Inhaltsverzeichnis
ATSB1806 Bike-Fitting II
Bike-Fitting/Rehabilitation
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Veranstaltung | Aktuelle Themen der Biomechanik |
Autor(en) | Stephan Heller, Matthias Hilz, Yannik Tönges |
Bearbeitungsdauer | 40 Minuten |
Voraussetzungen | keine |
Status | finalisiert |
Zuletzt geändert am | 26.07.2018 |
1. Einleitung
Das Fahrradfahren ist eine weit verbreitete Form des einfachen Transports, der Erholung oder zur Steigerung der körperlichen Fitness. Die positiven Folgen einer körperlichen Betätigung, egal in welchem Alter, sind unbestritten, jedoch müssen, wie bei allen anderen Sportarten auch, die Risiken eines Sports in die Betrachtung mit einbezogen werden, um den richtigen Sport für sich zu wählen. Die typischen Verletzungen können hierbei in traumatische und nicht-traumatische Verletzungen unterteilt werden. Die traumatischen Verletzungen, wie etwa Knochenbrüche, bedürfen meist einer ärztlichen Behandlung, sind deshalb gut dokumentiert und es existieren Interventionsstrategien. Die nicht-traumatischen Verletzungen hingegen sind aufgrund der „Leichte“ der Verletzung weit weniger gut dokumentiert, obwohl die Prävalenz bis zu 85% betragen kann (Dettori & Norvell, 2006, S. 8). In anderen Sportarten reicht oftmals eine medizinische oder rehabilitative Therapie aus, um die Probleme zu beheben. Beim Radsport ist ebenfalls eine „mechanische“ Therapie in Form einer Verbesserung der Fahrradanpassung erforderlich, um die Ursachen der Probleme zu beheben. Damit einhergehend sollte ebenfalls eine Verbesserung der Technik fokussiert werden (Mellion, 1991, S. 61). In einer Pilotstudie konnte ein Nachweis zwischen einem gut abgestimmten Fahrrad und den von Sportlern wahrgenommenen Schmerzen gegeben werden (Lewin, Debenham & Oldmeadow, 2017, S. 70). Das Wiki identifiziert die Parameter des Radfahrens, die das Risiko von nicht-traumatischen Verletzungen am meisten beeinflussen und untersucht die möglichen Mechanismen für Verletzungen und die derzeitigen Präventionsstrategien. Dies soll anhand der drei typischen Problemfelder Oberkörper, Knie und Unterschenkel/Fuß untersucht werden. Für weitere Informationen über die allgemeine Sitzposition oder die Leistungssteigerung durch Bike-Fitting sind die verlinkten Wikis zu nennen.
verfasst von Yannik Tönges
Einführendes Beispiel
<note> relevanter Abschnitt 1:54 bis 2:45 </note>
2. Oberkörper
Zunächst wird auf Verletzungen im Bereich des Oberkörpers eingegangen. Sehr häufig treten dabei Schmerzen im Bereich des Nackens und des Rückens auf, nach Mellion (1991, S.61) bei 60% aller Radfahrer. Im Folgenden sollen aber nicht nur diese Ausschnitte des Oberkörpers betrachtet werden, auch mit Problemen, die Arme und Hände betreffen, wird sich dieses Wiki nachstehend befassen, um dann Empfehlungen für ein geeignetes Bike-Fitting geben zu können.
2.1 Nacken und Rücken
Verkrampfungen der Muskulatur
Nackenschmerzen bei Radfahrern können Verkrampfungen der Muskulatur (besonders des Levator scapulae und des Trapezius) als Ursache haben. Mellion (1991, S.61) sieht bei der genannten Muskulatur speziell auf der linken Körperseite in Ländern, in denen auf der rechten Straßenseite gefahren wird, Probleme. Durch das ständige Beobachten des Verkehrs vor und während des Überholvorgangs ist die linke Seite stärker belastet.
Die Schmerzen können durch eine nicht stark ausgeprägte obere Rückenmuskulatur, den tiefen Griff beim typischen Rennradlenker, einen zu hoch eingestellten Sattel oder einen zu schweren Helm entstehen (Schwellnus & Derman, 2005, S.16). Durch fehlerhafte Einstellungen dieser Radkomponenten entsteht so eine zu starke Streckung des Nackens, welcher man durch die Herabsetzung des Sattels oder die Erhöhung der Lenkerposition entgegenwirken kann (Mellion, 1991, S.62).
Schmerzen im unteren Rückenbereich
Im unteren Rückenbereich treten chronische Schmerzen in der Regel durch die gebeugte Haltung auf (Schwellnus & Derman, 2005, S.19). Ursachen dafür können Kompressionen der Bandscheiben sein. Ischämische Schmerzen, die von der Lendenwirbelsäule ausgehen oder durch ständige isometrische Kontraktion der Stützmuskulatur des Rückens verursacht werden, sind zwei weitere mögliche Ursachen von Problemen im Bereich des unteren Rückens (Dettori & Norvell 2006, S.16).
Als Lösung dieser Beschwerden wird die Anpassung des Sattels genannt. Hierbei hilft laut Dettori und Norvell (2006, S.16) eine Herabsetzung der Sattelspitze um ca. 10-15%. Ebenso sollte der Lenker in eine höhere Position gebracht werden (Schwellnus & Derman, 2005, S.19).
2.2 Arme und Hände
Handlebar palsy oder Loge de Guyon-Syndrom
Die sogenannte handlebar palsy (Loge de Guyon-Syndrom) (Dettori & Norvell 2006, S.12) tritt vor allem bei Radfahrern, die an mehrtägigen Veranstaltungen teilnehmen, in Form von chronischer Taubheit und Kribbeln und damit verbundener Schwäche der Handmuskulatur auf. Laut Schwellnus und Derman (2005, S.19) zeigt eine Studie bei einem mehrteiligen, 600 km langen Radrennen, dass 92% der Fahrer mit diesen Problemen zu kämpfen haben.
Betroffen ist dabei größtenteils der Nervus ulnaris (Ellennerv), der bei Kompression die erwähnten Symptome in Ringfinger und kleinem Finger auftreten lässt. Die Ursache dafür ist der ständige Druck und die Vibration sowie die Überdehnung des Handgelenks (Schwellnus & Derman, 2005, S.19).
Durch Polsterung am Lenker oder Fahrradhandschuhe können Vibrationen minimiert werden. Ebenso kann durch häufiges Wechseln der Handposition beim Fahren den Symptomen entgegengewirkt werden. Außerdem kann der Lenker so angepasst werden, dass möglichst wenig Körpergewicht auf den Händen lastet (Mellion, 1991, S.62 und Schwellnus & Derman, 2005, S.19). Auch die im Triathlon verwendeten Liegeaufsätze (Aerobars) schonen die Unterarme (Dettori & Norvell 2006, S.13).
verfasst von Matthias Hilz
3. Knie
Laut Dettori und Norvell (2006, S. 11) betreffen die häufigsten nicht unfallbedingten Verletzungen beim Radfahren das Knie. Der Anteil an Langestreckenradfahrern, welche Knieschmerzen erleiden, liegt laut Autoren in den untersuchten Studien zwischen 21 und 65%. Kulund und Brubaker (1978, S. 74-78) merken an, dass die beim Ride Across America erlittenen Knieverletzung meist keinen Abbruch des Rennens nach sich trugen, also weniger gravierend waren. Auch Wilber, Holland und Madison (1995, S. 201-206) geben an, dass in ihrer Umfrage die Hälfte aller Knieverletzungen als „mild“ beschrieben werden.
In der Studie von Weiss (1985, S. 187-192) erfahren 50% der Teilnehmer Schmerzen an der Patellasehne, seitlicher Knieschmerz in Form vom IBF-Syndrom und „mediale“ Knieschmerzen wurden ebenfalls häufig genannt. Auffällig ist, dass in dieser Studie Frauen dreimal häufiger Knieschmerzen erleiden als Männer (37% zu 12%).
Patellofemorales Schmerzsyndrom
Das Patellofemorale Schmerzsyndrom (PFSS) ist bei Radfahrern so weit verbreitet, dass es auch als „biker's knee“ (Mellion, 1991, S. 52 - 70) oder „cyclist's knee“ (Sanner & O'Halloran, 2000, S. 354 - 376) bezeichnet wird. Gründe hierfür sind die hohen Kräfte, welche beim Radfahren im Bereich des Patellofemoralgelenks generiert werden in Verbindung mit starker Kniebeugung während der Abwärtsbewegung (Kniewinkel von ungefähr 111°).
Es entsteht durch eine Kombination aus Fehlstellungen im Knie bei der Streckbewegung und Fehleinstellungen beim Fahrrad (Hughston und Walsh, 1984; Walsh, 1988, S. 231 - 244). Zu den veranlagten Fehlstellungen gehören beispielsweise eine sehr hoch oder seitlich positionierte Patellasehne, eine Fehlentwicklung eines Teils des vorderen Oberschenkelmuskels (vastus medialis obliquus) sowie Unbeweglichkeit in der vorderen und hinteren Oberschenkelmuskulatur (Walsh, 1988, S. 231 - 244).
Die größten Fehler bei der Einstellung des Fahrrads sind ein zu niedriger Sattel, welcher den Kniewinkel zu klein werden lässt und den Druck auf die Patellasehne maximiert oder ein zu weit vorne positionierter Sattel. Ebenfalls tragen zum PFSS eine zu niedrige Trittfrequenz in Verbindung mit zu großem Tretwiderstand bei, hervorgerufen durch einen zu hohen Gang oder Bergauffahrt. (Bohlmann, 1981, S. 117 - 124).
McLean und Blanch (1993, S. 12 - 15) merken folglich an, dass in solchen Fällen eine Sattelerhöhung den Druck auf das Patellofemoralgelenk mindert, da der Kniewinkel in der Beugephase vergrößert wird. McConnel (1986, S. 215 - 223) vermutet, dass eine Sattelerhöhung ebenfalls eine Verbesserung der Arbeit des Quadriceps zur Folge hat, was den Schmerzen ebenfalls entgegenwirken könnte. Mellion (1991, S. 65) empfiehlt zusätzlich den Sattel nach hinten zu schieben und die Tretfrequenz beim Fahren kleinerer Gänge zu steigern.
Der vastus medialis obliquus sollte gestärkt und sowohl die vordere als auch die hintere Oberschenkelmuskulatur sollten gedehnt werden. (Mellion, 1991, S. 65)
Ilio-tibiales Bandsyndrom
Das Ilio-tibiale Bandsyndrom (ITBS) ist laut Holmes, Pruitt und Whalen (1993, S. 419-424) und Weiss (1985) die zweithäufigste Knieverletzung bei Radfahrern, welche mit Schmerzen im Außenbereich des Kniegelenks einhergeht. In Deutschland wird es ebenfalls als Läuferknie oder Tractussyndrom bezeichnet. Die Schmerzen werden dadurch hervorgerufen, dass die Gelenksvorwölbung des Oberschenkels (Epicondylus) auf den Tractus iliotibialis drückt (Louw & Deary, 2014, S. 64-75). Laut Holmes, Pruitt und Whalen (1993, S. 419-424) ist dieser Druck bei einem Kniewinkel von 30° besonders groß, was damit laut Timmer (1991, S. 106-113) im üblichen Bereich der Kniebeugung eines Radfahrers liegt (30° bis 110°). Farrell, Reisinger und Tillman (2003, S. 103-109) untersuchten in ihrer Studie, weshalb Radfahrer im Vergleich zu Läufern öfter vom ITBS betroffen zu sein scheinen. Läufer befinden sich mit 75 Millisekunden im Vergleich zu 39 Millisekunden bei Radfahrern länger in der „impingement zone“, dem „kritischen“ Bereich, welcher für die Knieschmerzen verantwortlich gemacht wird. Auf 10 Kilometer hochgerechnet erreicht ein Läufer 4800 mal den kritischen Bereich des Knies und ein Radfahrer 6600 mal. Die Autoren schlussfolgern, dass für das Auftreten des ITBS die Häufigkeit der Kniebeugung entscheidend sei. Dies macht deutlich, dass bereits kleinste Abweichungen durch beispielsweise eine falsche Sitzposition auf die Länge und Dauer eines Trainings oder Wettkampfes betrachtet, starke Beeinträchtigungen zur Folge haben könnten.
verfasst von Stephan Heller
4. Unterschenkel/Fuß
Im Folgenden soll nun auf einige spezifische Krankheitsbilder des Unterschenkels und des Fußes eingegangen werden. Die Häufigkeit für Schmerzen bzw. Probleme am Unterschenkel/Fuß liegt in einer betrachteten Studie je nach Streckenlänge zwischen sechs und zehn Prozent aller aufgetretenen Probleme (Dettori & Norvell, 2006, S. 13).
4.1 Unterschenkel
Schienbeinkantensyndrom
Das Schienbeinkantensyndrom, umgangssprachlich oft als „shine splints“ bezeichnet, ist ein häufiges Überlastungssyndrom, welches typischerweise bei Läufern auftritt, jedoch vereinzelt auch bei Radfahrern auftreten kann. In der Fachliteratur ist es meist unter dem Kürzel MTSS zu finden, was für Medial Tibial Stress Syndrome steht (sportordination.com/Schienbeinkantensyndrom, o. D.). Typische Symptome sind krampfartige Schmerzen an der Innenseite des Schienbeins zu Beginn des Trainings. Diese Schmerzen lassen jedoch oft im Laufe des Trainings nach, worin eine wesentliche Ursache zu vermuten ist, dass eine Problembehebung nicht adäquat verfolgt wird. Das Krankheitsbild zeigt sich oft bei einer starken Intensitätszunahme des Trainings oder bei Fehlstellungen der unteren Extremitäten, welche zu einer übermäßigen Pronation, also ein nach innen Knicken des Fußes führen. Es wird vermutet, dass durch die beiden genannten Punkte eine zuginduzierte Knochenhautentzündung hervorgerufen wird, welche die starken Schmerzen auslöst. Die Behandlung des Syndroms sieht zu meist eine Trainingsänderung, im speziellen eine Schonung des betroffenen Bereiches bis zur vollständigen Schmerzfreiheit vor. An dieser Stelle stellt sich für den Athleten natürlich die Frage eines adäquaten Ersatztrainings. Das Schwimmen, welches als besonders gelenkschonend und rehabilitativ eingeschätzt wird, bietet sich hier an. Weitere Behandlungsmöglichkeiten sind die Einnahme von nicht steroiden, entzündungshemmenden Medikamenten, die jedoch nur die Symptome, nicht aber die Ursache des Problems behandeln. Ebenfalls sollte vor dem Training ausführlich gedehnt und ein Antipronationstaping (Kinesiotaping), sowie Muskelübungen für den Fuß absolviert werden (Wanich, Hodgkins, Columbier, Muraski & Kennedy, 2007, S. 753 ).
Kompartmentsyndrom
Das Kompartment- oder Muskelkompressionssyndrom bezeichnet den Zustand erhöhten Drucks in einem durch die unelastische Muskelfaszie begrenzten Raum. In der Regel entstehen durch den erhöhten Druck Durchblutungs- und Gefühlsstörungen. Es kann sowohl chronisch als auch akut entstehen und ist in letzterem Fall als Notfall zu behandeln (onmeda.de/Kompartmentsyndrom, 2016). Es tritt zumeist in Unterarm oder Unterschenkel auf und wird in der Diagnostik manchmal mit Wadenschmerzen verwechselt. Der Grund für den erhöhten Gewebedruck bei sportlicher Anstrengung ist jedoch noch nicht genau erforscht. Die Schmerzen beginnen bereits kurz nach Trainingsbeginn und halten über das gesamte Training bis einige Minuten danach an. Die Patienten berichten oft von einer Parästhesie, Krämpfen oder einem Schwächegefühl. Dies lässt sich durch die Durchblutungsstörungen und die damit verbundenen Muskel- bzw. Nervenbeeinträchtigungen erklären. Als Behandlung bietet sich im akuten Fall nur eine offene oder endoskopische Fasziotomie an (Wanich et al, 2007, S. 754).
4.2 Ferse
Achillessehnenreizung
Die Achillessehnenreizung ist eine chronische oder akute Entzündung der Achillessehne, die die beiden Wadenmuskeln mit dem Fuß verbindet und zeigt sich durch Beschwerden im Fersenbereich. Hier sind vor allem die Schmerzen zu nennen. Auch sie ist eigentlich eine typische Läuferkrankheit, kann bei schlecht abgestimmtem Fahrrad und schlechtem Trainingszustand jedoch auch bei Radsportlern auftreten. Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt, man geht allerdings von einer Kombination aus einer chronischen Überlastung und einigen kurzen, akuten Überlastungen der Achillessehne aus (orthopaedicum-frankfurt.de/achillessehnenreizung, o. D.). Speziell auf das Fahrradfahren bezogen lässt sich die Ursache für eine Reizung in einer wiederholten, übermäßigen Dorsalflexion, also ein starkes Anziehen des Fußes in Richtung Schienbein, während der Pedaldruckphase finden. Dies ist vor allem bei einer zu tiefen Sattelposition, bei einer schlechten Pedaltechnik, in der kein ausgewogenes Verhältnis zwischen Zug- und Druckphasen besteht, und bei Fußfehlstellungen der Fall (Mellion, 1991, S. 66). Die zu tiefe Sattelposition führt zu einer erhöhten Spannung an der Achillessehne, was wiederum die Fähigkeit des Musculus gastrocnemius einschränkt, den Musculus soleus bei der Bekämpfung einer übermäßigen Dorsalflexion zu unterstützen. Weiterhin kann eine zu weit hinter der Pedalachse befindliche Fußposition einen ähnlichen Effekt auf die Achillessehne bewirken, da in der Druckphase des Pedalierens eine starke Dorsalflexion stattfindet. Wie bereits angesprochen sollte neben der technischen und mechanischen Problembehebung auch eine therapeutische Behandlung erfolgen, um eine möglichst gute Genesungswahrscheinlichkeit zu erreichen. Im konkreten Fall würde dies eine Trainingsreduktion bis zur Schmerzlinderung bedeuten, begleitet von einer Stärkung der Achillessehne, Eismassagen, entzündungshemmende Medikamente, einer gezielten Dehnung vor der körperlichen Aktivität und einer gelegentliche Phonophorese, also die Wirkstoffgabe per Schallwellen bzw. Ultraschall. Corticosteroide Injektionen sollten aufgrund der erhöhten Rupturgefahr vermieden werden. In schweren Fällen kann sogar eine Operation, Wadenmuskelverlängerung nach Strayer, das Mittel der Wahl sein, um die Sehnenspannung zu reduzieren und gleichzeitig die Muskelstärke zu erhalten (Wanich et al, 2007, S. 754).
4.3 Fuß
Taubheit/Kribbeln des Fußes
Ein Taubheits- oder Kribbelgefühl kommt vor allem bei der Verwendung von Schlaufenpedalen, wie sie oft an stationären Fitnessbikes montiert sind, vor. Hierbei drücken die zu eng geschnallten Schlaufen auf die Nervenbahnen des Fußes, die relativ dicht an der Oberfläche liegen und daher gegenüber Druck sehr anfällig sind. Der Effekt stellt sich bereits einige Minuten nach Trainingsbeginn ein und hält bis einige Minuten nach Trainingsende an (Mellion, 1991, S. 65). Im Gegensatz zu den übrigen Erkrankungen entstehen hierbei meist keine Schmerzen, dennoch wird das Taubheitsgefühl als störend und unangenehm beschrieben. Ebenso können zu schmale oder zu eng geschnallte Schuhe den gleichen Effekt auslösen. Als Lösung liegt daher die Wahl des passenden Schuhwerks nahe. Ebenso kann ein Umstieg auf Klickpedale den Druck vom Fuß nehmen und so eine schnelle Symptombesserung herbeigeführt werden (Wanich et al, 2007, S. 754).
Plantarfasziitis
Eine der häufigsten Ursachen für Fuß- und Fersenschmerzen ist die Plantarfasziitis. Die Plantarfaszie ist eine Sehnenplatte an der Fußsohle, welche sich vom Fersenbein fächerförmig bis zu den Zehen zieht. Sie hat großen Anteil an der Kraftübertragung vom Unterschenkel in den Fuß. Bei der Plantarfasziitis, also einer Entzündung dieser Sehnenplatte, entstehen Schmerzen am Unterfuß (deximed.de/Plantarfasziitis, 2016). Dieser Schmerz kann sowohl akut als auch chronisch sein. Fußfehlstellungen wie der Plattfuß, der Hohlfuß und die Spitzfußdeformität begünstigen das Entwickeln einer Plantarfasciitis. Ebenso kann eine übermäßige Dorsalflexion, wie in Abb: 1 dargestellt, welche die Spannung auf die Plantarfaszie erhöht, eine der Ursachen sein. Hier würde sich eine Sattelerhöhung als Gegenmaßnahme anbieten, um die starke Dorsalflexion zu verhindern und somit den Druck von der Plantarfaszie zu nehmen. Ebenso kann durch eine höhere Trittfrequenz, verbunden mit geringerem Wiederstand, die Spannung reduziert werden. Weiterhin kann die Gabe von nicht steroiden, entzündungshemmenden Medikamenten, Orthesen und Nachtschienen den Genesungsprozess unterstützen. Außerdem sollte eine aktive Physiotherapie mit Ultraschall, Massagen und Laserbehandlungen durchgeführt werden. Sollte der Patient auf diese konservative Behandlung nicht ansprechen, so muss auch über die Injektion von Corticosteroiden nachgedacht werden. Allerdings sollte hierbei nicht das erhöhte Risiko eines Sehnenrisses und eine mögliche Atrophie des Fußfettgewebes außer Acht gelassen werden. Eine chirurgische Behandlung benötigen in der Regel unter fünf Prozent der Patienten. Die gesamte Behandlungsdauer kann sich bis zur vollständigen Schmerzfreiheit allerdings von sechs bis zu 18 Monaten hinziehen (Wanich et al, 2007, S. 754).
Metatarsalgie
Die Metatarsalgie, zu Deutsch Vorfußschmerz, entsteht meist durch einen erhöhten Druck auf die Mittelfußköpfchen. Dies ist beim Fahrradfahren vor allem dann der Fall, wenn mit zu hohem Tretwiederstand gefahren wird. Ebenso können eine falsche Fußposition und ein zu steifes Schuhwerk die Probleme unterstützen. Durch das Aufkommen von Carbonschuhen ließ sich die Steifigkeit eines Fahrradschuhs deutlich erhöhen und gleichzeitig Gewicht einsparen. Ebenso verbesserte sich so die Kraftübertragung. Allerdings stieg ebenso der Druck am Vorfuß stark an, was besonders förderlich für eine Metatarsalgie ist. Als Lösung für das Problem ist vornehmlich die Druckreduktion am Vorfuß zu nennen. Dies kann über einen besseren Schuhsitz oder einen elastischeren Schuh ebenso erreicht werden, wie über Einlegesohlen oder eine Reduzierung des Tretwiederstands (Mellion, 1991, S. 66).
verfasst von Yannik Tönges
Zusammenfassung und Ausblick
Beim Radfahren können durch kleinste Fehlstellungen verschiedener Körperteile oder Fehleinstellungen einiger Radkomponenten unterschiedliche Schmerzbilder auftreten. Vor allem sind die Körperteile Nacken, Rücken, Hände, Arme, Knie, Unterschenkel und Fuß davon betroffen. Die am häufigsten auftretenden Symptome wurden in diesem Wiki genannt und erläutert. Dabei muss erwähnt werden, dass Schmerzen oftmals sehr gut zu verhindern wären. Einfache Anpassungen der Komponenten wie beispielsweise Lenker, Sattel oder Pedale an den eigenen Körper beugen Schmerzen vor und verhindern Fehlstellungen. Wie man sein Fahrrad richtig anpasst, wird in vielen Videos, Blog-Einträgen und Ratgebern beschrieben, ein professionelles Bike-Fitting durch einen Experten ist aber vor allem für Vielfahrer sehr ratsam.
Abschließend nochmals die wichtigsten Anpassungen für die am meisten verbreiteten Problemfelder: Um Nackenschmerzen vorzubeugen sollte die Sattelüberhöhung zwischen Sattel und Lenker im Freizeitsport möglichst gering ausfallen. Variable Griffpositionen während der Fahrt helfen ebenfalls und lindern meist auch Taubheitsgefühle in Händen und Armen. Durch Erhöhung und meist gleichzeitiges nach hinten Schieben des Sattels werden Knieschmerz-begünstigende Gelenkstellungen vermieden. Außerdem sollten große Widerstände durch Einsatz hoher Tretfrequenz in möglichst kleinen Gängen vermieden werden. Um Schmerzen in Unterschenkel und Fuß entgegen zu wirken gilt es häufig die Sattelposition zu erhöhen und die Fußhaltung zu korrigieren und/oder das Schuhwerk auszutauschen. In vielen Fällen ist es unumgänglich, die Trainingsintensität zu reduzieren.
Einige Erkenntnisse der genannten Studien sollten jedoch hinterfragt werden, da oftmals nur eine relativ kleine und nicht repräsentative Stichprobe herangezogen wurde. Ebenfalls wurden meist große Distanzen zurückgelegt, was den Schluss erlaubt, dass die Probanden keine „Gelegenheitssportler“ waren, wie es in der Realität oftmals der Fall ist. Als Ausblick würde hier eventuell eine Vergleichsstudie zwischen einer Gruppe „normaler“ Radfahrer, die ihr Fahrrad nicht besonders eingestellt haben, und einer Gruppe, die zuvor ein professionelles Bike-Fitting erfährt, Sinn machen, um eventuelle Unterschiede verifizieren zu können.
Weiterhin ist der dünne Literaturstand bezüglich dieses Themas zu nennen. Im Bereich des Knies sind durchaus einige Studien vorhanden, was auf die große Bedeutung des Knies und der Häufigkeit der dort auftretenden Schmerzen zurückgeführt werden könnte. Allerdings sind in Bereichen wie beispielsweise dem Unterschenkel nur sehr wenig Studien über nicht-traumatische Verletzungen verfügbar. Dies könnte eventuell an der „Leichte“ der Verletzungen liegen, da traumatische Verletzungen aufgrund ihrer Behandlung im Krankenhaus weitaus besser dokumentiert sind.
Themenvorschläge für Folge-Wikis
- Zukünftige Entwicklung des Fahrrads in Bezug auf Geometrie und Aerodynamik vs. Komfort
- Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Schmerzen während das Fahrradfahrens
- Weitere Schmerzbereiche während des Fahrradfahrens, wie Hüfte und Gesäß
verfasst von Matthias Hilz, Stephan Heller und Yannik Tönges
Eigener Standpunkt
Unsere ursprüngliche Motivation für die Themenwahl waren eigene Probleme beim Fahrradfahren. Auf Nachfrage im Freundeskreis stellten wir fest, dass es noch einigen anderen so ging und dass jeder einen anderen „Ratschlag“ für uns hatte. Daher haben wir die Chance genutzt, uns selber mit dem Thema auf einer wissenschaftlichen Ebene vertraut zu machen und hoffen, dass wir in kurzer Zeit hilfreiche Problemlösungsstrategien für jeden darstellen konnten.
verfasst von Yannik Tönges
Fragen
<spoiler | 1. Weshalb sind die nicht-traumatischen Verletzungen, bzw. deren Häufigkeit so schlecht dokumentiert?> Sie sind aufgrund der „Leichte“ der Verletzung weit weniger gut dokumentiert als unfallbedingte Verletzungen. Unmittelbare ärztliche (Not-)Versorgung ist meist nicht nötig. </spoiler>
<spoiler | 2.Weshalb spielt das Bikefitting in der Verletzungsbehandlung solch eine große Rolle?> In anderen Sportarten reicht oftmals eine medizinische oder rehabilitative Therapie aus, um die Probleme zu beheben, beim Radsport ist ebenfalls eine „mechanische“ Therapie, in Form einer Verbesserung der Fahrradanpassung erforderlich, um die Ursachen der Probleme zu beheben. Damit einhergehend sollte ebenfalls eine Verbesserung der Technik fokussiert werden. </spoiler>
<spoiler | 3. Wie äußert sich die sogenannte handlebar palsy?> Sie tritt in Form von chronischer Taubheit und Kribbeln und damit verbundener Schwäche der Handmuskulatur auf. Vor allem Radfahrer, die an mehrtägigen Veranstaltungen teilnehmen, sind häufig betroffen. </spoiler>
<spoiler | 4. Weshalb sind Radfahrer so häufig vom Ilio-tibialen Bandsyndrom betroffen?> Da Radfahrer aufgrund ihrer Trittfrequenz sehr häufig die „impingement zone“, also dem „kritischen“ Bereich, welcher für die Knieschmerzen verantwortlich gemacht wird, erreichen. </spoiler>
<spoiler | 5. Mit welcher Bike-Fitting-Maßnahme würde man ihrer Meinung nach Schmerzen im Hüftbereich entgegenwirken?>
Schmerzen im Hüftbereich begründen sich meist durch ein zu „gebeugtes“ fahren, also einem zu kleinen Winkel zwischen Ober- und Unterkörper. Diesem Problem würde man mit einer Sattelabsenkung am einfachsten entgegenwirken.
</spoiler>
Literatur
Bücher und Zeitschriften
Bohlmann JT. (1981). Injuries in competitive cycling. Physician and Sportsmedicine 9 (5): 117-124
Dettori, N. J. & Norvell, D. C. (2006). Non-Traumatic Bicycle Injuries. Sports Medicine, 36, 7-18.
Farrell, K. C., Reisinger, K. D., & Tillman, M. D. (2003). Force and repetition in cycling: possible implications for iliotibial band friction syndrome. The Knee, 10(1), 103–109.
Holmes, J. C., Pruitt, A. L., & Whalen, N. J. (1993). Iliotibial band syndrome in cyclists. The American Journal of Sports Medicine, 21(3), 419–424.
Hughston JC, Walsh WM, Puddu G. (1984). Patellar subluxation and dislocation. WB Saunders, Philadelphia
Kulund, D.N. & Brubaker, C.E. (1978). Injuries in the bikecentennial tour. Phys Sportsmed; 6: 74-8
Lewin, J., Debenham, J. & Oldmeadow, D. (2017). Does a ‘bespoke’ bike-fit by a physiotherapist improve pain and disability in cyclists? A pilot study. Journal of Science and Medicine in Sport, 20, e70.
McCONNELL, J. (1986). The management of chondromalacia patellae: a long term solution. The Australian Journal of Physiotherapy, 32(4), 215–223.
McLean, B., Blanch, P. (1993). Bicycle seat height: a biomechanical consideration when assessing and treating knee pain in cyclists. Sport Health 11 (1), 12–15.
Mellion, M. B. (1991). Common Cycling Injuries. Management and Prevention. Sports Medicine, 11, 52-70.
Sanner, W. H., & O’Halloran, W. D. (2000). The biomechanics, etiology, and treatment of cycling injuries. Journal of the American Podiatric Medical Association, 90(7), 354–376.
Schwellnus, M. P. & Derman, E. W. (2005). Common injuries in cycling. Prevention, diagnosis and management. South African Family Practice, 47, 14-19.
Walsh WM. (1988). Tracking problems of the patella. In Mellion MB (Ed.) Office management of sports injuries and athletic problems, pp. 231-244, Hanley & Belfus, Inc., Philadelphia
Wanich, T., Hodgkins, C., Columbier, J.-A., Muraski, E. & Kennedy, J. G. (2007). Cycling Injuries of the Lower Extremity. Journal of the American Academy of Orthopaedic Surgeons, 15, 748-756.
Weiss, B. D. (1985). Nontraumatic injuries in amateur long distance bicyclists. The American Journal of Sports Medicine, 13(3), 187–192.
Wilber, C. A., Holland, G. J., Madison, R. E., & Loy, S. F. (1995). An epidemiological analysis of overuse injuries among recreational cyclists. International Journal of Sports Medicine, 16(3), 201–206.
Wozniak Timmer, C. A. (1991). Cycling biomechanics: a literature review. The Journal of Orthopaedic and Sports Physical Therapy, 14(3), 106–113.
Internetquellen
deximed.de/Plantarfasziitis. (2016). Zugriff am 25. Mai 2018 unter https://deximed.de/home/b/physiotherapie-sportmedizin/patienteninformationen/unterschenkel-knoechel-und-fuss/plantarfasziitis/
onmeda.de/Kompartmentsyndrom. (2016). Zugriff am 29. Mai 2018 unter https://www.onmeda.de/krankheiten/kompartmentsyndrom-definition-3809-2.html
orthopaedicum-frankfurt.de/achillessehnenreizung. (o. D.). Zugriff am 29. Mai 2018 unter https://www.orthopaedicum-frankfurt.de/achillessehnenreizung.html
sportordination.com/Schienbeinkantensyndrom. (o. D.). Zugriff am 29. Mai 2018 unter https://www.sportordination.com/sporttraumatologie/knie/schienbeinkantensyndrom/
Abbildungs- und Videoverzeichnis
Abb. 1: Übermäßige Dehnung des Handgelenks und Belastung des Nervus ulnaris, eigene Darstellung, M. Hilz, 2018
Abb. 2: Übermäßige Dorsalflexion, eigene Darstellung, Y. Tönges, 2018
Modul-Icon: Zugriff am 13. Juni 2018 unter https://pixabay.com/de/workout-rennrad-fahrrad-fitness-713658/
Bewertung des Wiki-Moduls
Kategorie | Stephan H. | Matthias Hilz | Yannik T. | Anmerkungen |
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Inhalt (max. 10) | 7 Pkt | 7 Pkt | 8 Pkt | kritischere Auseinandersetzung mit der Thematik wünschenswert (insb. beim eigenen Standpunkt) |
Form (max. 5) | 4 Pkt | 4 Pkt | 4 Pkt | Lesezeit: ca. 35 min (-10 min); viele externe Verlinkungen/(wenig interne) |
Bonus (max. 2) | 0 Pkt | 0 Pkt | 0 Pkt | - |
Summe | 11 Pkt | 11 Pkt | 12 Pkt | 34/45 Pkt = 75% |
Einzelbewertung | 11/15=73% | 11/15=73% | 12/15=80% |