährig, männlich Landung Bruch & Dislokation Fuß US Miller & Demoiny
19 jährig, männlich Landung Bruch Fersenknochen US Frumkin
31 jährig, männlich Absprung Riss der Fußsehne Fuß US Blanco & Lee
13 jährig, männlich Landung Bruch Unteres Schienbein (Tibia) UK McLean et al.
*15 jährig, männlich Landung Bruch Schlüsselbein UK McLean et al.
*16 jährig, männlich Landung Brüche Unterer Unterarm (Radius) UK McLean et al.
24 jährig, männlich Überschlag Bruch Wirbelsäule Iran Derakhshan et al. (2014)
13 jährig, männlich Landung Riss Niere Spanien Vivancon.Alende et al.
* selber Patient in der Notaufnahme 9 Monate nach erster Verletzung

Die Landetechnik im Parkour scheint somit entscheidend. Folglich beschäftigt sich dieses Wiki mit der biomechanischen Analyse von drei verschiedenen Landetechniken und deren Vergleich. Die Fragestellung ist dabei, wie die einzelnen Landetechniken biomechanisch auf den Körper wirken und welche Technik aus biomechanischer Sicht am geeignetsten ist. Um eine genauere Vorstellung der Problematik zu erhalten, hier zunächst ein kurzes Video. Beachte: Das Video ist spiegelverkehrt und auf Englisch, einige wichtige Punkte sind aber übersetzt.

Weiter unten findest du den zweiten Teil des Videos. Zunächst jedoch eine kurze Einführung in die Sportart “le Parkour”.

1.1 Entstehung & Allgemeines

Die Sportart findet ihren Ursprung in der „méthode naturelle“, deren Begründer Georges Hébert ist. Raymond Belle lernte diese als Soldat und gab sie an seinen Sohn David Belle weiter. Die Methode lehrt Techniken der Fortbewegung bei Hindernisläufen (Witfeld et al., 2012, S. 20). David Belle passte diese Bewegungen an die urbane Umgebung von Paris an und gilt als (Mit-) Begründer der Sportart (Krick & Walther, 2014, S. 10). Beim Parkour geht es um das Überwinden von Hindernissen in urbanem Gelände. Parkour wird auch l’art du déplacement – die Kunst der Fortbewegung –genannt. David Belle sieht in der Kunst der Fortbewegung einen Weg, sich an seine Umgebung anzupassen und die Hindernisse durch Technik und körperliches Training zu überwinden (Baconman Parkour, 2011, 0:29–0:40). Der Traceur (Sportler von le Parkour) sucht sich seinen speziellen Weg in der urbanen Umwelt und versucht diesen auf individuelle Weise zu durchlaufen, was ihm einen einzigartigen Bewegungsraum ermöglicht (Schmidt-Sinns, 2008, S. 4). Die Trainingsorte werden in der Szene auch „Spots“ genannt (Witfeld et al., 2012, S. 35). „Parkour-moves folgen der Prämisse der Effizienz“ (Krick & Walther, 2014, S. 16). Neben der Effizienz geht es dabei um eine realistische Selbsteinschätzung des eigenen Könnens um Gefahren und negative Folgen zu vermeiden (Gygax, 2013, S. 24). Parkour-moves gelten als Bewegungen im Parkour, die genutzt werden, um Hindernisse zu überwinden. In der Literatur finden sich vermehrt die Vorzüge der Sportart für den Breiten- und Schulsport. So sollen „grundlegende Klettertechniken, Schnelligkeits-, Kraft- und Balanceübungen spielerisch mit dem motivierenden Image dieser Bewegungskünste in den Schulsport integriert werden“ (Witfeld et al., 2012, S. 29). Die Abbildungen in den Lehrbüchern zeigen neben den Übungen im direkten urbanen Terrain auch Übertragungen auf die Halle und Möglichkeiten, das urbane Terrain in der Halle zu improvisieren (Krick & Walther, 2014, sowie Witfeld et al., 2012). Bei Witfeld et al. (2012) findet sich eine Unterteilung in Balance-, Lauf-, Sprung-, Landungs-, Überwindungs-, Kletter-, Hang-, Schwung- und Durchquerungstechniken. Hier wird das Anforderungsprofil der Sportart deutlich. Auch Schmidt-Sinns (2008) betont die besonderen Anforderungen der Sportart, vor allem an konditionelle und koordinative Fähigkeiten. Zudem setzt er einen gewissen Wagemut, Leistungswillen und eine Trainingsbereitschaft voraus, um den Anforderungen gerecht zu werden (Schmidt-Sinns, 2008, S. 2).

1.2 Parkour & Freerunning

Die effiziente Fortbewegung im Parkour wurde im Lauf der Zeit durch akrobatische Bewegungen von Sébastian Foucan, einem Freund David Belles, ergänzt und in Abgrenzung zum Parkour als „Freerunning“ bezeichnet (Witfeld et al., 2012, S. 25). So sind Freerunning-moves „in den Lauf eingebundene effektvolle, spektakuläre Bewegungskunststücke, die nicht wie im Parkour allein als Mittel zum Zweck der effizienten Überwindung im Wege stehender Hindernisse dienen“ (Schmidt-Sinns & Scholl, 2012, S. 5). Krick & Walther (2014, S. 15f.) definieren die Bewegungen im Parkour infolge ihrer Zweckdienlichkeit als telische Bewegungen. Freerunning-moves werden als autotelische, also selbstdienliche, Bewegungen bezeichnet. Für den Parkour (Mit-) Begründer David Belle bedeuten die Freerunning-moves Spaß und Freude. Dennoch sieht er sie nur als Weiterentwicklung der Parkour-moves. Für ihn müssen Parkour-moves effizient sein und dürfen nicht durch Bewegungen ergänzt werden, die dieser Grundlage nicht entsprechen (StormFreerun, 2014, 2:41–4:13).

verfasst von Johannes Huber


2 Bewegungsbeschreibungen der Landungstechniken

Nun folgen die drei Landungstechniken, die später miteinander verglichen werden. Zur Verdeutlichung sollte das Video genutzt werden.<note important> Die Landungen wurden von einem Sportler mit Erfahrung in der Sportart durchgeführt. Selbstständiges Ausprobieren kann zu Verletzungen führen!</note>

2.1 Traditionelle Landung

Bei der traditionellen Landetechnik, die in vielen Sportarten genutzt wird, landet der Athlet zuerst mit dem Fußballen. Daraufhin erfolgt ein Absenken auf die Ferse durch Beugung im Sprunggelenk. Die restliche Energie wird über eine Beugung im Knie mit leichtem Absenken des Körperschwerpunktes durch Hüftflexion gebremst. Im Gerätturnen, einer le Parkour verwandten Sportart, wird dabei das Knie nicht mehr als 90° gebeugt. Die Arme werden zusätzlich von oben in eine Vorhalteposition (90° im Arm-Rumpf-Winkel) geführt. Die Bewegung endet statisch.

2.2 Parkour Präzisionssprung/-landung

Der Präzisionssprung, auch „Präzi“ genannt, ist sowohl Lande- als auch Sprungtechnik. Entscheidend ist hierbei, dass der Traceur versucht punktuell zu landen und sämtliche Energie zu absorbieren. Die Landung erfolgt zuerst mit dem Fußballen. Weiterhin wird das Sprunggelenk stark gebeugt, die Fersen berühren jedoch möglichst nicht den Untergrund. Dies ist ein großer Unterschied zur traditionellen Landung. Weiterhin werden die Knie und Hüfte stärker gebeugt. An dieser Stelle endet die Bewegung nicht, sondern wird dynamisch weitergeführt, indem der Körper wieder aufgerichtet wird. Es kommt zur Streckung im Sprung- und Kniegelenk mit einem gleichzeitigen Zug der Arme von unten nach oben in die Vorhalte. Bei Distanzsprüngen kann die Energie einer vertikalen Translation in eine horizontale Translation umgeleitet werden, um punktuell zu Landen. (Ähnliche Bewegungsbeschreibungen finden sich bei Krick & Walter, 2014 und Witfeld et al., 2012).

2.3 Die Parkour Rolle

Bei der Parkour-Rolle beginnt die Landung ähnlich der ersten beiden Techniken. Zunächst findet ein Fußballen-Kontakt mit dem Boden statt. Sprung-, Knie- und Hüftgelenk beugen und senken den Körperschwerpunkt nach vorne-unten ab. Die Ferse berührt dabei möglichst nicht den Boden. Der Impuls wird nun weiter nach vorne geleitet. Den Anschluss bildet eine Rolle diagonal von der Schulter zum gegenüberliegenden Beckenkamm. Somit wird der Kontaktpunkt der Wirbelsäule mit dem Boden möglichst gering gehalten. Sie ähnelt sehr dem Abrollen im Kampfsport. Durch das Rollen über die Schulter wird der Kopf und Nackenbereich geschützt. Die Rolle wird vor allem bei der Landung aus größeren Höhen genutzt. (Ähnliche Bewegungsbeschreibungen finden sich bei Krick & Walter, 2014 und Witfeld et al., 2012).


verfasst von Johannes Huber


3 Biomechanik der Landungen

3.1 Biomechanische Grundlagen

Im Sport spielen Landungen eine wichtige Rolle. Dabei ist es die Aufgabe der Landungen, den Landeimpuls möglichst schonend abzufangen und dadurch Verletzungen zu vermeiden (van Husen, 2005, S.11). Man kann sich eine Landung wie eine Kollision des Körpers mit dem Untergrund vorstellen (Witfeld et al., 2012, S. 315). Dabei wirken entgegengesetzte Kräfte sowohl auf den Körper als auch auf den Boden ein (3. Newton‘sches Axiom) (vgl. Wechselwirkungsgesetz).<note> Das dritte Newtonsche Axiom wird auch als Wechselwirkungsgesetz bezeichnet. Es besagt, dass die Kräfte, die zwei Körper aufeinander ausüben, gleich groß sowie entgegengesetzt gerichtet sind und auf derselben Wirkungslinie liegen.Dies bedeutet auch:„Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich„ oder „actio = reactio“ (Richard & Kullmer, 2013, S.23).</note> Die für diese Arbeit relevante Kraft ist diejenige, welche vom Untergrund auf den Körper einwirkt. Man nennt sie Bodenreaktionskraft und definiert sie als die gleich große, entgegengesetzt-gerichtete Kraft zu der Kraft, die ein Körper auf den Boden ausübt. Die Bodenreaktionskraft dient als Indikator für die Höhe und Dauer einer Belastung, die auf den Körper einwirkt (Puddle & Maulder, 2013, S.125). Je nach Größe der Kraft variieren die mechanischen Belastungen des Bewegungsapparates, welche als Folge zu Beanspruchungen biologischer Strukturen führt. <note>Belastung ist die Summe aller auf einen Körper oder eine Struktur (z.B. Gelenk) einwirkenden Kräfte. Unter Beanspruchung wird die Verteilung der Kraft auf die kraftübertragende Fläche verstanden. Dabei kann es zu Deformierungen (Form- oder Strukturveränderungen) oder mechanischen Spannungen kommen (Hüter-Becker & Dölken, 2004, S.51).</note>

Die Bodenreaktionskräfte bei verschiedenen Landungen werden durch die Bewegungsgeschwindigkeit des Körpers, die jeweilige Landestrategie und die Beschaffenheit des Untergrundes beeinflusst (Witfeld et al., 2012, S. 315). Die Bewegungsgeschwindigkeit lässt sich dabei durch Variation der Absprunghöhe verändern. Je größer die Sprunghöhe, desto größer ist die Bewegungsgeschwindigkeit. Durch einen entsprechenden Muskeleinsatz bei der Landung kann die Bewegung im Sprung-, Knie- und Hüftgelenk kontrolliert werden (van Husen, 2005, S. 19). Dabei sind sowohl agonistisch- als auch antagonistisch-arbeitende Muskeln beteiligt (Witfeld et al., 2012, S. 316). Generell ist eine beidbeinige Landung der einbeinigen Landung vorzuziehen. Darüber hinaus sollte eine „weiche Landung“ einer „harten/steifen Landung“ vorgezogen werden (Witfeld et al., 2012, S. 316). Dabei versteht man unter einer weichen Landung eine Landung mit starker Gelenksbeugung in Sprung-, Knie- und Hüftgelenk. Durch eine Landung auf dem Ballen ohne anschließenden Fersenaufsatz kann die Gelenkbeugung durch eine allgemein bessere Bewegungsmöglichkeit unterstützen werden. Bei weichen Landungen ist darüber hinaus die Muskelarbeit höher, während bei harten Landungen die Energie von anderen Systemen, insbesondere dem Skelettsystem aufgenommen wird, welches dadurch einer höheren Belastung ausgesetzt ist (van Husen, 2005, S. 21). Die maximalen Bodenreaktionskräfte treten bei Landungen bereits wenige Millisekunden nach dem initialen Bodenkontakt auf (Witfeld et al., 2012, S. 316). Da das muskuloskeletale System jedoch eine gewisse Zeit bis zur Aktivierung (etwas 50ms) benötigt, steigt bei geringeren Zeiten das Verletzungsrisiko an (Puddle & Maulder, 2013, S. 126). Demnach ist es wichtig, bereits vor dem Bodenkontakt die jeweilige Landestrategie zu antizipieren. Die Muskulatur kann dann frühzeitig aktiviert und auf die bevorstehende Landung vorbereitet werden (Witfeld et al., 2012, S. 316). Bodenreaktionskräfte und ihre Angriffspunkte am Körper können in der Biomechanik durch Kraftmessplatten in Verbindung mit dreidimensionalen Bewegungsanalyse-Systemen untersucht werden (Witfeld et al., 2012, S. 315) (vgl. Kraftmessung).

3.2 Biomechanik der Parkour-Landungen

Bisher wurden nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen zu den verschiedenen Landetechniken des Parkour-Sports durchgeführt. Es deuten sich jedoch in den bisherigen Studien sehr ähnliche Befunde an. Insgesamt wurde festgestellt, dass die Landetechniken des Parkour-Sports in vielerlei Hinsicht Vorteile gegenüber der traditionellen Landetechniken aufweisen.

Im folgenden Abschnitt werden nun die Ergebnisse der Studien von Maulder & Puddle (2013) sowie Maulder & Standing (2015) dargestellt. Die aufgeführten Ergebnisse zur maximalen Bodenreaktionskraft und zur Zeit bis zum Erreichen der Kraftspitzenwerte stammen aus diesen Arbeiten.

Tabelle 3.2.1: Durchschnittliche Ergebnisse aller betrachteten Variablen der verschiedenen Landetechniken (nach Puddle & Maulder, 2013, S. 125)

Traditionelle Landung Präzisionslandung Rolle
Max. Bodenreaktionskraft (KG = Körpergewicht) 5,2 3,2 2,9
Zeit bis zum Erreichen der Kraftspitzenwerte (s) 0,044 0,077 0,080
Belastungsrate (KG/s) 154,3 83,3 64,1

Maximale vertikale Bodenreaktionskraft

Vergleicht man die Präzisionslandung des Parkour-Sports mit der traditionellen Landung fallen zunächst deutliche Unterschiede in der Ausführung auf. In Hinblick auf die maximale vertikale Bodenreaktionskraft ist dabei ein besonderes Augenmerk auf die Unterschiede des Fußaufsatzes zu legen. Generell wird bei der Präzisionslandung ein etwa halb so großer, maximaler Wert erreicht wie bei der traditionellen Landung mit Fersenaufsatz. Das heißt im Konkreten, dass bei der Präzisionslandung das 3,2 fache des Körpergewichts auf den Körper einwirkt, während bei der traditionellen Landung Werte in Höhe des 5,2 fachen des eigenen Körpergewichts erreicht werden. In weiteren Studien mit vergleichbaren Absprunghöhen wurden sogar Werte von etwa dem 6 bis 7-fachen des Körpergewichts festgehalten. Für den deutlichen Unterschied können verschiedene Gründe aufgeführt werden. Die Landung auf dem Vorderfuß ermöglicht eine bessere Beugung des Sprung-, Knie- und Hüftgelenks. Die einwirkende Kraft kann somit besser auf die verschiedenen Muskeln und Gelenke verteilt werden. Darüber hinaus ist die maximale vertikale Bodenreaktionskraft umso geringer, je besser eine Person die Landebewegung verlangsamen kann. Um eine Bewegung möglichst gut abzubremsen, müssen ebenfalls mehr unterschiedliche Muskeln aktiviert werden und somit wird auch hier die Kraft besser verteilt.

Vergleicht man die Landung mit anschließender Abrollbewegung und die traditionelle Landung miteinander, zeigen sich sehr ähnliche Ergebnisse. Die maximale Bodenreaktionskraft ist bei der Abrollbewegung ebenfalls nur etwa halb so hoch (2,9-faches des Körpergewichts) und auch hier kann die bessere Verteilung auf die beteiligte Muskulatur als Grund für den geringeren Wert genannt werden. Darüber hinaus wird durch die Antizipation einer Anschlussbewegung in Bewegungsrichtung die vertikale Kraft teilweise in die Horizontale umgelenkt. Im Vergleich zwischen den beiden Parkour-Landetechniken konnten bisher keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Es deutet sich in den standardisierten Testumgebungen jedoch an, dass die Kraftspitzenwerte bei der Abrollbewegung ein wenig geringer sind. Hierzu müssten noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden.

Vertikale Bodenreaktionskräfte

Abbildung 3.2.1: Vertikale Bodenreaktionskräfte bei Landungen: Linkes & rechtes Bein (Witfeld et al, 2012, S. 319)


Zeit bis zum Erreichen der Kraftspitzenwerte

Wie bereits beschrieben treten die maximalen Bodenreaktionskräfte bei Landungen innerhalb weniger Millisekunden nach dem initialen Bodenkontakt auf. Je größer die Absprunghöhe, desto schneller treten die Kraftspitzenwerte ein und desto weniger Zeit bleibt der Muskulatur, um auf die eintretende Kraft zu reagieren. Den Ergebnissen einer Studie von Ricard und Veatch (1990) zufolge benötigt der Körper mindestens 50ms um die Muskulatur zu aktivieren. Betrachtet man nun die unterschiedlichen Landetechniken, wird deutlich, dass bei beiden Parkour-Landungen signifikant mehr Zeit bis zum Erreichen der maximalen vertikalen Bodenreaktionskraft zur Verfügung steht (Präzisionslandung: 77ms, Rolle: 80ms). Die Muskulatur kann sich besser auf die Belastung vorbereiten und durch die neuromuskuläre Aktivierung Verletzungen der beteiligten biologischen Strukturen vermeiden (vgl. Puddle & Maulder, 2013). Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Bodenreaktionskraft ist jedoch nicht nur von der Landetechnik, sondern auch von der Absprunghöhe abhängig, wie die Studie von Standing & Maulder (2015) zeigt. Beträgt die Absprunghöhe 25% der Körpergröße werden hier ähnlich hohe Werte für die Präzisionslandung festgestellt (91ms). Wird die Absprunghöhe jedoch auf 50% der Körpergröße erhöht verringert sich die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Bodenreaktionskraft auf nur noch 56ms.

Zum besseren Verständnis des eben Gelesenen, hier nun der zweite Teil des Videos:


verfasst von Ilka Lauterbach


4 Zusammenfassung und Ausblick

In diesem Wiki wurden die unterschiedlichen biomechanischen Parameter dreier Landetechniken (die traditionelle Landung sowie die Präzisionslandung und die Rolle aus dem Parkour-Sport) verglichen.

Folgendes sollte dabei deutlich geworden sein:

  • Beim Parkour geht es um effiziente Bewegungen, um schnellstmöglich eine Strecke von A nach B zurückzulegen.
  • Landungen spielen eine wichtige Rolle im Sport und besonders im Parkour-Sport, da sie oftmals Auslöser von Verletzungen sind.
  • Die beiden Parkour-Landungen sind besser für den Parkour-Sport geeignet, als die traditionelle Landung.
  • Ein deutlicher Unterschied zwischen der Rolle und der Präzisionslandung konnte bisher nicht festgestellt werden.

Im Hinblick auf die standardisierten Untersuchungsbedingungen der verwendeten Studien von Maulder & Puddle (2013) und Maulder & Standing (2015) ist zu beachten, dass der Parkour-Sport sehr variabel ist und damit standardisierte Testungen nur schwer auf die tatsächliche Praxis übertragen werden können. Ebenfalls sollte man bedenken, dass auch das bei der Testung getragene Schuhwerk einen Einfluss auf die Ergebnisse haben kann. Je nach Dämpfungsfähigkeit der Sohle könnte es zu unterschiedlichen Kraftwerten kommen. Oftmals gibt das Gelände schlichtweg vor, welche Landetechnik gewählt werden muss. Landet man beispielsweise auf einer schmalen Mauer, ist eine Rolle gar nicht möglich. Persönlich (Johannes Huber) konnte festgestellt werden, dass die traditionelle Landung auf hartem Untergrund am Körper deutlich spürbarer ist, als die Parkour-Landungen. Dabei merkt man die Bodenreaktionskräfte, die nicht von der Muskulatur richtig absorbiert werden, im Körper.

Darüber hinaus sollte man beachten, dass einige Menschen trotz Fersenaufsatz noch so beweglich sind, um die Sprung-, Knie- und Hüftgelenke ausreichend bis maximal zu beugen. Damit ist auch bei einer traditionellen Landung eine „weiche Landung“ möglich. Im Weiteren spielt bei einer Landung ohne Fersenaufsatz der monosynaptische Reflexbogen der Muskulatur eine große Rolle. Durch diesen werden reaktivkräftige Bewegungen ermöglicht, indem die Muskelspindel eine Dehnung der Muskulatur feststellt und dieser mit einer Kontraktion gegensteuert. Dadurch erfolgt ein reaktivkräftiger Absprung. Ist die einwirkende Kraft jedoch zu groß (gemessen in der Längenveränderung der Sehne), kann der monosynaptische Reflexbogen nicht mehr wirken und die Ferse setzt auf. Dies passiert vor allem bei Sprüngen aus großer Höhe, weshalb eine Vermeidung des Fersenkontaktes nicht immer möglich ist.

Eine mögliche Adaption der Parkour-Landetechniken auf andere Sportarten ist zu dem fraglich. Zwar sind die Parkour-Bewegungen aus biomechanischer Sicht effizienter und sorgen für weniger Verletzungen, allerdings spielt bei vielen Sportarten mit Landungen auch die Ästhetik eine übergeordnete Rolle. So wäre bspw. im Turnen eine Parkour-Rolle gegen das Regelwerk. Auch im Tanzsport ist fragwürdig, ob die Parkour-Landetechniken genutzt werden können. Gegebenfalls könnten die Techniken aber bei Fallschirmsprüngen zum Einsatz kommen, sofern es möglich ist, den Fallschirm im richtigen Moment abzuwerfen.

verfasst von Ilka Lauterbach und Johannes Huber


Themenvorschläge für weitere wissenschaftliche Studien

  1. Die Testungen sollten auf verschiedenen Untergründen durchgeführt werden, um den Unterschied zwischen der Präzisionsladung und der Rolle noch deutlicher herauszuarbeiten
  2. Wäre es sinnvoll sich beim Fallschirmspringen früher vom Schirm zu lösen und eine weichere Landung mit Hilfe einer Rolle einzuleiten?
  3. Sollten Landungen im Gerätturnen und Tanzsport zur Vermeidung von Verletzungen angepasst werden und dafür weniger auf die Ästhetik geachtet werden?

Fragen

<spoiler | 1. Um was geht es bei der Sportart „le Parkour“?> Bei der Sportart „le Parkour“ geht es um eine möglichst effiziente und flüssige Fortbewegungen auf einer Strecke vom einen Punkt zum Anderen. Dafür werden verschiedenste Techniken der Hindernisüberwindung, aber auch Landetechniken genutzt </spoiler>

<spoiler | 2. Nenne die wichtigsten Merkmale der Parkour-Landetechniken und vergleiche Sie mit der traditionellen Landung> Die Parkour-Landungen heben sich durch eine stärkere Beugung im Sprung-, Knie- und Hüftgelenk ab. Dabei sollten die Fersen den Boden nicht berühren, um die verstärkte Beugung zu ermöglichen. </spoiler>

<spoiler | 3. Welches biomechanische Konzept steckt hinter den Parkour-Landungen und warum funktionieren diese aus neurophysiologischer Sicht besser?> Generell basieren Landungen auf dem Konzept der Bodenreaktionskräfte, die mit dem 3. Newton'schen Axiom „Axio=Reaxio“ beschrieben werden können. Die Zeit bis zur Kraftspitze ist bei den Parkour-Landungen größer als bei den traditionellen Landetechniken. Das neuronale Nervensystem benötigt mehr als 50ms für eine Aktivierung der Muskulatur, um die wirkenden Kräfte richtig abzufangen. Bei der traditionellen Landung liegt die Zeit bis zum ersten Kontakt und der Kraftspitze unter 50ms, bei den Parkour-Landetechniken durch die verstärkte Beugung über 50ms. </spoiler>

<spoiler |4. Fallen dir weitere Möglichkeiten ein, die Parkour-Landetechniken in anderen Sportarten anzuwenden? Überlege, welche Vor- und Nachteile dies in der jeweiligen Sportart haben könnte. Im Kasten findest du einige Sportarten-Beispiele.> Beispiele: Judo, Handball (nach einem Sprungwurf), Weitsprung </spoiler>

Literatur

Baconman Parkour. (2011, 16. September). David Belle – Parkour [Video Datei]. Zugriff am 29. Mai 2017 unter https://youtu.be/JUeHrPazTtY

Gygax, S. (2013). Parkour ist Philosophie und Lebensschule. Berner Landbote, 2013 (11), 24. Zugriff am 29. Mai 2017 unter http://parkourone.de/hochladen/parkour_landbote.pdf

Hüter-Becker, A. & Dölken, M. (2004). Biomechanik, Bewegungslehre, Leistungsphysiologie und Trainingslehre (1. Aufl.). Stuttgart: Thieme.

Krick, F., & Walther, C. (2014). Parkoursport: Le Parkour & Freerunning für Schule und Verein (1. Aufl.). Wiebelsheim: Limpert.

Maulder, P. S. & Puddle, D. L. (2013). Ground Reaction Forces and Loading Rates Associated with Parkour and Traditional Drop Landing Techniques. Journal of Sports Science and Medicine, 2013 (12), 122-129.

Maulder, P. S. & Standing, R. J. (2015). A Comparison of the Habitual Landing Strategies from Differing Drop Heights of Parkour Practioners (Traceurs) and Recreationally Trained Individuals. Journal of Sports Science and Medicine, 2015 (14), 723-731.

Richard, H. A. & Kullmer, G. (2013). Biomechanik: Grundlagen und Anwendungen auf den menschlichen Bewegungsapparat. Wiesbaden: Springer.

Rossheim, M. E. & Stephenson C. J. (2017). Parkour injuries presenting to United States emergency departments, 2009-2015. American Journal of Emergency Medicine, 2017. http://dx.doi.org/10.1016/j.ajem.2017.04.040

Schmidt-Sinns, J. (2008). Parkour - hier ist der Weg das Ziel: Die junge Sportart „Le Parkour“ macht Orientierungsläufer, Klettermaxe und Straßenturner in einer Person erforderlich. Lehrhilfen für den Sportunterricht. (9), 1–4.

Schmidt-Sinns, J., & Scholl, S. (2012). Freerunning - mit Spin und Flip den Unterricht bereichern. Lehrhilfen für den Sportunterricht. (2), 5–13.

StormFreerun. (2014, 27. Juli). FULL David Belle Interview - The founder of Parkour and star of District B13 [Video Datei]. Zugriff am 29. Mai 2017 unter https://www.youtube.com/watch?v=ZXVvjtG2H8c

van Husen, M. (2005). Belastungen der unteren Extremität im Handball und Volleyball - Eine Untersuchung zur Landung nach Sprungwürfen und Schmetterschlägen. Dissertation, Technische Universität Darmstadt.

Witfeld, J. (2010). Zum Einfluss von Höhe, Weite und Landetechnik auf die mechanische Belastung im Knie- und Sprunggelenk in der Sportart Parkour. Diplomarbeit, Deutsche Sporthochschule Köln.

Witfeld, J., Gerling, I. E., & Pach, A. (2012). Parkour und Freerunning: Entdecke deine Möglichkeiten (2., überarb. Aufl.). Aachen: Meyer & Meyer.

Video: Ryan A Doyle Youtube Kanal: Ryan A Doyle Original Video: Fight Science - Parkour Episode: Ryan Doyle & Daniel Ilabaca

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