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WP2001 Kraftsport - Biomechanische Aspekte des Deadlifts im Kraftsport und Alltag

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Modul-Titel WP2001 Kraftsport - Biomechanische Aspekte des Deadlifts im Kraftsport und Alltag
Veranstaltung PS Biomechanik
Autor Arian Lotfolahpour, Bastian Otto, Lukas Rettenmaier
Bearbeitungsdauer ca.45min
Präsentationstermin 05.07.2020
Status Finalisiert
Zuletzt geändert 19.07.2020

1. Einleitung

Der Deadlift ist eine Ganzkörperbewegung, die sowohl im Krafttraining, der Rehabilitation also auch im Kraftsport, wie z.B. Powerlifting oder Gewichtheben, in all ihren Variationen als eine der Grundübungen fungiert. Die Bewegung ist komplex und bedarf eines dezidierten Bewegungsverständnis und entsprechender Übung. Aufgrund der insgesamt hohen Kräfte, aber auch insbesondere der auftretenden Scherkräfte im Bereich des unteren Rückens wegen ist ein Verständnis der biomechanischen Zusammenhänge des Deadlifts unumgänglich. Dies gilt sowohl zur Leistungsoptimierung als auch zur Verletzungsprävention (O’Reilly et al., 2017). Hinsichtlich sportlicher Kondition nimmt die Stärkung des unteren Rückens eine wichtige Rolle ein. So ist das Sicherstellen einer stabilen Lendenwirbelsäule unter Belastung zentral für einen effektiven Krafttransfer als auch ein wichtiger Sicherheitsaspekt. Hierfür eignet sich der Deadlift insbesondere. Dabei geht es um das Heben einer Last vom Boden mit geradem Rücken, gestreckten Armen unter vornehmlichem Arbeitsaufwand der Beine bis zu jenem Punkt an dem Knie, Hüfte und Schulter im aufrechten Stand komplett gestreckt sind und die Last/Langhantel in den Händen gehalten wird. Hierbei ist die vornehmliche Funktion der Lendenmuskulatur, den unteren Rücken in einer Position zu sichern. Ein stabilisierter Rumpf ist festes Bindeglied zur Übertragung der Kraft, welche insbesondere in der beinbeugenden und –streckenden Muskulatur und Hüfte generiert wird und weiter über den Schultergürtel und die Arme auf die Hantel übertragen wird. Andere beteiligte Muskeln sind in diesem Fall die abdominale Muskulatur, die Mm. intercostalis und außerdem alle posterioren Muskeln des oberen und unteren Rückens. Zur Vermeidung unnötiger, belastungsachsenfremder Bewegungen sollten jene Muskeln in ihrer Hauptfunktion bewegungsunterstützend isometrisch kontrahieren (Starrett & Cordoza, 2015; Rippetoe & Kilgore, 2007).

Abb. 1: Schema der statischen und dynamischen muskulären Arbeitsweise bei Zug- bzw. Hebebewegungen (eigene Abbildung nach Schnabel et al. 2014).

Video 1: Deadlift Beispiel.

Video 2: Das Video hat eine länge von über 20min und ist deshalb eine ergänzende Funktion und freiwillig zum weiterdenken!

Verfasst von Bastian Otto

2. Biomechanische Aspekte des Deadlifts

2.1. Die Arbeitswinkel des Deadlifts

Aus einer, entsprechend der anatomischen Mechanik effizient wie schonenden Positionierung ergeben sich drei zentrale Winkel für den deadlift . Diese beinhalten zwei Körperwinkel, den Kniewinkel zwischen Tibia und Fermur plus den Hüftwinkel zwischen Femur und Oberkörper. Außerdem gibt es den Bezugswinkel des Rückens, gebildet von dem Subjekt und der Umgebung zwischen der verlängerten Li-nie des flachen Rückens und dem Boden.

Abb. 2: Die Hauptwinkel des Deadlifts (Rippetoe & Bradford, 2011).Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.

Wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird ist das Verhältnis der einzelnen Arbeitswinkel zueinander determiniert durch die individuelle Anthropometrie. Der korrekt ausgeführte Deadlift zeichnet sich nun durch ein initiatives Öffnen des Kniewinkels aus, die Beinstecker arbeiten, um das Knie zu strecken und das Gewicht vom Boden zu heben. Der Bezugswinkel des Rückens sollte unverändert bleiben und sich lediglich parallel nach oben verschieben, damit die Scapulae und die Hantelstange weiterhin im gleichen Verhältnis zueinander stehen, zumindest bis zu dem Punkt wo die Stange die Knie passiert. Die Beinbeuger leisten hier zentrale Arbeit, um diesen Winkel aufrecht zu erhalten. Folglich ändert sich der Hüftwinkel zu diesem Zeitpunkt auch nur minimal indem der Femur sich der Vertikalen annähert. Erst nach dem die Langhantel die Knie passiert hat verändern sich der Rückenwinkel im Bezug zum Boden und folglich ändert sich nun der Hüftwinkel ebenfalls deutlich. Dies ergibt sich aus einer muskulären Belastungsverschiebung hin zu der hüftstreckenden Muskulatur als vornehmliche Beweger. Die Rückenmuskulatur dient der Stabilisierung des Rumpfes bei gleichzeitiger Adduktion der Scapulae. Die Aufwärtsbewegung ist somit beendet, wenn Knie-, Hüftwinkel und Brustkorb vollständig geöffnet sind und die Schulterposition weiterhin nach hinten-unten gerichtet ist. Die Schulter befindet sich dementsprechend nun hinter der Hantel (Rippetoe & Kilgore, 2007).

2.2. Menschliche Bewegung unter Last

Menschliche Bewegung kann als Übersetzung von Muskelkontraktion durch das skeletale System ver-standen werden, wenn oder in dem der Körper mit der Umgebung in Interaktion tritt. Ein Hauptfaktor hierbei ist die Schwerkraft G, welche in direktem Zusammenhang mit der Masse m steht und in einer vertikalen Linie wirkt. Diese stellt einerseits den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten dar und ist andererseits der einzige effiziente Weg, um in einem gravitationalen Rahmen dieser Kraft entgegenzuwirken. D.h. das die Kraft F, welche an einer Masse m ansetzt, unter der Prämisse, dass vorerst kein anderer Faktor außer der Schwerkraft, also keine horizontale Beschleunigung o.ä. eine Rolle spielt. Die verrichtete Arbeit an der Langhantel beim Deadlift muss innerhalb dieses Rahmens betrachtet und analysiert werden. So folgt mit W[Nm]=F[N] * s[m] und G als vertikaler Kraftvektor zum Planetenzentrum hin, kann verrichtete Arbeit beim Deadlift nur jene seine, welche auf einer der Schwerkraft entgegensetzen vertikalen Linie verrichtet wird. Jede Abweichung davon kann als ineffizient und Technikfehler bewertet werden, die häufig mit zusätzlicher Arbeit für das Individuum verbunden sind (Rippetoe & Bradford, 2011).

Abb. 3: Der Deadlift ist die vertikale Relokation einer Last entgegen der Schwerkraft. Jede horizontale Bewegung verlängert nur den Weg und bezeichnet keine Arbeit gegen die Schwerkraft und ist damit für die Aufgabe des Deadlifts nicht effizient (Rippetoe & Bradford, 2011).Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.

Dabei ist zu beachten, dass der Körperschwerpunkt (KSP) sich aus der Kombination des KSP des Üben-den sowie der Last und Position der Langhantel ergibt. Damit dieses System stabil und in Balance bleibt, insbesondere je höher die Last wird, ist es von zentraler Bedeutung, dass der KSP des Systems über der vertikalen Linie bleibt. Dies bedeutet alltagspraktisch über dem Mittelfuß des Übenden (Rippetoe & Bradford, 2011).

Abb. 4: Balancepunkt unter dem Mittelfuß als Ankerpunkt mit größtem Stabilitätsmomentum. Hebel zwischen Fuß und Sprunggelenk, angebrachte Spannung über Wadenmuskulatur (Rippetoe & Bradford, 2011).Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.
Abb. 5: Idealer Verlauf der Langhantel auf einer vertikalen Linie über dem Mittelfuß (modifiziert nach Rippetoe & Kilgore, 2007).Copyright 2007 by The Aasgaard Company. Used by permission.

2.3. Die Mechanik des Deadlifts

Oben Beschriebenes bedeutet für den Deadlift, dass die Langhantel sich zu jedem Zeitpunkt der Bewegung über dem Mittelfuß befinden sollte und um eine ausbalancierte Hebebewegung zu ermöglichen der Großteil der Körpermasse des Übenden hinter der Stange zu halten ist, sich das Zentrum der Schwerkraftwirkung jedoch nah an der Last befindet. Somit ergibt sich der bereits erwähnte gemeinsamer KSP des Last/Subjekt-Systems. Dieser variiert hierbei abhängig von der Last sowie der Bewegungsphase (Rippetoe & Bradford, 2011). Eine initiale Streckung im Kniegelenk durch ein Actio-Reactio-Verhältnis der Beine gegen den Boden ermöglicht den vertikalen Stangenverlauf, während die Hüfte vorerst mit unveränderter Oberkörperposition (flacher Rücken, geöffnete Brust) parallel nach oben verschoben wir und die Kraft wie beschrieben auf die zu hebende Last übertragen wird (Rippetoe & Kilgore, 2007). Anatomisch betrachtet übertragen dabei die Knochen den Druck und Bindegewebe sowie Muskeln den Zug. Zur Übertragung des Drehmoments müssen alle Strukturen zusammenarbeiten. Dies wird im weiteren Verlauf näher betrachtet (Rippetoe & Bradford, 2011).

Abb. 6: Bewegungseinleitung durch initiale Streckung im Knie und Parallelverschiebung des Oberkörpers von A nach B (Rippetoe & Bradford, 2011).Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.

2.3.1. Belastungsparameter, Hebel und Drehmoment

Ein Verständnis der wirkenden Kräfte beim Langhanteltraining auf den Übenden sie wie auf Last ist unumgänglich für eine effiziente und sichere Ausführung. Der Deadlift ist eine mehrgelenkige Bewegung, die alltäglichen Bewegungen unter Last sehr nahe kommt ( –> Übersetzung von Muskelkontraktion durch das skeletale System wenn der Körper mit der Umgebung in Interaktion tritt). Ziel ist es dabei unter gleichzeitigem Einsatz möglichst vieler Muskeln(gruppen)die höchstmögliche Last über einen hohen Bewegungsradius zu bewegen und ein Maximum mechanischer Arbeit zu generieren. Ganz grundlegend ergeben sich aus dem gravitationalen Rahmen in dem wir unsere Bewegungen hier betrachten drei basale Größen.

Zug

  • Eine applizierte Kraft wirkt sich entlang eines Objektes aus und würde dieses längen, wenn die Verformbarkeit aus materieller Sicht gegeben ist

Kompression/Druck

  • Eine applizierte Kraft wirkt sich entlang eines Objektes aus und dieses verkürzen, wenn die Verformbarkeit aus materieller Sicht gegeben ist.
  • Zug und Druck wirken gegensätzlich

Drehmoment

  • Eine applizierte Kraft wirkt an einer Achse und erzeugt eine Rotation bzw. eine Hebelwirkung

Jene drei Größen spielen beim Deadlift in unterschiedlicher Gewichtung eine zentrale Rolle. So haben wir einen Zug insbesondere an den oberen Extremitäten, erhöhten Druck über die unteren Extremitäten in den Boden sowie einen Drehmomentsschwerpunkt im Hüft- sowie Knie-Winkel, aber genauso in Schulter- und Sprunggelenk als Drehachsen (Rippetoe & Bradford, 2011).

Abb. 7: Druck-, Zug- und Drehmomentsbelastung beim Langhanteltraining (Rippetoe & Bradford, 2011).Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.

Ein Drehmoment oder Hebelarm beschreibt dabei die Distanz zwischen der Rotationsachse und dem Punkt an dem die Kraft um jene Achse ansetzt. Das Drehmoment entspricht dann der applizierten Kraft multipliziert mit der Länge des Hebelarms. Daraus ergibt sich eine Kraft, die in zwei Richtungen wirkt (Actio=Reactio) (Rippetoe & Bradford 2011). Dies bedeutet die resultierende Kraft kann erhöht werden durch einen längeren Hebel oder durch einen höheren Krafteinsatz. Im Bereich des Langhanteltrainings ergeben sich die Hebelarme aus der horizontalen Entfernung zwischen der Last und den bewegenden Gelenken. Dies führt hier mitunter zu einem inversen Zusammenhang.

Abb. 8+9: Beispiele für Wirkung eines Hebelarms (Rippetoe & Bradford, 2011).
Abb. 10: Wirkung eines langen Hebelarms am Drehpunkt (Rippetoe & Bradford, 2011).Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.

Insbesondere Abb. 10: veranschaulicht die Wirkung eines langen Hebelarms hinsichtlich der aufzuwendenden Kraft am Gelenk, hier repräsentiert durch die Person am Ende der Langhantel.

2.3.2. Implikationen für die Bewegungsmechanismen des Deadlifts

Das erwähnte Drehmoment ist am höchsten bei einem Winkel von 90° und unser Haupthebelarm beim Deadlift ist der Rücken. Wie oben beschrieben, wird die Last durch die Schwerkraft vertikal nach unten gezogen, so dass der Hebelarm horizontal an der Last angesetzt wird. D.h. ein kurzer Rücken bei eher vertikalem Winkel wäre ein idealer Hebelarm. Doch wie erwähnt spielen anatomische Limitationen hier eine wichtige Rolle. Darüber hinaus greifen an einem Gelenk als Drehpunkt immer zwei Hebelarme an. Sind diese gleichlang ist das System in Balance. Sind diese jedoch ungleich bewegt sich die kürzere Seite langsamer und die längere schneller. Dies hat jedoch zur Folge, dass am kürzeren Hebelarm höhere Kräfte aufgebracht werden müssen damit sich der längere Hebel entsprechend schnell bewegt, wobei die Kraft am kurzen Ende mit der Länge des Hebel multipliziert wird (Rippetoe & Bradford, 2011).

Abb. 11: Wirkung unterschiedlicher Hebelarme auf Mechanik des Deadlifts (Rippetoe & Bradford, 2011).Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.

Rücken und Becken stellen den Hebelarm dar, während die Hüfte als Drehpunkt fungiert. Die ischiokurale Kette, Glutaeen und Adduktoren applizieren die Kraft am kurzen Segment des Hebelarms hinter der Hüfte während die Last an den Armen die Kraft am langen Segment vor der Hüfte appliziert. Um diesen Hebelarm zu verkürzen und höhere Kräfte entfalten zu können, muss die Last so nah wie möglich an der Hüfte gehalten werden bzw. am KSP des Übenden, wobei hier erwähnte anatomische Limitationen, z.B. durch die Länge der Oberschenkel, dieses optimale Model etwas verhindern. Bspw. führen ein langer Femur sowie Tibia mit relativ kurzem Torso zu einem eher horizontalen Rückenwinkel und damit wesentlich kleineren Hüftwinkel. Sind die Beine im Vergleich zum Torso jedoch eher kurz, ist der Rücken vertikaler und Hüftwinkel größer. Genauso spielt die Armlänge eine Rolle. Diese ändert jedoch nichts an der vertikalen Ausrichtung des Mittelfußes, der Last und der Scapula. (Rippetoe & Bradford 2011).

Abb. 12: Das Verhältnis anthropometrischer Relationen beim Deadlift. Von links nach rechts, Tor-solänge steigt im Verhältnis zur abnehmenden Beinlänge (Rippetoe & Bradford, 2011).Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.

Verfasst von Bastian Otto

3. Übertrag in Alltag und Sportarten

Wie in der Einleitung bereits erwähnt ist der Deadlift eine zusammengesetzte Ganzkörperübung, die das Fundament für Widerstandstraining, Rehabilitation und Kraftdreikampf bildet (O´Reilly et al., 2017). Einen starken unteren Rücken aufzubauen ist für viele Sportarten unverzichtbar, wenn es darum geht die Leistung in der Sportart zu verbessern. „Die Fähigkeit, unter Belastung die Lendenwirbelsäule starr zu halten, ist nicht nur für eine gute Kraftübertragung unabdingbar, sondern auch für eine sichere Bewegungsausführung“ (Rippetoe, S.111, 2013). Der Deadlift eignet sich dafür besser als jede andere Übung. Die Langhantel ist ein ergonomisches Hilfsmittel, mit der es möglich ist die Fähigkeit aufzubauen schwere Gewichte zu heben. Dies soll u.a. das Heben von Lasten im Alltag erleichtern (Rippotoe, S.111, 2013). Durch das regelmäßige Heben wird die rumpfstabilisierende Muskulatur trainiert. Der Deadlift zeichnet sich durch eine breite Funktionalität aus und trainiert eine Vielzahl von Muskeln (Siehe Abb. 13 & 14), die für einen aufrechten und stabilen Stand nötig sind.

Beteiligten Muskeln:

  • Unterkörper: Knie- und Hüftstreckermuskulatur, Gesäßmuskeln, Muskeln der Oberschenkelrückseite (Hamstrings), Sprunggelenksmuskeln
  • Rumpf: Rückenstrecker- und Bauchmuskeln
  • Oberkörper: Kaputzenmuskel (Nacken), breiter Rückenmuskel, Schultergürtel, Oberarm- und Unterarmmuskeln
Abb. 13: Muskeln, die beim Deadlift beteiligt sind (Frontansicht).
Abb. 14: Muskeln, die beim Deadlift beteiligt sind (Rückenansicht).

Beim Heben schwerer Gegenstände (z.B. Wasserkästen, Umzugskisten, usw.) dient ein gerader Rücken/Oberkörper der Verletzungsprophylaxe insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule und Hüfte (Dieses Thema wird in Kapitel 5 genauer erläutert). Der Großteil der Bevölkerung verbringt die meiste Zeit im Sitzen bzw. in gebeugter Haltung, dass führt dazu das sich die Muskeln ständig in einem verkürzten Zustand befinden, der die Haltung und Stabilisierung des Körpers schwächt. Wie genau die Belastung der Wirbelsäule aussieht wird in Kapitel 5 genauer erklärt. Im Leistungssport kommt der Deadlift z.B. im späteren Stadium der Rehabilitation eines vorderen Kreuzbandrisses (ACL) zum Einsatz, da die Kräftigung der Hüfte, der Hamstrings und des unteren Rückens das Knie entlastet (Escamilla et al., 2002).

Abb. 15: Der Übertrag in den Alltag wird beim Heben eines Gegenstandes besonderes deutlich. Copyright 2020 by Erfurth Kluger Infografik GbR. Used by permission.

Durch den Deadlift ist funktionelles Training gewährleistet. Sollte Krafttraining eine ergänzende Funktion für eine andere Sportart haben, so ermöglicht es dem Athleten viele Muskeln mit einer Übung zu trainieren. Einem Schwimmer ermöglicht der Deadlift, die für das Abstoßen bei der Wende relevanten Muskeln (Siehe Oben: Unterkörpermuskeln) sowie die Muskeln für den Armzug und das Wassergreifen zu trainieren (Siehe Oben: Oberkörpermuskeln). Ein Schwimmer hat damit in einer Übung mehrere relevante sportartspezifische Funktionen ergänzend trainiert. Mit dem Deadlift kann ein Großteil der beim Radfahren beanspruchten Muskeln effektiv trainiert werden. Neben der Knie- und Hüftstreckermuskulatur, sowie den Rückenstreckern im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule werden z.B. auch die Nackenmuskeln aktiviert, die insbesondere beim Radfahren mit tiefer Lenkerposition beansprucht werden. Auch im Reha- und Präventionsbereich nimmt der Deadlift aufgrund seiner präventiven Gesichtspunkte eine wichtige rolle ein. Der Deadlift vermittelt eine rückengerechte Technik zum Heben und Senken und ist im Sport, Alltag und Berufsleben gleichermaßen von Bedeutung (Wagner & Mühlenhoff, S.188, 2017).

Ein noch deutlicheres Beispiel für den Übertrag des Deadlifts in eine Sportart, ist das Rudern (Siehe Abb. 16). Die Ruderbewegung wird als eine Ganzkörperbewegung verstanden, das haben EMG-Analysen gezeigt (Rodriguez et al., 1990). Wie zu Beginn des Kapitels erwähnt gilt der Deadlift auch als eine Ganzkörperbewegung -übung, deshalb stellen beide Bewegungen teilweise ähnliche Anforderungen an den Menschen und lassen sich in ihrer Mechanik und Leitungsentfaltung vergleichen. Die muskuläre Arbeit der Ruderbewegung ist nahezu identisch mit der des Deadlifts, hinsichtlich der Startposition und der Kraftentfaltung (Siehe Abb. 16). Die Art der erzeugten muskulären Vorspannung und Gelenkstabilisierung erweist sich bei beiden Bewegungen als grundlegend. Da hier initial aus einer Ruheposition in ähnlichem Winkelverhältnis hohe Kräfte entfaltet werden müssen, um die Bewegung einzuleiten (Starrett & Cordoza 2015, Rippetoe & Kilgore 2007).

Abb. 16: Strukturelle Ähnlichkeit der Startpositionen des Ruderns und des Deadlifts (Starrett, S.249, 2018). Copyright 2018 by Riva-Verlag. Used by permission.

Die Anzahl an Muskeln, die beim Deadlift arbeiten benötigen große Mengen an Energie (ATP). Johnston et al. (1997) stellten eine substanziell verbesserte Maximalkraft fest und sahen ihre Befunde im Zusammenhang mit einer generell verbesserten Leistungs-/Arbeitsökonomie, denn der Sauerstoffumsatz VO2max bei submaximaler Auslastung, bei welcher die Arbeitsökonomie gemessen werde, blieb unverändert. Somit sind die Veränderungen nicht den Muskelmassenwachstum, sondern auf die gesteigerte Maximalkraft zurückzuführen. Der Deadlift ist also auch für sämtliche Sportarten, in der die Ausdauer eine große Rolle spielt eine gute Ergänzung. Krafttraining wirkt wesentlich effektiver als Ausdauertraining beim Abnehmen sowie langfristiger Körperfett Reduktion. Generell ist der Deadlift ein gutes Tool, um langfristig zur einer besseren Fitness durch Fettreduktion und Muskelaufbau zu gelangen, als auch einer verbesserten Körperkomposition zukommen. Der Deadlift ist zwar eine technisch sehr anspruchsvolle Übung, jedoch sicherer als andere Übungen, denn sollte das Gewicht auf der Langhantel zu schwer sein kann einfach losgelassen werden und die Übung ist beendet. Die Griffkraft ist beim Deadlift oft der limitierende Faktor, durch regelmäßiges Ausführen wird diese immer besser. Durch den sogenannten Snatchgriff (Handrücken beider Hände zeigt nach oben) werden sämtliche Unterarmmuskeln mit trainiert. Außerdem stehe eine schlechtausgeprägte Griffkraft mit einer höheren Sterblichkeit in Zusammenhang (Beenakker et al., 2010).

Key Points:

  • Bildet Fundament für Widerstandstraining, Rehabilitation und Kraftdreikampf
  • Eine Vielzahl von Muskeln sind beteiligt
  • Präventiv gegen untere Rückenprobleme
  • Smartes und funtionelles Training
  • Übertrag zu vielen Sportartspezifischen Bewegungen

Verfasst von Lukas Rettenmaier

4. Deadlift Variation

Je nach Zielsetzung, Vorlieben und auch biomechanischen „Einschränkungen“ oder „Vorteilen“ gibt es verschiedene Varianten des Deadlifts, welche durch relativ einfache Veränderungen der Technik, die Muskel- und Gelenkarbeit verändern. Diese biomechanischen Veränderungen sollen in diesem Kapitel geklärt werden.

4.1 Der Sumo Deadlift

Der Sumo Deadlift (SD) ist wie der Conventinal Deadlift (CD) (Siehe Kapitel 2) eine zugelassene Variante im Kraftdreikampf. Der SD unterscheidet sich vom CD durch seinen breiteren Stand und den dadurch geringeren Bewegungsumfang bis zum Lockout (Siehe Video 3). Dadurch ist die Beinmuskulatur deutlich mehr beansprucht als beim CD. Gleichzeitig ist somit die Belastung des unteren Rückens geringer.

Video 3: Sumo Deadlift in Frontansicht.

Kinematische Analysen der beiden Deadlift Variationen zeigen beim SD einen aufrechten Rumpf, geringere Hüftflexion beim Anheben der Hantelstange sowie einen größeren Bewegungsumfang im Oberschenkelknochen und den Knieextensoren. Die Belastung in Hüfte und Knie zeigte dagegen keine signifikanten Unterschiede. Beim SD kommt es im Knöchel mehr zu dorsaler Belastung und im CD mehr zur plantar Belastung. Der Druck und die Scherkräfte, die im Bereich der Lendenwirbelsäule wirken, scheinen bei SD und CD gleich stark zu sein (Escamilla et al., 2002). Cholewa et al. (2019) untersuchten Personen, die den Deadlift neu erlernen auf anthropometrische Unterschiede in beiden Deadlift Varianten. Bis auf eine Korrelation zwischen der Sitzhöhe und der Gesamthöhe (Siehe Abb. 17) wurden keine signifikanten Unterschiede gefunden. Es wird gefolgert, dass der CD für Personen mit kürzerem Torso besser eignet, wohingegen der SD für Personen mit längeren Torso geeigneter zu sein scheint. Außerdem zeigte sich der SD für Personen mit geringerer technischer Erfahrung als mechanisch vorteilhafter, zumindest hinsichtlicht der Maximalkraft (Cholewa et al., 2019). Da beim Deadlift die technischen Feinheiten mit einer optimalen Biomechanik verbundenen sind und deshalb von Person zu Person stark variieren können, ist es wichtig individuell die biomechanisch bessere Variante herauszufinden (O´Reilly et al., 2017).

Abb. 17: Körper Positionsunterschiede bei der Startposition und im Lockout.

Video 4: Conventinal Deadlift in Seitenansicht.

Video 5: Sumo Deadlift in Seitenansicht.

Video 6: Das Video hat eine länge von über 20min und sit deshalb eine ergänzende Funktion und freiwillig zum weiterdenken!

Der Winkel, in dem die Füße gehalten werden, beeinflusst den horizontalen Abstand zwischen Knie und Hüften (Rippetoe, S.150, 2013). Durch die Anpassung der Fußstellung für den Sumo Deadlift verändert sich das Hebelverhältnis. Der breitere Stand und das weitere Ausdrehen der Knie und Füße ermöglicht eine Verkürzung der Distanz zwischen Last und Hüfte und erleichtert außerdem das Beibehalten der vertikalen Linie (Siehe Abb. 18). Beim Sumo Deadlift kommt es durch den breiteren Stand außerdem zu einem senkrechteren Rückenwinkel in der Zugposition (Rippetoe, S.150, 2013).

Abb. 18: M.A.: Hebelarm. Oben: Fußspitzen zeigen nach vorne, enger Stand –> längerer Hebelarm zwischen Hüfte und Last, kürzere Distanz zwischen Knien und Hüfte. Unten: Fußspitzen zeigen nach außen, weiter Stand –> kürzerer Hebelarm zwischen Hüfte und Last, längere Distanz zwischen Knien und Hüfte (Rippetoe & Bradford, 2011). Copyright 2011 by The Aasgaard Company. Used by permission.

Key Points:

  • Kleinerer Hebelarm
  • Senkrechter Rückenwinkel bei der Zugposition
  • Leichter Erlernbar für Anfänger –> durch mechanisch leichtere Arbeit

Verfasst von Lukas Rettenmaier

4.2 Der Rumänischen Deadlift (RDL)

Eine besondere Form des Deadlifts ist der Rumänische Deadlift (RDL). Er hat seinen Namen durch den rumänischen Gewichtheber Nico Vald bekommen. Er präsentierte diese Variante bei einem Besuch der US-amerikanischen Olympiamannschaft. Seither wurde diese Technikvariante von den US-Amerikanern weiterentwickelt und ist eigentlich nur auf Nico Valds Variation des Deadlifts zurückzuführen. Bei dieser Übung wird die Hantel aus dem Rack gehoben in die Hangposition gebracht (Siehe Video 7 & 8) und dann bis unterhalb der Kniescheibe bzw. bis auf mittlere Schienbeinhöhe, je nach Anatomie und biomechanischen Eigenschaften des Ausführers, geführt und von dort zurück in die Hangposition gezogen (Rippetoe, S.280, 2020).

Abb. 19: Körper Positionsunterschiede bei Startposition und Lockout (Wobei beim RDL der Lockout die Startposition ist).

Die Bewegung des RDL in einzelnen Schritten:

  • Der Rumänische Deadlift mit der Langhantel beginnt im Rack
  • Die Hantel, außerhalb der Oberschenkel, im doppelten Obergriff greifen
  • Hantel aus dem Rack heben und zurücktreten
  • Die Bewegung beginnt von oben (erst exzentrisch, dann konzentrisch)
  • Denselben Stand einnehmen wie beim CD (20-30cm Abstand zwischen den Fersen; Zehen zeigen nach außen)
  • Brust aufrichten (Strecken des Rückens) und Blick auf einen Punkt am Boden richten

Exzentrische Phase:

  • Hantel an den Oberschenkeln entlang absenken (Beinkontakt), indem das Becken zurückgeschoben wird (Hüftflexion) und die Schultern vor die Stange gebracht werden
  • Die Knie werden dabei ebenfalls leicht gebeugt
  • Bevor die Hantel Kniehöhe erreicht, werden die Knie nach hinten geschoben, um die Schienbeine in eine vertikale Position zu bringen
  • Die Hantel wird nun soweit abgesenkt wie mit geraden Rücken möglich
  • (abhängig von der Beweglichkeit)

Konzentrische Phase:

  • Hüftstreckung mittels der ischiokruralen Muskulatur bis zum Lockout
  • Im Lockout sind Hüftgelenke und Kniegelenke gestreckt und die Schultern hinten

Video 7: Langhantel RDL in Seitenansicht.

Video 8: Langhantel RDL in Hinteransicht.

Der RDL ist eine spezielle Form des Deadlifts bei dem die Hüftextension im Vordergrund steht. Der RDL unterscheidet sich durch zwei wesentliche Merkmale vom Conventionalen Deadlift, zum einen ist die muskuläre Beteiligung des Quadrizeps eher minimal, da die Knie in der Ausgangsposition nahezu gesteckt sind und über den gesamten Bewegungsverlauf in dieser Position bleiben (sollten). Somit hat der Quadrizeps keine Möglichkeit zur aktiven Streckung der Knie beizutragen. Im Gegenteil, er soll aktiv durch isometrische Kraft den Kniewinkel fixieren. Die Gesäß- und ischiocrurale Muskulatur übernehmen die Arbeit des Absenkens des Gewichts, welche im Conventionalen Deadlift auf die Knie- und Hüftextensoren aufgeteilt wird. Die isometrisch kontrahierte untere Rückenmuskulatur sorgt dafür, dass die Lendenwirbelsäule mit dem Becken eine fest verriegelte Einheit bildet, welche sich mit dem Gewicht dem Boden nähert. Die ischiocrurale Muskulatur bewirkt eine Rotation der Hüftgelenke wodurch sich das untere Ende des Beckens und die Kniekehlen annähern. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zum Conventional Deadlift ist jener, dass beim RDL die Bewegung mit einer exzentrischen Phase beginnt und mit einer konzentrischen Phase endet. Insofern gleicht der RDL einer Kniebeuge. Am Anfang sind Knie und Hüfte gestreckt und beugen sich vor, wenn das Gewicht gesenkt wird, bevor ein Dehnreflex die konzentrische Kontraktion einleitet, der die Gelenke wieder in Extension bringt (Rippetoe, S. 281, 2020).

Abb. 20: Biomechanische Vorgänge beim RDL im Hüftgelenk und Rumpf. Die ischiocrurale Muskulatur sorgt beim RDL für die Hüftextension, sowohl in der exzentrischen als auch in der konzentrischen Phase (Rippetoe, S.281, 2020). Copyright 2020 by Riva-Verlag. Used by permission.

Eine konzentrische Kontraktion ist immer stärker wenn ihr ein Dehnreflex vorangestellt ist. Dies erklärt sich durch eine erhöhte Effizienz, mit der motorische Einheiten rekrutiert werden sowie an der Fähigkeit der elastischen Muskelkomponenten und des Bindegewebes, die elastische Energie zu speichern, die sich während der exzentrischen Kontraktion entwickelt. Dieses Prinzip ist mit einem Sprung zu vergleichen. Um zu einem Sprung anzusetzen senken sich Hüfte und Knie leicht ab, hierdurch wird ein Dehnreflex in den Muskeln erzeugt, die dann für den Sprung kontrahiert werden (Rippetoe, S. 282, 2020). Beim ausführen des RDL wird das Gewicht bzw. die Hantelstange nicht abgesetzt sondern die konzentrische Phase beginnt unmittlebar im Anschluss an die exzentrischen Phase. Somit wird über die gesamte Zeit kontinuierlich die muskuläre Spannung aufrechtgehalten, weshalb sich diese Deadlift Variante auch besonders für das Ziel der Hypertrophie eignet. Beim Conventional Variante hingegen berührt nach dem Durchführen der Bewegung das Gewicht den Boden und somit die Bewegung kurzzeitig bis zum Beginn der nächsten Wiederholung pausiert was einen Spannungsverlust zur Folge hat.

Abb. 21: Die Bewegung beim RDL. Die Veränderung des Winkels in der Hüfte ist hauptsächlich für den Bewegungsumfang der Übung verantwortlich (Rippetoe, 2013, S.284, 2020). Copyright 2020 by Riva-Verlag. Used by permission.

Technisch wird der RDL mit demselben Stand wie beim Deadlift ausgeführt (Fersen sind 20-30cm auseinander, die Zehen zeigen leicht nach außen). Um den Gleichgewichtspunkt wie beim Conventionalen Deadlift nicht zu verschieben, ist es auch beim RDL wichtig die Schultern vor der Handelstage zu lassen, so dass die herabhängenden Arme leicht nach hinten geneigt sind, wobei der Latisimus am Oberarmknochen zieht, um die Hantel über dem Mittelfuß zuhalten. Je weiter sich das Gewicht an den Beinen entlang absenkt, ohne die Knie zu beugen, desto mehr Arbeit muss der Latisimus verrichten, um die Arme hinten zu halten und um den Gleichgewichtspunkt über dem Mittelfuß zu halten (Rippetoe, S.283, 2020). Aufgrund des kleineren Bewegungsumfangs und der Tatsache, dass der RDL aus dem Rack bzw. im Stand beginnt, ist es möglich ihn auch sehr gut mit Kurzhanteln auszuführen, wodurch das Herablassen und Heben leichter wird, weil es keine Verbindung zwischen Rechts und Links gibt. Im Rehabilitations- und Präventionsbereich bietet es sich außerdem an den RDL einbeinig und/oder nur mit einem Gewicht in einer Hand auszuführen, um Dysbalancen entgegenzuwirken (Beispiel für Kurzhantel RDL, siehe Video 9).

Video 9: Kurzhantel RDL in Seitenansicht.

Key Points:

  • Weniger Quadrizeps Arbeit, mehr Ischiocurale- und Gesäßmuskulatur
  • Die Arbeit die normalerweise auf Knie und Hüftgelenk verteilt wird, wird nur von der Hüfte verrichtet
  • Beginnt mit einer exzentrischen Phase und endet mit der konzentrischen Phase
  • Ständige Spannung
  • Mit Kurzhanteln und einbeinig ausführbar

Verfasst von Lukas Rettenmaier

5. Die Lendenwirbelsäule unter Last

Sowohl im Sport als auch im Alltag gebührt einem Körperteil besondere Aufmerksamkeit – der Wirbelsäule. In diesem Kapitel soll näher auf die Rolle der Wirbelsäule, insbesondere der Lendenwirbelsäule, unter Last eingegangen werden. Hierfür sollen zunächst relevante anatomische und biomechanische Aspekte der Wirbelsäule und dessen Bandscheiben eingeführt und der Belastungsmechanismus veranschaulicht werden. Anschließend sollen die Anforderungen an eine zweckmäßige Technik beim Deadlift dargestellt werden.

5.1 Anatomie der Wirbelsäule

Die menschliche Wirbelsäule, Columna vertebralis, ist in vier Abschnitte gegliedert und weist in der Sagittalebene vier typische Krümmungen auf (siehe Abb. 22). Diese sind als Folge der Anpassung an die bipede und aufrechte Fortbewegung beim Menschen entstanden. Mit Ausnahme der Sakralwirbel findet sich zwischen jedem Wirbel eine sogenannte Zwischenwirbelscheibe, auch Bandscheibe genannt. Diese bildet mit dem darüber- und darunterliegenden Wirbel ein Bewegungssegment. Von kranial nach kaudal werden folgende Abschnitte unterschieden:

  • Halswirbelsäule (HWS) – Zervikallordose → 7 Halbswirbel (C1-C7)
  • Brustwirbelsäule (BWS) – Thorakalkyphose → 12 Brustwirbel (Th1-Th12)
  • Lendenwirbelsäule (LWS) – Lumballordose → 5 Lendenwirbel (L1-L5)
  • Sakralwirbelsäule (Os sacrum) Sakralkyphose → 5 verwachsene Sakralwirbel (S1-S5)
Abb. 22: Abschnitte und Krümmungen der Wirbelsäule (Schnüke et al., 2018).

5.2 Biomechanische Eigenschaften der Bandscheiben

Die Bandscheibe besteht aus einem äußeren straffen Faserring (Anulus fibrosus) und einem zentral gelegenen weichen Gallertkern (Nucleus pulposus). Mechanisch entspricht die Bandscheibe einem druckelastischen hydrostatischen System aus einer zugfesten Hülle (dem Anulus fibrosus) und wässrigen, nicht komprimierbarem Inhalt, dem Nucleus pulposus. Letzteres besteht bei jungen Personen zu 80-85% aus Wasser. Bei Belastung steht der Nucleus pulposus unter sehr großem hydrostatischem Druck, der durch die angrenzenden Strukturen (Knorpelplatten, Anulus fibrosus) abgefangen wird (siehe Abb. 23). Der Nucleus pulposus erfüllt auf diese Weise die Funktion eines „Wasserkissens“ bzw. einer hydraulischen Presse zwischen zwei benachbarten Wirbelkörpern. Im Zusammenspiel mit dem Anulus fibrosus dient der innere Kern also als eine Art Stoßdämpfer, der den Druck (nach Pascals Gesetz) gleichmäßig auf die angrenzenden Strukturen verteilt (Zatsiorsky & Kraemer, 2006). Der intradiskale Druck in den Bandscheiben wird von diversen Einflussfaktoren bestimmt. Neben dem bereits oben erwähnten hydrostatischen Druck spielen auch das Körpergewicht, zusätzliche Lasten, Muskelkräfte, die anguläre Stellung des Bewegungssegments und degenerative Veränderungen am Gewebe eine Rolle (Diemer & Sutor, 2011).

Abb. 23: Belastungsabhängige ((b) Belastung. (a) Entlastung.) Flüssigkeitsverschiebungen innerhalb der Bandscheibe (Schnüke et al., 2018).
Abb. 24: (a) Bandscheibendeformation. (b) mechanische Deformation. (Zatsiorsky & Kraemer, 2006).

Der Einfluss der angulären Stellung des Bewegungssegmentes wurde insbesondere in der sagittalen Ebene untersucht (Diemer & Sutor, 2011). Bei einer Flexion des Bewegungssegments, wird der posteriore Teil des Anulus fibrosus gedehnt (Zugbeanspruchung), der anteriore Teil hingegen komprimiert (Kompressionsbeanspruchung). Für die Extension bestehen umgekehrte Verhältnisse, wobei der Bewegungsumfang der Extension in den Bewegungssegmente durch die Facettengelenke eingeschränkt ist. Je nachdem in welche Richtung und mit welcher Kraft diese Scherkraftkomponente wirkt, kann es zu einer Verlagerung der festen und flüssigen Bestandteile innerhalb der Bandscheibe kommen. Folglich kann es zum Austritt der Flüssigkeit kommen, der die Funktion der Spinalnerven beeinträchtigen kann.

5.3 Belastung der Bandscheiben

Bei der mechanischen Belastung der Bandscheiben unterscheidet man zwischen Stoßkräfte und statisch einwirkenden Kräften. Stoßbelastungen treten beispielweise beim Gehen, Sprinten oder Springen auf. Statische Belastungen hingegen werden hauptsächlich durch Muskelanspannungen und Sehnenkräfte erzeugt und weniger durch äußere Kräfte (zum Beispiel beim Deadlift). Am Beispiel des aufrechten Stands (siehe Abb. 23) soll der Belastungsmechanismus (statisch) im Folgenden veranschaulicht werden.

Abb. 25: Mechanismus des Entstehens der mechanischen Belastung in den Bandscheiben (Zatsiorsky & Kraemer, 2006).

Legende:

  • W1 = Gewicht der oberen Körperhälfte
  • L1= Hebelarm Oberkörper
  • W1 x L1 = Flexionsmoment der Schwerkraft
  • F = Kraft der Rückenstreckmuskulatur
  • L2 = Hebelarm Rückenstrecker
  • P = W1 + F = Auf die Bandscheibe wirkende Kraft

Betrachtet man den vierten Lendenwirbel (L4), dann wirkt das Gewicht des gesamten Oberkörpers (W1) auf diesem Wirbel. Der Körperschwerpunkt des Oberkörpers, also der Teilschwerpunkt, liegt jedoch nicht direkt über der Bandscheibe, sondern vor ihr. Das durch die Schwerkraft erzeugte Flexionsmoment (W1 x L1) würde in einer Vorneigung der oberen Körperhälfte resultieren, wenn die Rückenstreckmuskulatur (F x L2) dem nicht entgegenwirken würde. Die Drehachse verläuft dabei nahe des Nucleus pulposus, weshalb der Hebelarm (L2) für den Zug der Muskulatur nur sehr gering ist. Entsprechend hohe Kräfte (F) müssen aufgebracht werden, um das erforderliche Kraftmoment zu erzeugen. Da die Wirkungslinie der Muskelkraft annähernd parallel zur Wirbelsäule verläuft, wird dadurch im Zusammenwirken mit der Gravitationskraft der Druck auf die Bandscheiben stark erhöht (Zatsiorsky & Kraemer, 2006).

5.4 Anforderungen an eine zweckmäßige Technik beim Deadlift

In den vorherigen Kapiteln wurde bereits erwähnt, dass für eine optimale Kraftübertragung auf die Langhantel und eine sichere Bewegungsausführung, die Wirbelsäule „starr“ gehalten werden sollte. Gemeint ist mit „starr“, dass alle Wirbelkörper und die dazwischenliegenden Bandscheiben möglichst axial übereinander Angeordnet sind. Im Falle eines „Rundrückens“, also einer Flexion der Wirbelsäule im Lumbarbereich, beim Heben schwerer Lasten, wirkt die Kompressionsbelastung unverhältnismäßig stark auf den vorderen Teil der Bandscheibe wohingegen der hintere Teil unter Zugbeanspruchung steht. Ähnlich, nur umgekehrt, verhält es sich beim Heben mit einer Hyperlordose im Lumbarbereich. Zusätzlich können bei einer Hyperlordose auch die Facettengelenke geschädigt werden, da diese die Extension mechanisch begrenzen. Entscheidend ist hier aus biomechanischer Sicht jedoch, dass es beim Heben schwerer Lasten fast nicht möglich ist eine Hyperlordose im Lumbarbereich zu halten, da eine Flexion der LWS durch die Last forciert wird. Wichtig beim Deadlift ist es, die „natürliche“ Lumbarlordose während der gesamten Bewegungsausführung aufrechtzuerhalten, um die Belastung gering zu halten (siehe Abb.24) und den Druck auf die Bandscheiben gleichmäßig zu verteilen. Eine weitere Möglichkeit die Belastung zu verringern besteht darin, die Vorneigung zu reduzieren, beispielweise durch einen Wechsel der Technik hin zu einer weniger Hüftdominanten Variante (von Conventional zu Sumo). Letztendlich spielt auch der Aufbau eines hohen intraabdominalen Drucks eine wichtige Rolle, wenn es darum geht den Druck auf die Bandscheiben zu reduzieren. Infolge des inneren Stützes, beispielsweise bei Nutzung der Valsalva-Atemtechnik, kann der Druck auf die Bandscheiben im Mittel um bis zu 20% Verringert werden (Zatsiorsky & Kraemer, 2006).

Abb. 26: Krafteinwirkung auf die Bandscheiben beim heben einer Masse von 50 mit unterschiedlichen Hebetechniken. (a) falsche Technik („Rundrücken“) (b) korrekte Technik („neutrale, „starre“ Wirbelsäule) (Zatsiorsky & Kraemer, 2006).

Verfasst von Arian Lotfolahpour

6. Wiederholungsfragen

Frage 1: Warum ist ein kürzerer Hebelarm für den Deadlift vorteilhafter und mit welcher Technikvariation kann dies erreicht werden (Bitte erläutere den Zusammenhang)?

Antwort: Ein kürzerer Hebelarm, minimiert das Drehmoment der Hüfte und damit die vom Übenden aufzuwendende Kraft. Dazu muss die Hüfte näher an die Last gebracht werden, damit der Masseschwerpunkt enger an der vertikalen Linie (Schwerkraftvektor über der Last) liegt. Eine Möglichkeit dies zu erzielen bietet der Sumo-Deadlift.

Frage 2: Was sind die wesentlichen Unterschiede beim rumänischen Deadlift und dem Conventional Deadlift, bezogen auf die Biomechanik?

Antwort: Der RDL beginnt dort, wo beim CD der Lockout ist. Das führt dazu, dass er mit einer exzentrischen Bewegung beginnt und mit einer konzentrischen Bewegung endet. Anderes als beim CD wird die Bewegung zum größten Teil von der Hüfte erzeugt (Hüftextension). Deshalb ist die muskuläre Beanspruchung der Ischiocurale- und Gesäßmuskulatur mehr am Arbeiten und die Muskeln des Quatrizeps werden durch isometrische Kontraktion zur Kniefixierung genutzt. Die Muskeln bleiben in ständiger Spannung.

Frage 3: Unter welchen Beanspruchungen steht der Anulus fibrosus bei einer Flexion und Extension des dazugehörigen Bewegungssegmentes?

Antwort: Bei einer Flexion des Bewegungssegments, wird der posteriore Teil des Anulus fibrosus gedehnt (Zugbeanspruchung), der anteriore Teil hingegen komprimiert (Kompressionsbeanspruchung). Für die Extension bestehen umgekehrte Verhältnisse.

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Abbildungsverzeichnis

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