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WP2002 Bikefitting

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Modul-Titel WP2002 Bikefitting
Veranstaltung PS Biomechanik
Autor Frederic Nockemann, Torben Müller, Elias Dreismickenbecker, Thomas Brunner
Bearbeitungsdauer 45 Minuten
Präsentationstermin 05.07.2020
Status Finalisiert
Zuletzt geändert 28.06.2020

Einleitung

Bikefitting - was wird darunter verstanden?

Unter dem Neudeutschen Begriff „Bikefitting“ wird die Anpassung eines Fahrrades auf die Bedürfnisse seines Fahrers verstanden. Je nach Zielsetzung und Bedürfnissen des Radfahrers, kann der Umfang eines Bikefitting sehr groß sein. Dabei können eine Reihe unterschiedlicher Messmethoden zum Einsatz kommen. Beim Bikefitting handelt es sich um keinen genormten oder geschützten Begriff. Was mit dem Auswählen der richtigen Fahrrad-Rahmengröße anhand der Körpergröße und Einstellen der Sattelhöhe auf die Beinmaße des Radfahrers beginnt, kann bis hin zu Optimierung anhand einer dynamischen Bewegungsanalyse in einer simulierten Fahrsituation ausgeweitet werden.

Die im folgenden Abschnitt vorgestellten Methoden können prinzipiell für das Konfigurieren von unterschiedlichen Arten von Fahrrädern verwendet werden. In diesem Artikel wird jedoch ausschließlich Bezug auf Renn- bzw. Zeit-/Triathlon-Räder genommen.

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Fittings unterscheiden: Statische und Dynamische. Zu den statische Methoden gehört z.B. die recht einfache LeMond-Methode, bei der ausgehend von der Körpergröße und der inneren Beinlänge des Radfahrers die Höhe des Sattels gewählt wird [Burt, 2014] - innere Beinlänge (Beininnenseite vom Schritt bis zum Boden) in Zentimetern gemessen, multipliziert mit dem Faktor 0,883 ergibt die Sattelhöhe in Zentimetern. Eine weitere statische Methode ist die Goniometrie, bei der der optimale Kniewinkel für die maximale Streckung auf der tiefsten Pedalstellung eingestellt wird, um eine für den Radfahrer passende Sattel-Position zu finden. Der Kniewinkel wird hier üblicherweise zwischen 35 und 40 Grad gewählt [Pruitt, 2004]. Details zum Kniewinkel, insbesondere zu gesundheitlichen Aspekten, ist im Abschnitt [Bikefitting - Gesundheitliche Aspekte] nachzulesen. Die ebenfalls zu den statischen Methoden zählende „Knee over pedal spindle“-Methode (kurz KOPS), die ergänzend zum Einstellen der Sattelposition verwendet wird, ist im Abschnitt [Schmerzprävention Rennrad] beschrieben. Eine umfangreiche Sammlung statischer Methoden sind in dem lange Zeit als Standardwerk für Radsportler geltenden CONI-Regelwerk (genannt nach dem Herausgeber CONI, dem Italienischen Olympischen Sportbund) umschrieben [Cycling, 2009].

Statische Methoden können oftmals beim Einstellen eines Rennrads gute Ergebnisse liefern. Diese statische Ausgangsbasis kann mit der Ausweitung um dynamische Fitting-Methoden noch bessere Ergebnisse liefern. Dynamisch meint hier, dass der Radfahrer in Bewegung analysiert wird. Dies kann zu weiteren Erkenntnissen führen. Bei dynamischen Methoden, insbesondere bei den aktuellsten, auf 3D-Modellen basierenden Methoden, werden große Mengen Daten produziert, die bei der Optimierung der Position auf dem Rad helfen. Der Athlet wird, auf seinem Sportgerät in Position sitzend mit Motion-Capturing-Verfahren, unterstützt von spezifischer Hard- und Software, während einer Radfahr-Simulation erfasst. Die so generierten Bewegungsdaten werden auf ein 3D-Modell projiziert. Unter [Methode] wird dieses Verfahren detailliert erläutert.

Wozu dient Bikefitting?

In der Literatur werden häufig zwei Hauptziele für Bikefittings genannt: Hohe Leistung und Schmerzprävention. Idealerweise wird im Rahmen eines Bikefitting eine Sitz-Position und Fahrrad-Konfiguration ermittelt, die beiden Zielen in möglichst hohem Maße dient.

Waren Bikefittings einst überwiegend ein von Triathlon- und Rad-Profis, sowie ambitionierten Hobby-Sportlern praktizierter Vorgang, um die letzten zehntel Sekunden zu finden, so finden immer mehr gesundheitliche Aspekte Berücksichtigung. Dies eröffnet selbst freizeitlichen Fahrradfahrer die Möglichkeit, ein auf sie individuell angepasstes Zweirad zu erhalten.

Letztlich umfasst ein professionelles Bikefitting stets die umfangreiche Betrachtung der zur Verfügung stehenden Parameter und ist in der Regel mit einigen Kompromissen verbunden. Nicht zuletzt spielen ebenso der subjektive Eindruck und, insbesondere bei besonders sportlichen und aerodynamischen Positionen, das individuelle Schmerzempfinden des Fahrers eine große Rolle, um die individuell optimale Position auf dem Sportgerät zu finden.

Nach Pruitts aufgestellten Prinzipien zum Bikefitting, wird das Sportgerät den körperlichen Eigenschaften und Bedürfnissen des Fahrers angepasst und nicht umgekehrt: „Make the Bike Fit Your Body, Don’t Make the Body Fit Your Bike“ und „If you are uncomfortable, riding is no fun“ [Pruitt, 2004].

Die Entwicklung des Bikefitting

Bikefitting basiert auf Biomechanischen Grundsätzen. Das erste fundierte Regelwerk für das Anpassen von Fahrrädern/Rennrädern, wurde vom Italienischen Olympischen Sportbund verfasst und ist unter dem Akronym CONI bekannt [Burt, 2014, S.17]. Die Regeln basieren auf statischen Formeln und waren für viele Jahre die Basis zum Einstellen von Rennrädern. Was auf der einen Seite für einige Athleten gut funktionierte, machte anderen Probleme. Laut Andy Pruitt sind die angewandten Formeln grundsätzlich korrekt. Jedoch bezogen sie sich auf eine spezifische, kleine Gruppe von Rennrad-Fahrern. Für die CONI-Methoden wurde eine Gruppe junger männlicher italienischer Rennrad-Profis und deren Position auf dem Fahrrad untersucht. Da diese Gruppe sehr schnell war, wurde darauf geschlossen, dass die von dieser Gruppe verwendeten Einstellungen und Positionen auf deren Rennrädern, generell die optimalen Einstellungen für Rennräder sein müssen [Pruitt 2004, S.157 ff].

Nicht zuletzt mit der Öffnung des (Renn-)Rad-Marktes für eine breitere Masse, sind diese statischen Anpassungsmethoden schwer anzuwenden. Ebenso kann es sich schwierig gestalten, wenn ein Radfahrer nicht dieser, zuvor genannten, spezifischen Gruppe zuzuordnen ist. Hier kann es durch erweiterte Fitting-Methoden gelingen, ein auf den Sportler angepasstes Fahrrad zu erhalten.

Nach Pruitt sind die statischen Formeln nichts weiteres als ein erster Anhaltspunkt für die Einstellung eines Rennrads [Pruitt, 2004, S.7]. Diese können als eine Ausgangsbasis für erweiterte Anpassungs-Methoden verwendet werden. Radfahren ist immer mit dynamischen Bewegungen verbunden. Deswegen können laut Pruitt auf statischen Formeln basierende Methoden, bei denen davon ausgegangen wird, dass der Fahrer eine feste Position auf dem Rad hat, lediglich als Ausgangspunkt für weitere dynamische Methoden dienen. Folgerichtig haben sich Bikefittings, auch im Zuge technischen Fortschritts hinsichtlich Hard- und Software, in realitätsnahe Simulationen von Fahrsituationen weiterentwickelt.

Vorstellung des Fallbeispiels

Oben wurden zwei grundsätzliche Ziele von Bikefittings genannt. Erweitert werden diese durch individuelle, spezifische Ziele von Rennrad-Sportlern. So lassen sich beispielsweise gänzlich unterschiedliche Zielsetzung für Triathlon-Sportler und Zeitfahr-Spezialisten auf der einen Seite und Langstrecken-Rennradfahrer auf der anderen Seite ableiten.

Für Triathlon-Sportler und Zeitfahr-Spezialisten erweitert sich der Fokus auf eine möglichst aerodynamisch günstige Position auf dem Sportgerät. Ziel dabei ist es, eine möglichst geringe frontale Fläche anzubieten und gleichzeitig einen für die Kraftübertragung günstigen Hüft- und Kniewinkel beizubehalten. Weiterhin ist dabei zu beachten, dass die Lungenfunktion durch eine stark nach vorne gerichtete Sitzposition nicht negativ beeinträchtigt wird [Burt, 2014, S. 128]. Details sind unter [Aero-Position auf dem Zeitfahrrad] nachzulesen.

Im Vergleich dazu sind aerodynamische Aspekte für Straßen-Rennradfahrer nicht das vordergründige Ziel. Nicht zuletzt entscheidet das Streckenprofil und die damit verbundene Navigierbarkeit des Rennrads darüber, ob eine deutlich aufgerichtertere Sitzposition gewählt wird. Weiterhin ist der Komfort in einer aufrechteren Sitzposition ein entscheidendes Kriterium, insbesondere um große Distanzen überwinden zu können.

In der durchgeführten Fallstudie sollen die unterschiedlichen Aspekte der beiden zuvor genannten Disziplinen einander gegenübergestellt und unter biomechanischen Gesichtspunkten verglichen werden. Mit Hilfe von dynamischen Bikefitting-Methoden wurden dafür in einem Labor Daten gewonnen. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die [Schmerzprävention] gelegt, da dies eines der entscheidendsten ​Aspekte ist, um eine hohe dauerhaft hohe Leistung erbringen zu können [Burt, 2014].

(Verfasst von: Thomas Brunner)

Methodik

Abb. 1 - Reißkniebeuge vor Kalibriertafel
Abb. 2 - Satteldruckmessung
Abb.3 - Ekib 360° Motion Capture Software

Wie einleitend beschrieben, gibt es verschiedene Arten des Bikefittings, die alle ihre Daseinsberechtigung haben. Im Folgenden soll der Ablauf eines ganzheitlichen und sehr komplexen Fittings beschrieben werden, wie es bei den Experten von iQ athletik in Frankfurt - Rödelheim praktiziert wird.

Zu Beginn dreht sich alles um den Fahrer: Welche Beschwerden liegen vor? Was sind die sportlichen Ziele? Wie sieht die Verletzungshistorie aus? Diese und viele weitere Fragen werden mit Hilfe der Anamnesesoftware PRE-FIT v2.0 (SnM gebioMized GmbH, Münster, Deutschland) erfasst. Um einen Eindruck der Mobilität des Radfahrers zu erhalten, welche großen (limitierenden) Einfluss auf die spätere Sitzposition haben kann, wird dieser bei der Ausführung einer Reißkniebeuge vor einer Kalibriertafel von vorne und von der Seite gefilmt (Sony IPELA HD, vgl. Abb. 3).

Ausgewertet wird die Bewegung anhand der Software Dartfish ProSuite 7.0 (Dartfish, Freiburg, Schweiz). Die Reißkniebuge ist eine sehr komplexe Übung, die Aufschluss über die Mobilität der vier wichtigsten Gelenke (Schulter, Hüfte, Knie und Sprunggelenk), in Bezug auf die Sitzposition auf dem Fahrrad, liefert . Der letzte Schritt vor dem eigentlichen Fitting ist die Einstellung der Schuhplatten mittels einer Ergon Schablone (RTI Sports GmbH, Koblenz, Deutschland). Anhand der Schuhplatten kann die Beinachse neutral auf den Pedalen ausgerichtet werden. Warum eine neutrale Beinstellung angestrebt wird, wird im Abschnitt [Bikefitting - Gesundheitliche Aspekte] erläutert.

Da es sich bei dieser Art des Bikefittings um eine Motion Capture Analyse handelt, werden dem Sportler reflektierende Marker an bestimmte Stellen des Körpers geklebt, welche vom Kamerasystem erkannt werden. Das System besteht aus vier OptiTrack Flex 3 (NaturalPoint, Oregon, USA) Infrarot Kameras, die eine Aufnahmerate von 100 Hz aufweisen, wobei der Messfehler < 1mm beträgt. Verbunden sind diese mit der Bikefitting Software Cycling 3DMA Ekib 360 Motion Capture 2020.1 (stt SYSTEMS, San Sebastián, Spanien, vgl. Abb. 2), welche aus den Daten ein live 3D-Modell des Körpers generiert. Weiterführende Informationen zum Thema Motion Capturing gibt es hier: WP1612 Motion Capturing

Abbildung 4 zeigen den Fahrer mit insgesamt 20 Markern, die an folgenden Gelenkpunkten beider Körperhälften anzubringen sind:

  1. Kleinzehengrundgelenk über der Pedalachse (links & rechts)
  2. Malleolus lateralis (links & rechts)
  3. 5-7 cm senkrecht unterhalb des Malleolus lateralis (links & rechts)
  4. Laterale Femur Epikondylen (links & rechts)
  5. Trochanter Major (links & rechts)
  6. Sacrum (Hauptvorsprung)
  7. 5. Halswirbel
  8. L4 - L5
  9. T6 - T7
  10. Acromion (links & rechts)
  11. Laterale Humerus Epikondylen (links & rechts)
  12. Processus styloideus ulnae (links & rechts)

Der Fahrradrahmen wird auf den Cyclus 2 (RBM elektronik-automation GmbH, Leipzig, Deutschland) Fahrradergometer gespannt und für die parallellaufende Satteldruckmessung wird eine Druckfolie (Gebiomized, Münster, Deutschland) auf den Sattel gespannt, die mittels Gebiomized GP Manager v6.5 (Gebiomized, Münster, Deutschland) Software ausgewertet wird. Um die aktuelle Sitzposition zu ermitteln und sich an die Testsituation zu gewöhnen, fährt sich der Sportler ca. 5 - 10 Minuten ein, in der letzten Minute erfolgt die eigentliche Messung, sowie das Abbilden des aktuellen Satteldrucks mit über 60 Sensoren in der Druckfolie. Aus den abgeleiteten Winkeln lässt sich auf weitere Arbeitsschritte schließen. Ist beispielsweise der Kniewinkel zu gering, kann der Sattel erhöht werden, um diesen zu vergrößern. Veränderungen lassen sich an den Angriffspunkten Sattel, Lenker und Pedalen vornehmen, um letztendlich die passende Position einzustellen. Nach jeder Veränderung wird für ca. eine Minute gefahren, um die aktuellen Winkel zu überprüfen. Ist die passende Position gefunden, sowie die richtige Position auf dem Sattel, bzw. das passende Sattelmodell, wird das Rad eingemessen, sodass der Fahrer das Rad eigenständig immer wieder perfekt einstellen kann. Zum Abschluss werden außerdem Übungen zur Steigerung der Mobilität, sowie der Kräftigung besprochen, um besonders sportliche Positionen auf dem Rad auch bei langen Ausfahrten tolerieren zu können. In welcher Größenordnung sich diese Veränderungen abspielen und welchen Einfluss diese haben können, wird im Verlauf dieses Wikis vor allem anhand der Fallbeispiele verdeutlicht.

Abb. 4 - Markerposition

(Verfasst von: Frederic Nockemann)

Bikefitting - Gesundheitliche Aspekte

Im folgenden Abschnitt soll auf das Bikefitting im gesundheitsbezogenen Rahmen eingegangen werde:

Radfahren stellt weltweit eine der populärsten Sportarten dar, wobei die Nutzung vom Einsatz als Transportmittel über den Sport bis hin zum Einsatz in der Therapie und der Rehabilitation reicht (C. Asplund & St Pierre, 2004). Dabei stellt Radfahren sowohl im Freizeitbereich als auch im therapeutischen Bereich eine sinnvolle Alternative zum ebenso beliebten Laufsport dar. Radfahren an sich ist eine sehr repetitive Sportart: während einer Stunde Radfahren kommt es zu etwa 5000 Pedalumdrehungen (bei einer Trittfrequenz von ~ 80/min), dementsprechend häufig sind Verletzungen aufgrund von Überlastung, die durch eine sich wiederholende submaximale Belastung des Gewebes entstehen (C. Asplund & St Pierre, 2004). Zusätzlich muss sich der Sportler in eine dem Sportgerät angepasste Position begeben, den Oberkörper vorbeugen und diese Position während des Radfahrens beibehalten (s. Abbildungen bzw. Video im Kapitel Methodik). Die statisch angespannte Körpehaltung in Verbindung mit der repetitiven Beinbewegung führen dazu, dass bereits die kleinste materielle Fehleinstellungen, wie beispielsweise eine falsch eingestellte Pedale oder anatomische Fehlhaltungen auf Dauer (beachte rund 5000 Pedalumdrehungen pro Stunde!) zu Dysfunktionen und Schmerzen führen können (C. Asplund & St Pierre, 2004). Ziel eines Bikefittings im gesundheitsbezogenen Rahmen ist es daher also, dass Fahrrad so einzustellen, dass es eine korrekte Haltung des Fahrers ermöglicht und im besten Fall auch sicherstellt. Eine leistungssteigernde Komponente, wie sie im folgendem Kapitel behandelt wird, steht dabei eher im Hintergrund.

Dass patellofemorale Schmerzsyndrom, also Schmerzen deren Lokalisation die Kniescheibe, das Patellargleitlager sowie den Femur betreffen und von Patienten meistens als „in, unter und neben“ der Kniescheibe beschrieben werden, Schmerzen im anterioren, also vorderen Bereich des Knies sowie Schmerzen im unteren Rücken und Nacken stellen die häufigsten Schmerzen bei Radfahrern dar (C. Asplund & St Pierre, 2004; C.; Asplund, Webb, & Barkdull, 2005). Im folgenden Text soll daher fokussiert darauf eingegangen werden, wobei stets zu beachten ist, dass Schmerzen und Überlastungen selbstverständlich auch in anderen Regionen auftreten können.

1. Knieschmerzen

Abb. 5 - Fahrradkomponenten zur Kraftgenerierung
Abb. 6 - Muskelbeteiligung an der Pedalbewegung

Schmerzen im anterioren Bereich des Knies sowie das patellofemorale Schmerzsyndorm stellen mitunter die häufigsten schmerzhaften Symptome von Radfahrern dar (C. Asplund & St Pierre, 2004). Um die Ursache davon zu verstehen, ist es wichtig zunächst die Mechanik der Bewegung des Radfahrens zu verstehen, zur Auffrischung kann hier WP1205 Radfahren oder auch hier WP1205a Rad/Formeln nachgelesen werden; an dieser Stelle soll nur eine rudimentäre Zusammenfassung gegeben werden: Eine komplette Bewegung der Pedale um das Tretlager ist eine zwei-phasige zyklische Bewegung. Während der ersten Phase drückt der Radfahrer das Pedal Richtung Boden und erzeugt damit über seine Tretkraft (F[pedal]) und den Kurbelradius (r[pedal]) einen Drehmoment (M[pedal] = F[p] * r[p]). Das Drehmoment wird über das Tretlager auf das Kettenblatt übertragen, wo dann die Kraft F[kettenblatt] am Radius r[kettenblatt] wirkt. Über die Kette wirkt die Kraft F[k] dann auch am Ritzel F[ritzel] = F[kette], wobei dass Drehmoment am Ritzel M[ritzel] = F[r] * r[r] darstellt. Über das Ritzel wird die Kraft anschließend auf die Nabe bzw. den Reifen übertragen, wobei stark vereinfacht dargestellt Vortrieb (F[Rad]) generiert wird (die Begrifflichkeit und Komponenten sind der Abbildung 5 zu entnehmen).

Die Vortriebsphase beginnt in der 12 Uhr Position der Pedale (0 Grad, Knie flexiert) und endet in der 6 Uhr Position (180 Grad, Knie extensiert) mit dem Beginn der „Erholungsphase“. Während dieses Pedalzyklus bewegt sich das Knie in einem Bewegungsumfang von etwa 75 Grad. Das Knie beginnt in der Vortriebsphase in einem gebeugtem Zustand von 35 Grad und streckt sich bis etwa 110 Grad Beugung durch, wobei immer individuelle Fluktuationen zu beachten sind. Dabei stellt der Quadriceps die meiste Kraft zur Verfügung, während die Ischiocrurale Muskulatur sowie die Gluteale Muskulatur je nach Phase unterstützt. Die muskuläre Beteilung kann in Abb. 6 (nach Sovndal (2019)) betrachtet werden. Die zyklische Bewegung beider Pedale wiederholt sich je nach Trittfrequenz zwischen 70 und 120 mal in der Minute, weshalb Fehleinstellungen am Fahrrad, welche den Sehnen- und Bandapparat übermäßig belasten, schnell zu Schmerzen führen können. In der nachfolgenden Tabelle sind einige Fehleinstellungen und deren anatomischen Resultate aufgelistet (C. Asplund & St Pierre, 2004; Priego Quesada, Kerr, Bertucci, & Carpes, 2019):

Sattel zu hoch Kniestreckung reizt das Iliotibiale Band, Stress in der Bizpessehne, hohe patellofemorale Lasten, „Rütteln“ während dem Treten stresst die Hüfte, Knieschmerzen im posterioren Bereich
Sattel zu niedrig Stress in der patellar und quadriceps Sehne
Sattel zu weit vorne Treten in hyperflexierter Position führt zu Stress im anterioren Teil des Knies
Sattel zu weit hinten Iliotibiales Band wird durch übermäißges Vorneigen zu den Pedalen gestresst
Kurbelarme zu lang Erhöhte Kräfte im gesamten Knie; Patellar- und Quadricepssehne sind am meisten betroffen
Nach innen gedrehter Fixpunkte der Pedale Patellaspitzensyndrom, tibialer Rotationsstress im anterior Teil des Knies
Nach außen gedrehte Fixpunkte der Pedale Stress im medialen Teil des Knies
Kniebeugung < 45 Grad Erhöhter Patellofemoraler Schmerz sowie Knieverletzungen im anterioren Bereich
Kniestreckung > 110 Grad Ekzessive Dehnung der iliotibialen Muskulatur sowie der Hamstring führen zu einem erhötem Risiko muskulärer Überlastung und Patellspitzensyndrom

Hierbei ist anzumerken, dass auch anatomische Fehlstellungen wie verkürzte Sehnen oder zu schwache Muskulatur zur chronischen Überlastung führen kann; dies ist jedoch nicht im direkten Sinne durch ein Bikefitting zu analysieren.

2. Rückenschmerzen

Neben Knieschmerzen sind Schmerzen im Bereich des unteren Rückens und Nackens unter Radfahrern sehr weit verbreitet. Dies ist vor allem in der Körperhaltung zu begründen: Der Nacken ist beim Fahrradfahren hyperextensieert und der Rücken über teils sehr lange Perioden nach vorne flexiert. Ist zusätzlich ein tiefer Lenker montiert, wird die Last auf die Arme sowie die Hyperextension des Nackens nochmal erhöht, was letztendlich zu einer Überbeanspruchung der Muskulatur mit resultierenden Muskelschmerzen und Fatigue führt. Ein ähnlicher Effekt ist zu beobachten, wenn das Oberrohr des Fahrrads (plus Lenkerstamm) zu lang ist oder wenn „Aero Stangen“ (Lenkerkonstruktion zur verbesserten Aerodynamik; Einsatz vor allem im Leistungsbereich) genutzt werden. Dies führt auch dazu, dass die Hyperextension des Nackens weiter gesteigert wird (C.; Asplund et al., 2005). Mögliche Stellschrauben eines Bikefittings sind dabei (C.; Asplund et al., 2005; Priego Quesada, Perez-Soriano, Lucas-Cuevas, Salvador Palmer, & Cibrian Ortiz de Anda, 2017):

  • Die Lenkerstange anzuheben oder einen Lenker mit einem flacherem Gefälle zu nutzen; ebenso kann ein kürzerer Lenkerstamm genutzt werden
  • Die Sattelposition kann nach vorne verschoben werden, wobei darauf geachtet werden muss, dass ein zu weit nach vorne positionierter Sattel zu erhöhtem Stress im anterioren Bereich des Knies führen kann (s. Tab. Oben)

Die Muskulatur des unteren Rückens stellt beim Radfahren neben der Bein- und Hüftmuskulatur einer der primären Muskelgruppe dar, welche zur Generierung der Kraft zum Einsatz kommt. Treten in diesem Bereich Schmerzen auf, gibt es unterschiedliche Faktoren, die beim Bikefitting beachtet werden müssen(C.; Asplund et al., 2005; Priego Quesada et al., 2017):

  • Die Länge des Oberrohrs sollte in Kombination mit der spinalen Flexion des Athleten betrachtet werden. Ist die obere Stange des Fahrrads zu lang, geht der Athlet eine zu starke Flexion der Wirbelsäule ein
  • Sind die Lenkergriffe zu tief, kommt es zu einer übermäßigen Beugung der Wirbelsäule, was zu einem erhöhtem Druck im lumbalen Abschnitt des Rückens führt

Richtwerte und Gradangaben sind hierbei aufgrund viele individueller Faktoren wie Beweglichkeit, persönlicher Komfort, Art des Fahrrads etc. schwierig; jedoch ist ein Hüft-Oberschenkelwinkel zwischen 60 und 110 Grad sowie ein Schulter-Oberarmwinkel von 65 – 75 Grad zu empfehlen. Ein weiterer Punkt ist die Einnahme der „Aero Position“ zur verbesserten Aerodynamik beim Fahren. Durch die Einnahme einer größeren Rumpfbeuge können Wiederstandskräfte während des Fahrens minimiert werden, gleichzeitig kann jedoch das permanente Einnehmen einer solchen Position zu Nackenschmerzen sowie zu Schmerzen im unteren Bereich des Rückens führen. Diese sind durch die Verformung der viskoelastischen Strukturen und durch das mechanische Krümmen der Wirbelsäule als Folge der chronischen Belastung zu erklären(C.; Asplund et al., 2005). Ob das Fahren in der Aeroposition im individuellen Kontext sinnvoll ist, sollte stets im Bezug zu der erhöhten Belastung des Rückens betrachtet werden.

Diskussion und Schlussfolgerung

Trotz der oben beschriebenen anatomischen Herleitungen fehlen derzeit qualitativ hochwertige Studien, die ein verändertes Verletzungsrisiko nach Anwendung eines Bikefittings untersuchen. Nur wenige Studien liefern eine Verbindung zwischen der veränderten Bewegung beim Radfahren und dem Risiko, Verletzungen zu entwickeln (Bini, 2016). Ebenso fallen bei der Beschäftigung mit den gesundheitlichen Aspekten eines Bikefittings methodische Schwierigkeiten auf: Oftmals werden unterschiedliche Systeme verwendet und Winkel auf unterschiedliche Art und Weise gemessen, was die Interpretation der Ergebnisse bzw. auch die Implikationen für die Praxis erschwert. Zusätzlich ist eine Schmerzreduktion von vielen individuellen Faktoren wie auch dem persönlichen Komfortempfinden beeinflusst, weshalb zwar anatomisch günstige Positionen beschrieben werden können, jedoch stets eine individuelle Komponente vorhanden bleibt. Trotzdessen erscheint das Bikefitting als eine Möglichkeit, um einerseits den Komfort auf dem Fahrrad zu erhöhen und andererseits mögliche Schmerzen während des Radfahrens zu verhindern bzw. zu minimieren. Nach einer Studie von Priego Quesada (2017), in welcher Probanden unterschiedliche Sitzpositionen auf dem Fahrrad bezüglich Schmerz und Komfort bewerten sollten, scheint im Freizeit- und Amateurbreich ein Kniewinkel von 30 Grad in Verbindung mit einem Hüftwinkel von 45 Grad empfehlenswert zu sein (Priego Quesada et al., 2017).

(Verfasst von: Elias Dreismickenbecker)

Bikefitting - Leistungssteigernde Aspekte

Wie zuvor bereits beschrieben ist ein großes Aufgabenfeld des Bikefittings die Leistungsoptimierung. Leistung wird in der Physik und Technik als das Produkt aus Kraft x Geschwindigkeit verstanden.

Geschwindigkeit = Strecke / Zeit $v = s / t$

Um das Gesamtsystem aus Radsportler und Fahrrad leistungsoptimiert einzustellen, müssen die Einsatzgebiete klar definiert sein. So ist die Einstellung eines Rennrads für Straßenrennen mit Windschattenfreigabe, eine andere als die eines Zeitfahrers oder eines Triathleten auf einem Zeitfahrrad. Betrachtet man, wie in der oben dargestellten Studie beschrieben, einen Triathleten auf seinem Zeitfahrrad, so kann die Leistung über verschiedene Stellschrauben optimiert werden. Um möglichst schnell fahren zu können, sollte zum einen die Antriebskraft (FA) möglichst groß sein und zum anderen die Gesamtwiderstandskraft (Fges) möglichst gering gehalten werden. Diese beiden Kräfte wirken in entgegengesetzte Richtung.

1. Ist FA größer als Fges, wird das Gesamtsystem (Fahrrad und Fahrer) mit der positiven Überschusskraft beschleunigt FÜ = FA – Fges 2. Wenn die vorhandene Fahrgeschwindigkeit gehalten werden soll, müssen FA und Fges, gleich groß sein FA = Fges 3. Wenn Fges größer als FA ist, wird das Gesamtsystem abgebremst mit der negativen Überschusskraft FÜ = Fges – FA

Für eine Leistungsoptimierung ist sowohl die Antriebsoptimierung, als auch die Widerstandsreduzierung eine wichtige Aufgabe, die mithilfe eines Bikefittings erzielt werden kann. Neben vielen verschiedenen Widerständen, wie zum Beispiel dem Rollwiederstand der von Fahrradart und unterschiedlichen Materialien abhängig ist, können Widerstände, die mit der Position des Fahrers auf dem Fahrrad zusammenhängen minimiert werden. Der wichtigste Widerstand ist dabei der Luftwiderstand (FL). Der Luftwiderstand kann bei Windstille in der Ebene bis zu 80 % der Antriebskräfte verschlingen. Erst wenn der Rückenwind (Wind in Fahrtrichtung) größer ist, als die Fahrgeschwindgkeit, wird kein Gegenwind mehr wahrgenommen. Um die Geschwindigkeit also möglichst hoch zu halten, muss der Radfahrer den Windwiderstand möglichst gering halten. Dies ist besonders bei Rennformaten ohne Windschattenfreigabe, wie dem Einzelzeitfahren oder im Triathlon auf der Mitteldistanz und der Langdistanz von besonderer Bedeutung.

Möglichkeiten um den Windwiderstand zu minimieren: 1. Durch eine veränderte Sitzposition die Stirnfläche minimieren 2. Aerodynamische Verkleidung anbringen und Anbauteile, wie z.B. trinkflaschenhalten etc. möglichst günstig anbringen 3. Die Form des Systems verbessern 4. Den (Luft-)Reibungswiderstand durch z.B. verbesserte Materialien der Radbekleidung minimieren 5. Windschatten Fahren (allerdings nicht immer erlaubt)

Mit Hilfe des Bikefittings ist es möglich auf die Minimierung des Strömungswiderstandes durch die Verkleinerung der Stirnfläche und die Verbesserung der Form des Systems einzugehen, indem die Sitzposition idealisiert wird. Auf den induzierten Widerstand (Querwiderstand) und den Reibungswiderstand (Zähigkeitswiderstand) gehen wir im Folgenden nicht weiter ein. Um den Athleten aerodynamischer auf seinem Fahrrad zu positionieren, hat man im Idealfall neben dem hier vorgestellten 3D-makerbasierten System auch einen Windkanal zur Verfügung um die Strömungslinien des Windes zu Testen. Dies ist aber ein sehr aufwändiges und kostspieliges Verfahren, weshalb in der Praxis eine Messung mit einem 3D-Makersystem meist ausreichend ist.

Ursache für den Strömungswiderstand sind Luftmoleküle, die auf die Oberfläche des Systems aufprallen und abprallen. Dies führt zu einer Impulsänderung der Moleküle, die dadurch eine Kraft senkrecht zur Oberfläche ausüben.

Berechnung des Strömungswiderstandes: v = Geschwindigkeit A = Stirnfläche s = Strecke p = Luftdichte

$Ekin = ½ m * v^2 = ½ A * s * p * v^2$

Die Masse m ist gleich dem Volumen V ($V = A * s$) mal der Dichte p (Dichte der Luft)

Die Stirnfläche eines Straßenradfahrers in aufrechter Fahrweise mit durchgestreckten Armen, im Vergleich zur Rennposition, kann etwa 0,04 m2 bzw. 10,5% ausmachen (vgl. Gressmann, 2010).

Überwindungsarbeit des Strömungswiderstandes: $FL = ½ * p * v^2 * cw * A$

Der cw-Wert kann über Strömungsversuche im Windkanal ermittelt werden und sollte möglichst gering sein. Er ist von der Form des auf dem Fahrrad sitzenden Sportlers abhängig. So hat ein Mountainbiker auf Grund seiner Sitzposition auf dem Fahrrad einen höheren cw – Wert als ein Triathlet in der Zeitfahrposition. Den besten cw-Wert hat ein Tropfenförmiger Gegenstand. Dieses Wissen kann zur Einstellung der Sitzposition im Bikefitting nützlich sein. Für das Bikefitting muss also der cw-Wert und die Stirnfläche so gering wie möglich gestaltet werden, damit der Fahrer bei gleichem Krafteinsatz schneller fahren kann. Als Fallbeispiel hierfür dient ein Triathlet auf einem Triathlonfahrrad bzw. Zeitfahrrad. Um die zuvor genannten Ziele zu erreichen, sollte der Fahrer also eine möglichst flache Position einnehmen, bei der er eine geringe frontale Stirnfläche bietet und gleichzeitig einen flachen Rücken aufweist, so dass die Luft stromlinienförmig nach hinten verlaufen kann und sein cw-Wert möglichst gering ist. Wie die Position genau dargestellt werden kann und welche Winkel dabei eine entscheidende Rolle spielen, wird anhand des zweiten Fallbeispiels im folgenden Abschnitt eruiert.

Abb. 8 Aero-Position auf dem Zeitfahrrad

Diskussion:

Bei der Optimierung einer Sitzposition im Sinne der Aerodynamik kann man den Sportler nicht immer idealtypisch einstellen. Gerade bei längeren Strecken muss immer ein Kompromiss aus Aerodynamik und Komfort gefunden werden, den der Fahrer in der Lage ist zu fahren. Es bringt nichts, wenn ein Sportler nach dem Bikefitting in der „Aero-Position“ extrem gute Werte aufweist, in einem Ironman (180 km Radsplit) aber nach 100 km diese Position nicht mehr halten kann und sich aufrichtet um den Rumpf und die Schultern zu entlasten und dann noch 80 km in einer aus aerodynamischer Sicht extrem ungünstigen Position fährt. Deshalb sollte eine Position gefunden werden, die gute Werte aufweist, gleichzeitig aber auch die Beweglichkeits- und Kraftvoraussetzungen des Athleten individuell berücksichtigt.

Das Fallbeispiel 2 ist die aerodynamische Einstellung eines Triathleten. Würde man einen Zeitradfahrer aus dem Radsport „fitten“ wäre die Position noch flacher und aggressiver, da dieser die Position viel kürzer halten muss und nach dem Radfahren auch keinen Marathon mehr laufen muss.

Grundsätzlich sind verschiedene Radpositionen von unterschiedlichen Athleten schwer zu vergleichen und auch Normwerte sind schwer zu verwenden, da jeder Athlet individuell ist und über verschiedene Körpersegmentlängen verfügt. So muss ein Rad bei einem 1,80 m großen Athleten mit sehr langem Oberkörper ganz anders eingestellt werde, als bei einem 1,80 m großen Athleten mit verhältnismäßig kurzem Oberkörper aber dafür sehr langen Beinen.

Abschließend kann also gesagt werden, dass Bikefitting ein sehr individueller Prozess ist und das Ergebnis stark von den Voraussetzungen abhängt, die der Athlet mitbringt.

(Verfasst von: Torben Müller)

Fallbeispiele

Um die vorher beschriebenen, gesundheitlichen - bzw. leistungssteigernde Aspekte möglichst praxisnah darstellen zu können, wurden zwei Bikefittings mit eben jenen Fragestellungen durchgeführt. Während Fahrer Nr. 1 über Beschwerden im oberen Rücken und der Schulterpartie klagt, versucht Fahrer Nr. 2 eine möglichst aerodynamische Position auf dem Zeitfahrrad einzunehmen. Bei Fahrer Nr. 1 wird ein Vorher-Nachher-Vergleich angeführt, während Fahrer Nr. 2 in die passende Position gebracht wurde, die im Folgenden detailliert erklärt wird. Einleitend wichtig zu erläutern, ist, dass sich die angegebenen Winkel auf das Ekib360-Motion-Capture Messsystem beziehen, wie es bei iQ athletik zum Einsatz kommt. Die gemessenen Winkel unterscheiden sich aufgrund unterschiedlicher Messinstrumente von den Angaben aus der Literatur gesundheitlicher Aspekte (s.o.).

Schmerzprävention Rennrad

Abb. 9 - Druckverteilung auf dem Sattel; links vor dem Bikefitting, rechts danach

Ausgangsposition Fahrer Nr.1:

Da sich aus dieser Position auf dem Rennrad (Abb. 11 links) die beschriebenen Schmerzen ergaben, wird durch Anpassungen versucht, Druck von der Schulterpartie zu nehmen und diesen über den Sattel abzuleiten. Dies gelingt, indem man den Abstand zwischen Sattel und Lenker verringert und somit den Oberkörper etwas weiter aufrichtet. Die entscheidenden Winkel sind dabei die der Hüfte (Hip Flex/Ext: links: 53°/99° | rechts: 56°/103°) und der Schulter (Shoulder Flex/Ext: links: 75°/76° | rechts: 73°/74°). Der Sattel wird also etwas nach vorne verlagert und ein kürzerer Vorbau verbaut. Der schon passende Kniewinkel von 147° auf der linken und 151° auf der rechten Seite sollte dabei möglichst erhalten bleiben, sodass an der Sattelhöhe nichts verändert wird.

Finale Position nach dem Fitting:

Abb. 10 - Lot am Knie; links vor dem Bikefitting, rechts danach

Die Aufrichtung des Oberkörpers spiegelt sich vor allem in dem geöffneten Hüftwinkel (Hip Flex/Ext) wider, der auf 59°/104° auf der linken - und 62°/107° auf der rechten Seite angestiegen ist. Zudem verringert sich die Streckung in der Schulter (Shoulder Flex/Ext) auf 66°/68° auf der linken - bzw. 66°/67° auf der rechten Seite, was auf eine geringere Belastung der beiden Glenohumeralgelenke schließen lässt.

Da nun weniger Druck auf den Lenker - und dafür mehr auf den Sattel abgeleitet wird, ist eine gute Sattelposition entscheidend für den Fahrkomfort. Zu hohe Druckspitzen auf dem Sattel können zu Schmerzen oder Taubheitsgefühlen im Schambereich führen. Im Folgenden wird der Vorher-Nachher-Vergleich der Satteldruckmessung angeführt:

Auf der Ausgangsposition (Abb. 9 links) erkennt man deutliche Druckspitzen mit über 1100 mbar auf den Kraftangriffspunkten (rot markiert). Außerdem befinden sich die Druckpunkte auf einem relativen kleinen Areal auf dem Sattel. Durch die Verlagerung des Sattels nach vorne, verschieben sich die Druckpunkte auf die breitere, hintere Fläche des Sattels, wodurch der Druck über eine größere Fläche abgetragen werden kann. Aufgrund dessen verkleinern sich die Druckspitzen auf 861 mbar im Maximum (rechts).

Eine populäre Methode, die Position des Sattels auf dem Rennrad einzustellen, ist das Fällen eines Knielots, wobei dieses genau zentral über der Pedalachse stehen soll (Knee over Pedal Spindle = KOPS). Die Veränderung der Sattelposition führte auch diesbezüglich zu dem gewünschten Bild (Abb. 10). Durch die zentrale Position des Kniegelenks über der Pedalchse werden die einwirkenden Kräfte auf die Patella reduziert und somit das Verletzungsrisiko vermindert (Burt, 2014).

Zum Ende wird das Aufmaß des Rades vor - und nach dem Fitting gegenübergestellt (Abb. 12), um die Dimension der vorgenommenen Veränderungen zu verdeutlichen. Die deutlichste Veränderung sieht man in Bezug auf den Abstand von Sattel und Lenker, der um 46mm verkleinert wurde, um den Oberkörper stärker aufzurichten und damit die Schulterpartie zu entlasten. Außerdem wurde damit auch der Abstand zwischen Sattel und Kurbel um 16mm verringert.

(Verfasst von: Frederic Nockemann)

Abb. 11 - Position auf dem Fahrrad; links vor dem Bikefitting, rechts danach
Abb. 12 - Radmaße; links vor dem Bikefitting, rechts danach

Aero-Position auf dem Zeitfahrrad

Abb. 13 - Raddaten Zeitfahrrad
Abb. 14 - Satteldruck auf dem Zeitfahrrad

Das zweite Fallbeispiel dient der Anwendung leistungssteigernder Aspekte des Bikefittings. Ziel ist eine aerodynamische Position auf dem Zeitfahrrad, bei dem der Windwiderstand so gering wie möglich ist. Ein wichtiger Parameter zur Erreichung einer solchen Position ist die Rumpfneigung (Trunk Tilt), die bei unserem Fallbeispiel mit einem Winkel von 13 Grad sehr gut ist. Ein ebenfalls wichtiger Wert für die Kraftübertragung stellt der Kniewinkel dar, der bei dieser Messmethodik zwischen 145 und 160 Grad liegen sollte. In dem dargestellten Beispiel liegt er bei 147/148 Grad. Außerdem sollte der Radfahrer mit einer Überhöhung auf dem Zeitfahrrad sitzen, d.h. dass der Lenker niedriger eingestellt ist als der Sattel, sodass die Angriffsfläche des Oberkörpers für den Wind kleiner wird und sich der cw-Wert ebenfalls verkleinert. Das Aufmaß des Rades verdeutlicht diese Position mit einer Überhöhung von 136mm:

Bei langen Ausfahrten, wie sie beispielweise bei einer Triathlon-Langdistanz vorkommt (180 km), spielt die richtige Sattelposition eine zentrale Rolle, wenn man Schmerzen vermeiden möchte. Das angeführte Satteldruckbild ist sehr typisch für eine Aero-Position. Hierbei dient lediglich die Sattelspitze als Auflagefläche, was eine passende Druckverteilung noch wichtiger erscheinen lässt.

Die nebenstehende Radeinstellung ist auf einem Zeitfahrrad mit der Rahmengröße M, für einen Triathleten mit einer Körpergröße von 179 cm. Die Überhöhung des Sattels im Verhältnis zum Lenker beträgt 13,5 cm. Der Sattel ist dabei in einem Winkel von 7 Grad mit der Spitze nach unten geneigt. Der Abstand von Sattelmitte zu Vorbauende beträgt 60,2 cm.

Abb. 15 - Aero-Position auf dem Zeitfahrrad

(Verfasst von: Frederic Nockemann & Torben Müller)

Wiederholungsfragen

[1] Vortrieb beim Radfahren: Welche Muskelgruppen sind maßgeblich beteiligt? Wie groß sollte der Kniewinkel bei der beschriebenen Messmethodik sein, um eine gute Kraftübertragung auf die Pedale zu generieren?

  Spoiler: An der Bewegung maßgeblich beteiligt ist der Quadriceps sowie die Ischiocrurale und Gluteale Muskulatur. Der Kniewinkel sollte in Bezug auf die beschriebene Messmethode zwischen 145 - 160° liegen.

[2] Wo treten am häufigsten Schmerzen infolge von Radfahrern auf und worin ist das zu begründen ? Nenne drei mögliche Stellschrauben im Bikefitting

  Spoiler: Dass patellofemorale Schmerzsyndrom, also Schmerzen deren Lokalisation die Kniescheibe, das Patellargleitlager sowie den Femur betreffen, Schmerzen im anterioren, also vorderen Bereich des Knies sowie Schmerzen im unteren Rücken und Nacken stellen die häufigsten Schmerzen bei Radfahrern dar. Zu begründen ist dies einerseits durch die primär muskuläre Beanspruchung der unteren Extremitäten (v.a. Quadriceps, Ischiocrurarale Muskulatur und Gluteale Muskulatur), die repetitive Natur des Radfahrens und durch die Haltung auf dem Fahrrad bei der der Oberkörper vorgeneigt und der Nacken hyperextesiert ist. Mögliche Stellschrauben sind die Sattelposition (Höhe, Verschiebung, Neigung), die Pedale oder die Länge des Oberrohrs. 

[3] Welche Parameter müssen möglichst minimiert werden, für eine möglichst aerodynamische Sitzposition?

  Spoiler: Um eine aerodynamische Sitzposition zu erreichen, müssen insbesonder 2 Parameter minimiert werden. Die zum einen sollte der cw-Wert so gering wie möglich gehalten werden, der cw-Wert bei einem tropfenförmigen Objekt am geringsten ist. Zum anderen sollte sollte die Stirnfläche (A) minimiert werden. Die verbesserung dieser beider Parameter führt zu einem verbesserten Strömungswiderstand. Der Strömungswiderstandes kann folgendermaßen berechnet werden: Ekin=½m∗v2=½A∗s∗p∗v2. Überwindungsarbeit des Strömungswiderstandes wird berechnet durch: FL=½∗p∗v2∗cw∗A

Literatur

  • Asplund, C., & St Pierre, P. (2004). Knee pain and bicycling: fitting concepts for clinicians. Phys Sportsmed, 32(4), 23-30. doi:10.3810/psm.2004.04.201
  • Asplund, C., Webb, C., & Barkdull, T. (2005). Neck and Back Pain in Bicycling. Current Sports Medicine Reports, 4, 4.
  • Burt, P. (2014). Bike fit. Optimise your bike position for high performance and injury avoidance (First edition).
  • Bini, R. (2016). The need for a link between bike fitting and injury risk. J Sci Cycling, 5(1-2), 2.
  • Jones, C. (2009). Blog-Artikel „Cyling… The Book“: https://www.parktool.com/blog/calvins-corner/cycling-the-book
  • Gressmann, M. (2010). Fahrradphysik und Biomechanik. Technik Formeln Gesetze.Delius Klasing Verlag: Kiel
  • Priego Quesada, J. I., Kerr, Z. Y., Bertucci, W. M., & Carpes, F. P. (2019). The association of bike fitting with injury, comfort, and pain during cycling: An international retrospective survey. Eur J Sport Sci, 19(6), 842-849. doi:10.1080/17461391.2018.1556738
  • Pruitt, A., Matheny, F. (2004). Andy Pruitt's Complete Medical Guide for Cyclists
  • Priego Quesada, J. I., Perez-Soriano, P., Lucas-Cuevas, A. G., Salvador Palmer, R., & Cibrian Ortiz de Anda, R. M. (2017). Effect of bike-fit in the perception of comfort, fatigue and pain. J Sports Sci, 35(14), 1459-1465. doi:10.1080/02640414.2016.1215496

Online Quellen

Weiterführende Links

Abbildungsverzeichnis

Alle Abbildungen bis auf Abb. 6 sind aus eigener Darstellung und Fotografie.

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